KOMMENTAR ZU

Constantin Goschler: Rezension von: Raul Teitelbaum: Die biologische Lösung. Wie die Schoah "wiedergutgemacht" wurde, Springe: zu Klampen! Verlag 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 10 [15.10.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/10/15896.html


Von Raul Teitelbaum

Vielleicht ist es nicht üblich, dass ein Autor auf eine Rezension seines Buches antwortet. Allerdings ist es für einen Autor nicht annehmbar, eine "gelbe Karte" unwidersprochen von einem Rezensenten, auch wenn es sich um einen Fachhistoriker wie Prof. Constantin Goschler handelt, hinzunehmen. Prof. Goschler verwendet diesen Ausdruck in seiner Besprechung meines Buches "Die biologische Lösung". Seine Arbeiten im Bereich der Erforschung der Problematik der deutschen Wiedergutmachung nach dem 2. Weltkrieg sind mir bekannt. Ich habe seine Erkenntnisse in meinem Buch auch benutzt. Außerdem steht es jedem Leser zu, seine Meinung zu äußern. Was mich aber unangenehm überrascht hat, waren der Ton und die Andeutungen in seiner Rezension. Und der Ton macht die Musik. Die Musik, die Prof. Goschler in diesen Fall ''spielt'', entspricht meiner Ansicht nach nicht dem, was von einem Fachhistoriker zu erwarten wäre. Ich habe mich fast persönlich beleidigt gefühlt, als ich mich in dieser Rezension als ein Komplize von Norman Finkelstein dargestellt sah. In vielen Aspekten sehe ich mein Buch als eine begründete Antwort auf Finkelsteins Veröffentlichung ''Die Holocaust-Industrie''. Im ersten Kapitel meines Buches habe ich Finkelsteins Buch als ''ideologisch-politisches Pamphlet'', das der neonazistischen Propaganda dient und keine historische Forschungsarbeit ist, bezeichnet.

Prof. Goschler behauptet in seiner Rezension, dass ich in meinem Buch das ''Bild einer komplizenhaften Verschwörung'' entwerfe. Verschwörung?! Alles andere als Verschwörung! Mein Buch ist eine kritische historische Studie über die Rolle der drei Hauptakteure - Deutschlands, Israels und des Jewish Claims Conference -, die jahrelang die Hauptrolle bei der individuellen Entschädigung für NS-Opfer gespielt haben. Der Ausgangspunkt meiner Studie waren die Ziele dieses Entschädigungssystems. Sie waren katastrophal nicht als Resultat einer Verschwörung sondern als bezweckte Politik. Ihre Hauptziele waren Geld zu sparen und Zeit zu gewinnen seitens der deutschen Bürokratie und des politischen Establishments. Unverständliche Gleichgültigkeit gegenüber individuellen Schicksalen der Holocaust-Überlebenden und kardinale Fehler auf israelische Seite. Und das Endergebnis dieser Politik entstand auch wegen der verschiedenen prinzipiellen Kompromisse zu denen sich die Vertreter der Claims Conference im Laufe der Verhandlungen mit Deutschland bereit zeigten. Das zentrale Ergebnis meiner Untersuchung ist, dass etwa zwei Drittel der Schoahüberlebenden nie in irgendeiner Form entschädigt wurden.

Zum diesem Ergebnis hat der Fachhistoriker Prof. Goschler kein Wort gesagt. Er begnügt sich mit der allgemeinen Behauptung, dass ich ''voluntaristisch mit Zahlen und Statistiken'' umgehe. Dafür führt er ein Beispiel an. Und zu dem möchte ich mich detailliert äußern. Ich habe festgestellt, dass der Staat Israel aus seinem Haushalt für Invalidenrenten an Holocaustüberlebende das Fünffache von dem bezahlt hat von dem Wert der von von Deutschland gelieferten Gütern aufgrund des Luxemburger Abkommens von 1952. Prof. Goschler zitiert in diesem Zusammenhang aus dem Bericht einer israelischen Regierungskommission (der sogenannten Dorner-Kommission), die sich mit der Problematik der individuelle Entschädigung für Holocaustüberlebende befasst hat. Nach der Berechnung der israelischen Regierungskommissionn betrug der reale Wert der israelischen Rentenzahlungen an Holocaustüberlebende nur zwischen einem Drittel und der Hälfte des Werts der im Rahmen des Luxemburger Abkommens von Deutschland nach Israel gelieferten Güter. Verschiedene Schlussfolgerungen über den realen Wert und die Preise, die Kapitalisierung und die Wechselkurse für so eine lange Periode sind fast unvermeidlich. Jeder der sich mit den komplizierten Umrechnungen befasst hat, kennt die Probleme.

Mein Buch habe ich geschrieben bevor die israelische Regierungskommission ihren Bericht veröffentlicht hat. Allerdings habe ich die komplizierten Umrechnungen nicht allein angestellt. In meiner Studie habe ich, wie ich meine, zuverlässige Quellen herangezogen. Vornehmlich den New Yorker Richter Edward Korman, der den Schweizer Bankfond leitet. Er hat zusammen mit seinem hochqualifizierten Team eine Reihe von Dokumenten und Berichten veröffentlicht, die sich mit den Bilanzen verschiedener Entschädigungszahlungen an Holocaustüberlebende befasst. In dem statistischen Anhang meines Buches habe ich folgende Daten angeführt:
Entschädigungsleistungen für Schoah-Überlebende (in US Dollar) (St. 348). In dieser Summierung sind zwei für unsere Diskussion relavante Abschnitte vorhanden
Israel-Renten für NS-Geschädigte 1954-2004: 3.5 Mrd. USD
Israelvertrag 1953-1965: 714 Mio. USD
Quelle: United States District Court, Eastern District of New York, Special Master's Recommendation for Allocation of Possible Unclaimed Residual Funds, April 15, 2004, Annex F: Overview of Major Holocaust Individual Payments, Institutional Allocations and Other Programs for Jewish Nazi Victims, March 9, 2004.

Eine einfache Rechnung zeigt, dass Israel aus seinem Staatsbudget als Renten für NS-Geschädigte 4.9fach mehr gezahlt hat als die Summe, die nach dem Israelvertrag von Deutschland überwiesen wurde. Und der Israelvertrag war eigentlich die Grundlage, auf der Israel die Renten für NS-Geschädigte zahlen musste. Über diese Berechnung kann man selbstverständlich diskutieren. Aber ein Fachhistoriker wie Goschler müsste zu dieser Quelle eine kritische Stellung nehmen. Bedauerlicherweise unterlässt er das. Da er meine Schlussfolgerung abtun möchte, übernimmt er unwidersprochen die Angaben der israelischen Regierungskommission.

Möglicherweise kommt das daher, dass Prof. Goschler den Schlussbericht der israelischen Regierungskommission nicht im Original gelesen hat, da er auf Hebräisch veröffentlicht wurde. Ich habe das Manuskript meines Buches vor der Veröffentlichung der Regierungskommission zur Verfügung gestellt und wurde von ihr angehört. Teile meines Manuskripts sind mehrmals im Schlussbericht der Regierungskommission zitiert. Einschließlich der Teile, die Prof. Goschler als ''lange Liste historischer Irrtümer'' bezeichnet hat.

Jüngst wurde in Deutschland ein wichtiger Sammelband unter dem Titel ''Die Praxis der Wiedergutmachung'' herausgegeben und zwar von Norbert Frei, Jose Bruner und Constantin Goschler. Im Nachwort dieses Bandes, das von allen drei Herausgebern unterzeichnet ist, steht auch dieser Satz: ''Hier sind wir vor allem Raul Teitelbaum, auf israelische Seite zweifellos dem Pionier der Forschung zur Geschichte der individuellen Entschädigung, zu großem Dank verpflichtet'' (S. 729). Jetzt drängt sich die Frage auf, ob Prof. Goschler dieses Nachwort überhaupt gelesen hatte, bevor er seine Unterschrift leistete und vor allem bevor er zum Generalangriff auf meine Arbeit ansetzte?

Jedenfalls, danke ich Prof. Goschler, dass er in seiner Rezension meinen Namen und den Titel meines Buches richtig buchstabiert hat.

Anmerkung der Redaktion: Constantin Goschler hat auf eine Replik verzichtet.