sehepunkte 10 (2010), Nr. 2

J. Andreu Pintado (ed.): Fundamentos de Epigrafía Latina

Einführungen haben Konjunktur. Meist sind sie kurz und haben als Ziel, das bekannte Wissen zu einem Thema, einer Epoche, einer Kultur oder aber zu zentralen Arbeitstechniken und Methoden zusammenzufassen. Neben den kurzen Einführungen von meist nur einem Autor stehen die umfangreicheren 'Companions', in denen eine Vielzahl von Autoren verschiedene zentrale Aspekte eines übergeordneten Themas mit unterschiedlichen Ansätzen bearbeitet. Die vorliegende Darstellung der "Grundlagen der lateinischen Epigraphik" ist eine Mischung aus beidem. Das Buch ist in drei Teile geteilt, ein erster, der die Wissenschaftsgeschichte und das Edieren von Inschriften behandelt ("La epigrafía como ciencia", 3-60), ein zweiter Teil, der unterschiedlichste Aspekte, die mit lateinischen Inschriften zusammenhängen, behandelt ("Introducción a la epigrafía latina", 63-294), sowie ein letzter Teil (Tipología de las inscripciones latinas", 297-611), der sich mit einzelnen Inschriftengruppen beschäftigt.

In allen drei Gruppen sind die meisten Texte vom Herausgeber J. Andreu verfasst, die Kapitel zu Cursus honorum (175-233), zu Prosopographie und Onomastik (255-286) stammen aus der Feder von E. Tobalina, das Kapitel zur Kaisertitulatur (235-253) ist von Á. A. Jordán verfasst, das zum Instrumentum Domesticum (533-577) von P. Ozcáriz.

Der zweite Teil gleicht einem 'Companion' und behandelt Aspekte, die zum Verständnis des Inhalts und der Interpretation lateinischer Inschriften von Bedeutung sind. Es sind dies: die Inschriftenträger (Stein, Metall, Keramik, Holz, Glas), Schriftformen, Schriftentwicklung, Zahlen, Abkürzungen und Zeichen, die Technik des Herstellens einer Inschrift, römische Onomastik, Cursus honorum (hier sowohl von Senatoren als auch von Rittern). Ergänzt wird diese Darstellung durch eine Appendix (655-658) mit Listen der wichtigsten senatorischen Ämter und ritterlichen Aufgaben. Die Kaisertitulatur sowie ein Kapitel zu Prosopographie und Onomastik folgen.

Der dritte Teil entspricht am ehesten dem einer 'Einführung' in die lateinische Epigraphik, vergleichbar den vielen Einführungen in deutscher, französischer oder englischer Sprache. [1] Nach einer ersten Überblicksdarstellung (A. Alvar), die nicht eigens für diesen Band konzipiert wurde, und deren Literaturhinweise den Stand von 1983 spiegeln, folgen einzelne Kapitel zu Inschriftentypen. Hier zeigt sich die Kennerschaft des Herausgebers Andreu, der präzise und prägnant fast alle Unterkapitel verfasst hat: Grabinschriften, Ehreninschriften, Bauinschriften, Weihinschriften, 'juristische' Texte (hier überzeugt allerdings die Kategorisierung Alvars mit 'offiziellen Texten, die unabhängig von der Inschrift existieren' (307ff.) eher) und 'gemischte' Inschriften (tabellae, tesserae, Graffiti usw.), während das Instrumentum Domesticum einen anderen Autor (s.o.) hat.

Viele Schwarz-weiß-Aufnahmen und einige Farbfotos illustrieren mit Beispielen die Angaben im Text, dort jeweils mit einem Hinweis auf die Abbildung. Die Fotografien werden zusammenhängend am Ende von Kapiteln präsentiert. Wegen der Dunkelheit vieler Aufnahmen und der meist nur geringen Größe der Abbildungen, ahnt man allerdings oft nur als das man nachvollziehen kann, was im Textteil oder auch in den Erläuterungen zum Bild geschrieben steht. Umzeichnungen, die beispielsweise in Cagnats [2] Arbeit eine so große Rolle spielen, wären hier so manches Mal prägnanter als ein Foto gewesen. Wie hilfreich diese Art der Präsentation ist, zeigt sich im Abschnitt zum Instrumentum Domesticum, in dem nicht nur Amphorenstempel und Graffiti durch Zeichnungen gut erkennbar sind (557-571, s. auch 599-607). Größenangaben zu den abgebildeten Texten fehlen durchweg, so bleibt auch die Kontextualisierung und Visualisierung (abgesehen von der oft mangelhaften Qualität der Abbildungen) der Texte auf der Strecke.

Wie bei jedem Versuch der Systematisierung einer Darstellung eines so umfangreichen wie vielseitigen Materials wie auch wesentlicher Aspekte der inhaltlichen Interpretation dieses Materials, gibt es auch in diesem Handbuch der lateinischen Epigraphik Stärken wie Lücken und Schwächen. Lücken sind z.B. bei der Präsentation der Inschriften auf/in Metall (76-78) die fehlenden Hinweise auf Werkzeuge, Arztinstrumente, Waffen, Schutzkleidung und vieles andere, die dann auch nicht in den hinteren Kapiteln zu Instrumentum Domesticum und 'Diversen Objektinschriften' behandelt werden. Da es keinen Sachindex gibt und Querverweise im Buch fehlen, sind in diesem Abschnitt zu Metallinschriften dem Leser Hinweise (77) zu einer späteren Behandlung der 'tabellae' und Militärdiplome wenig hilfreich.

Vergleichbares gilt auch für die anderen Abschnitte der ersten beiden Teile wie beispielsweise in 'Escritura' / Palaeographie, wo I-Longa und Apex-Längen ohne Beispiele (104) erklärt werden oder im Abschnitt zur Onomastik, in dem die Erläuterungen zu supernomina, signa, agnomina schwer verständlich sind (156-157).

Ob man die Abkürzungen und das Zusammenschreiben von Wörtern (105, 107) in lateinischen Inschriften auf Platzmangel und Platzökonomie reduzieren sollte, ist fraglich, zeigen doch beispielsweise griechische Inschriften, dass Steininschriften keineswegs zwangsläufig durch zahlreiche Abkürzungen charakterisiert sein müssen.

Trotz eines eigenständigen Kapitels zu den Ämtern und Laufbahnen (auch für Ritter als 'cursus honorum' bezeichnet, (315) ist von 'magistraturas' der Ritter die Rede) und der Appendix II zu diesen Ämtern, erfährt der Leser nicht, dass es im Detail Verschiebungen in der Hierarchie der Funktionen gab und die Charakterisierung der Aufgaben durch Gehaltsbezeichnungen (sexagenarius etc.) eine relativ späte Erscheinung ist und mit wachsender Bemühung um explizite und sichtbare gesellschaftliche wie soziale Ausdifferenzierung im 2. Jahrhundert zusammenhängen dürfte.

Einiges andere ist dagegen sehr ausführlich, so die auf den Seiten zur Prosopographie ausführliche Darstellung der spannenden Entwicklung der Wissenschaftsgeschichte zur Prosopographie der Republik (258-265). Dem Leser wird durch die Lektüre allerdings nicht klar, wieso eine ganz bestimmte Art von Prosopographie durch die Quantität der Inschriften wie auch durch deren besonderen Inhalt nur für die römische Kaiserzeit möglich ist, die Prosopographie für Republik und Spätantike wie auch für andere Epochen dagegen andere Quellen und Techniken benötigt, daher aber auch zu anderen Fragestellungen und Folgerungen kommen kann. Auch in diesem wie in anderen systematischen Kapiteln wird kein Hinweis auf die Existenz griechischsprachiger Inschriften der römischen Kaiserzeit (wie auch anderer Jahrhunderte) gegeben, obwohl diese zur Prosopographie der römischen Zeit von großer Bedeutung sind.

Die Appendices bieten eine Liste mit zentralen Editionen (regional gegliedert) und Publikationen (App. I), eine Zusammenstellung der wichtigsten Ämter und Aufgaben von Senatoren und Ritter (App. II), sowie ein Liste der wichtigsten Abkürzungen und ihrer Kombinationen (App. III). Im Text wird darüber hinaus ein Überblick über die diakritischen Zeichen gegeben (44-45). Weiterführende Lektürehinweise finden sich am Ende jeden Kapitels - das ist für die Lektüre einzelner Abschnitte hilfreich, für einen Überblick allerdings weniger. Positiv fällt auf, dass im ganzen Buch immer wieder Hinweise auf im Internet zugängliche Datenbanken und andere Hilfsmittel gegeben werden (e.g. 332 zu Ostia, 369 zu Høtjes Basen, 595 zu Vindolanda). Diese sind oft nur Spezialisten bekannt und werden auf vielen Universitätswebseiten immer noch nicht als Links angeboten. Überraschend sind dagegen die Verweise auf die Wikipedia-Seiten zu pontifex maximus (241) und pater patriae (243), auch wenn einzelne Wikipedia-Seiten durchaus wissenschaftlich nachvollziehbar gestaltet sind.

Der Vorspann mit Einführung (A. Alvar, I. Roda, XIII-XVI) und Vorwort (A. Donati, XVII-XIX) sind lesenswert, geben sie doch wichtige Hinweise auf die Inschriften als ein Phänomen der griechisch-römischen Kultur. Themen wie Alphabetisierung, Inschriften als spezifische Erscheinung städtischen Lebens, als Medium der Erinnerung an Individuen, als Medium der Information, als Individual- wie als Massentexte werden angesprochen.

Wie oben schon ausgeführt: es gibt kaum den einen goldenen Weg, aber viele gute Wege eine Einführung mit einer inhaltlich vertiefenden Darstellung zu verbinden, wovon auch die neueren Epigraphik-Darstellungen der jüngeren Zeit in anderen Sprachen zeugen. [1] Auch wenn nicht alle Wege des Herausgebers Andreu die Rezensentin überzeugt haben: dieses Buch wird sicher und zu Recht seinen Weg in den universitären altertumswissenschaftlichen Unterricht in spanisch-sprechenden Ländern finden und zusammen mit nicht-spanischen Werken wie dem immer noch herausragenden Cagnats oder auch dem beispielorientierten Gordons und anderer [3] die Ausbildung spanisch-sprechender Kollegen mit und am epigraphischen Material fördern.


Anmerkungen:

[1] Ganz unterschiedlich konzipiert sind die drei neueren Einführungen: J.M. Lassère: Manuels d'épigraphie romaine, Paris 2005, 2. Aufl. 2007 (2 Bde, umfangreiches Handbuch), M. G. Schmidt: Einführung in die Lateinische Epigraphik, Darmstadt 2004 (prägnant und sehr übersichtliche kurze Einführung), J. P. Bodel: Epigraphic Evidence: Ancient History from Inscriptions, London 2001 (auf historische Forschung und Fragestellung ausgerichtete Darstellung, sehr kurz aber umso anregender).

[2] R. Cagnat: Cours d'épigraphie latine, Rom 1914.

[3] A.L. Gordon: Illustrated Introduction to Latin Epigraphy, Berkeley 1983, vgl. auch L. Schumacher: Römische Inschriften, Stuttgart 1988, 2. Aufl. 2001 allerdings mit wenigen Abbildungen.

Rezension über:

J. Andreu Pintado (ed.): Fundamentos de Epigrafía Latina, Madrid: Liceus 2009, 720 S., ISBN 978-84-9822-843-4, EUR 60,00

Rezension von:
Marietta Horster
Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Marietta Horster: Rezension von: J. Andreu Pintado (ed.): Fundamentos de Epigrafía Latina, Madrid: Liceus 2009, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de/2010/02/16643.html


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