Rezension über:

Klaus Schreiner (Hg.): Heilige Kriege. Religiöse Begründungen militärischer Gewaltanwendung: Judentum, Christentum und Islam im Vergleich (= Schriften des Historischen Kollegs; 78), München: Oldenbourg 2008, XXIII + 273 S., ISBN 978-3-486-58848-4, EUR 59,80
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Rezension von:
Stefan Tebruck
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Redaktionelle Betreuung:
Christine Reinle
Empfohlene Zitierweise:
Stefan Tebruck: Rezension von: Klaus Schreiner (Hg.): Heilige Kriege. Religiöse Begründungen militärischer Gewaltanwendung: Judentum, Christentum und Islam im Vergleich, München: Oldenbourg 2008, in: sehepunkte 10 (2010), Nr. 2 [15.02.2010], URL: https://www.sehepunkte.de
/2010/02/15263.html


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Klaus Schreiner (Hg.): Heilige Kriege

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Der insgesamt 13 Beiträge umfassende Band geht auf eine Tagung des Historischen Kollegs München und der Bayerischen Akademie der Wissenschaften im November 2007 zurück und widmet sich der Begriffs- und Entwicklungsgeschichte des "Heiligen Krieges" - ein Themenfeld, das seit 2001 ungeahnte Aktualität gewonnen hat, bei dem allerdings auch oft argumentative Verkürzungen und begriffliche Unschärfen begegnen. In seiner sehr klaren Einführung steckt der Herausgeber das Feld der Themen ab, die zum einen den unterschiedlichen historischen Befunden von der Antike über das Mittelalter bis in die Neuere und Neueste Geschichte gelten, zum anderen der Begriffsgeschichte gewidmet sind (VII-XXIII).

Dass sich die Begriffsgeschichte des "Heiligen Krieges" als außerordentlich komplex erweist, macht sogleich der am Anfang des Bandes stehende Beitrag von Friedrich Wilhelm Graf, "Sakralisierung von Kriegen: Begriffs- und problemgeschichtliche Erwägungen" (1-30) deutlich. Überzeugend arbeitet Graf heraus, dass die Begriffe "heilig" und "Heiliger Krieg" kaum als präzise Analysebegriffe für den Historiker zu gebrauchen sind. Während die christliche Theologie das Konzept des "bellum iustum" entwickelt und ausgebaut hat, fehlt eine vergleichbare Begriffsentwicklung für den "Heiligen Krieg", der stets ein unscharfes, bedeutungsoffenes und gerade deshalb variabel benutzbares Konzept blieb, das für die je eigenen Interessen zur Legitimierung von Gewaltanwendung instrumentalisiert werden konnte. Besondere Bedeutung für die begriffsgeschichtliche Entwicklung kommt dabei den "Religions-" und "Konfessionskriegen" des 16. und 17. Jahrhunderts sowie der Französischen Revolution und den Befreiungskriegen zu, in denen der Kampf gegen den Gegner religiös aufgeladen und sakralisiert wurde.

Die folgenden sechs Aufsätze diskutieren die unterschiedlichen Befunde in Judentum, Islam und Christentum von der Antike bis ins späte Mittelalter. Dem Alten Testament und dem antiken Judentum gilt der Beitrag von Aharon Oppenheimer, "Heilige Kriege im antiken Judentum. Monotheismus als Anlaß zum Krieg?" (31-42), der im jüdischen Monotheismus, der sich gegen eine polytheistische Umwelt zur Wehr zu setzen hatte, den Ursprung für die Vorstellung vom "Heiligen Krieg" und vom Märtyrertod im Kampf sieht. Tilman Nagel, "Kämpfen bis zum endgültigen Triumph. Religion und Gewalt im islamischen Gottesstaat" (43-54) verortet die enge Verbindung von muslimischer Religiosität und Krieg im Wirken des Propheten Mohammed selbst, der von Anfang an den "Dschihad" als Weg zur kriegerischen Ausbreitung der Gemeinde propagiert habe. Hans Maier, "Compelle intrare. Rechtfertigungsgründe für die Anwendung von Gewalt zum Schutz und zur Ausbreitung des Glaubens in der Theologie des abendländischen Christentums" (55-69) verfolgt die prominente Wirkungs- und Deutungsgeschichte des im Lukasevangelium erzählten Gleichnisses vom Gastmahl, zu dem alle ins Haus geholt werden sollten, deren man habhaft werden konnte (Lukas 14, 16-24). Dabei wird deutlich, welche Wirkungen in der Kirchengeschichte jene Deutung des Gleichnisses entfaltete, die das "compelle intrare" als Legitimation für die Anwendung von Gewalt in der Mission interpretierte. Werner Eck, "Vom See Regillus bis zum flumen Frigidus. Constantins Sieg an der Milvischen Brücke als Modell für den Heiligen Krieg?" (71-91) lässt erkennen, welche Bedeutung der römische Staatskult für das Christentum gewann, als Kaiser Constantin seinen epochalen Sieg an der Milvischen Brücke (312) Christus selbst zuschrieb. Der christliche Gott rückte fortan in die Rolle der antiken Staatsgötter ein, die Kaiser und Reich schützten und die im Krieg um Hilfe angerufen werden konnten.

Die letzten drei Aufsätze in dieser Gruppe von Beiträgen wenden sich dem Mittelalter zu, in dem das Christentum in eine besondere Nähe zur Herrschaft und damit zum Krieg geriet. Wie sich dabei die Vorstellungen von "Gerechtem Krieg" und "Heiligem Krieg" in der hoch- und spätmittelalterlichen Kreuzzugsbewegung entfalteten, skizziert Ludwig Schmugge, "'Deus lo vult?' Zu den Wandlungen der Kreuzzugsidee im Mittelalter" (93-108), dessen Beobachtungen zur zeitgenössischen Kreuzzugskritik erkennen lassen, dass der bis in die Frühe Neuzeit hinein wirksamen Kreuzzugsidee ein aus der theologischen Reflexion erwachsenes kritisches Potenzial gegenüberstand. Jürgen Miethke, "Heiliger Heidenkrieg? Theoretische Kontroversen zwischen Deutschem Orden und dem Königreich Polen vor und auf dem Konstanzer Konzil" (109-125) thematisiert den auf dem Konzil (1414-1418) mit theologischen und juristischen Argumenten ausgetragenen Konflikt um den Anspruch des Deutschen Ordens, weiterhin seine Preußenreisen als Kreuzzüge gegen Heiden durchführen zu dürfen, obwohl der litauisch-polnische König Jagiełło bereits 1386 das Christentum angenommen hatte. Das Konzil widersprach schließlich den Ordensvertretern und ließ die Herrschaftsrechte Litauens-Polens aufgrund naturrechtlich begründeter Eigentumsrechte unangetastet. Der im letzten Drittel des Bandes eingeordnete Beitrag von Rudolf Schieffer, "Iudicium Dei. Kriege als Gottesurteile" (219-228) lenkt den Blick ausgehend von der religiösen Kriegsrhetorik des 20. Jahrhunderts auf das frühe und hohe Mittelalter, das die Vorstellung pflegte, Sieg und Niederlage auf dem Schlachtfeld seien dem Urteil Gottes zu überlassen, der Krieg sei mithin ein gerichtliches Gottesurteil ("ordal").

Es folgen fünf Beiträge zu neuzeitlichen und zeitgeschichtlichen Aspekten des Themas. Einen frühneuzeitlichen Typus des "Heiligen Krieges" thematisiert Heinz Schilling in seinem Aufsatz über "Konfessionelle Religionskriege in politisch-militärischen Konflikten der Frühen Neuzeit" (127-149). Das Spezifikum der militärischen Auseinandersetzungen zwischen den konfessionellen Parteien im 16. und 17. Jahrhundert, die er mit Blick auf ihre strukturellen Rahmenbedingungen wie auf ihre politisch-religiöse Symbolik untersucht, sieht Schilling in dem Bestreben der Konfessionskirchen, absolute Wahrheitsansprüche durchzusetzen, eine Konfliktlage, die nur durch den ebenfalls theologischer Reflexion entspringenden Friedensgedanken aufgelöst werden konnte. Klaus Schreiner, "Kriege im Namen Gottes, Jesu und Mariä. Heilige Abwehrkämpfe gegen die Türken im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit" (151-192) widmet sich den spezifischen Formen der Inanspruchnahme heiliger Sieg- und Schlachtenhelfer während der Türkenkriege. Hans-Christof Kraus, "Freiheitskriege als heilige Kriege. 1792-1815" (193-218) arbeitet die religiös-sakralen Aspekte der Kriegsrhetorik und -publizistik während der antinapoleonischen Befreiungskriege heraus und macht deutlich, dass ein erweiterter Religionsbegriff, der auch ethische Ziele und Pflichten, politische Ideale und nationale Werte religiös auflud, die Voraussetzung für die rhetorische Sakralisierung der Befreiungskriege war.

Hans Günter Hockerts schließlich diskutiert in seinem Aufsatz über "Kreuzzugsrhetorik, Vorsehungsglaube, Kriegstheologie. Spuren religiöser Deutung in Hitlers 'Weltanschauungskrieg'" (229-250) die Verwendung von Versatzstücken aus der biblisch-christlichen Tradition in der Kriegspropaganda der NS-Führung, die damit vielfach an die Kriegsdeutungen aus der Zeit des Ersten Weltkriegs anknüpfte, aber keine substanziell religiös aufgeladene Konzeption für den Krieg entwickelt hat. Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag von Dietmar Willoweit über "Verweigerte Toleranz und geheiligte Kriegführung" (251-266), der einen engen Zusammenhang zwischen den spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozessen auf der einen und der Sakralisierung des Krieges auf der anderen Seite sieht. Der religiös und sozialethisch fundierte Staat, der mit seinem Wahrheitsanspruch Andersgläubige und Andersdenkende ausgrenzte, sei die Voraussetzung für den geheiligten Gewalteinsatz geworden. Der gegenwärtig geführte politische Diskurs über die weltweite Durchsetzung der Menschenrechte zeigt, so Willoweit, dass die Frage nach der Legitimation von Krieg mithilfe universaler Wahrheitsansprüche nach wie vor aktuell ist.

Der außerordentlich anregende Band stellt einen wichtigen Beitrag zur Debatte um Ursachen, Formen und Wirkungen des "Heiligen Krieges" in Christentum, Judentum und Islam dar und wird die historische Forschung in der weit darüber hinausgehenden Frage nach dem Verhältnis von Religion, Staat und Gesellschaft insgesamt bereichern.

Stefan Tebruck