KOMMENTAR ZU

Wolfgang G. Schwanitz: Rezension von: Ata Taheri: Deutsche Agenten bei iranischen Stämmen 1942-1944. Ein Augenzeugenbericht. Eingeleitet und übersetzt von Burkhard Ganzer, Berlin 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 6 [15.06.2009], URL: http://www.sehepunkte.de/2009/06/16259.html


Von Burkhard Ganzer

Erlauben Sie mir zwei kurze Bemerkungen zu Wolfgang G. Schwanitz' Rezension von Ata Taheri / Burkhard Ganzer: "Deutsche Agenten bei iranischen Stämmen 1942-44: ein Augenzeugenbericht" (Sehepunkte 9, No. 6).

1) Schwanitz bemerkt zu den Aktivitäten der in Taheris Bericht beschriebenen Agentengruppe - offenbar mit Einverständnis:
"Wie die Generäle Hellmuth Felmy und Walter Warlimont 1955 im Manuskript MS P-207 für die US-Armee bilanzierten, erfüllte der Agententrupp um Schulze-Holthus im Iran sogar operative Funktionen."
Hierin irrten die beiden Ex-Militärs jedoch ebenso, wie bereits während des Aufenthalts der Gruppe in Iran die Vertreter von Abwehr II und SD geirrt hatten (vgl. S. 96 des rez. Buches). Dass die Gruppe operativ geworden sei - also mit Sprengmitteln Ölförderanlagen und alliierte Verbindungslinien angegriffen habe - behauptete nicht einmal Schulze-Holthus selbst, der ansonsten, nämlich in der Wahrnehmung und Darstellung seiner indirekten Verdienste um die deutsche Kriegsführung, in hohem Maße das Urteil Sir Reader Bullards, während des Krieges britischer Gesandter/Botschafter in Teheran, rechtfertigte: "Schulze-Holthus suffered from megalomania, imagining himself a second Wassmuss, and supposing, quite wrongly, that he was keeping large numbers of British troops occupied." (Rezension von B. Schulze-Holthus: Daybreak in Iran. International affairs 31(1955), S. 392-393). (vgl. S. 77, Anm. 157 des rez. Buches)

Schulzes übersteigerte Einschätzung seiner Wirksamkeit ist via sein Buch vielfach in die Militär-Erinnerungsliteratur eingedrungen und als historisch zutreffend behandelt worden. Schwanitz scheint sie aber ebenfalls so anzusehen, da er, wiederum mit Zustimmung, fortfährt:
"Auch [Paul] Leverkühn meinte in der Rückschau [Der geheime Nachrichtendienst der Wehrmacht im Kriege, Frankfurt a. M. : Bernard & Gräfe, 1957], dieser habe viele englische Truppen gebunden."

2)Schwanitz schreibt von der "...rassistischen Komponente ..., die mit der Ideologie der Nazis im Iran verbreitet und im Text angedeutet wurde - Stichwort 'Arier'. ... [D]iese [fiel] auf fruchtbaren Boden, wo der religiöse Judenhass im Islam mit dem rassistischen Judenhass eine neuartige Mischung bildete. All dies verstärkte sich nach der Teilung Palästinas, der Gründung Israels und schließlich der islamischen Revolution."
Damit wird mehr oder weniger insinuiert oder dem Irrtum Vorschub geleistet, dass der Begriff in Iran seither annähernd im Nazi-Sinne - und daher zusammen mit dem zugehörigen rassistischen Antisemitismus - verwendet wurde und wird. An der betreffenden Stelle im Text (S. 148) heißt es aber: "In ihrem Bemühen, sich bei [den Stammesangehörigen] anzubiedern, machten [die Agenten] freizügigen Gebrauch von dem - auch heute noch in Iran sehr verbreiteten - Arier-Topos, wobei sie vernünftigerweise die ihnen geläufige rassisch-phänotypische Bedeutung des Begriffs hinter der verwandtschaftlich-moralischen, die für ihre Adressaten die relevante, wenn nicht überhaupt einzig existente war, verschwinden ließen."
Dieses Verständnis der Sache ist in Iran auch heute noch, trotz der verbreiteten Feindschaft gegenüber Israel, das vorherrschende. Das zu bemerken ist vielleicht nicht unnütz, da solche vermeintlichen Indizien für die Virulenz von rassistisch inspiriertem Antisemitismus sogar in den hintersten Winkeln der Bevölkerung in der gegenwärtigen politischen Situation leicht propagandistisch mißbraucht werden könnten.

REPLIK

Von Wolfgang G. Schwanitz

Der Begriff "operativ" bedeutet nicht nur, im militärischen Sinne direkt zu handeln, etwas zu sprengen und dergleichen, wie es der Autor zu eng sieht. Operative Bedeutung kann auch heissen, wichtige Informationen zu liefern, die für einzelne Aktionen oder militärische Gesamtbewegungen wichtig sind. Und so haben es die beiden Generäle zehn Jahre nach dem Ereignis bewertet. Sie wirkten an entscheidenden Stellen. Ihnen waren Informationen der Agenten aus dem Iran offenbar wichtig. Hier sehe ich ausnahmsweise einmal wenig Grund, dies zu bezweifeln.

Der Begriff "Arier" hat eine klare Geschichte. Er läuft selbst in den Epochen weit davor darauf hinaus, eine ethnische Gruppe über andere zu stellen. Inhaltlich erfuhren einzelne Komponenten zu verschiedenen Zeiten ein unterschiedliches Gewicht. Aber der Zusammenhang bleibt doch gleich. Im heutigen Iran ist es höchst fragwürdig, ob es eine "harmlose Interpretation" gibt, die dort noch dazu "vorherrschen" soll.
Es gibt nicht wenige Iraner, die Vorbild und Einfluss der Nazis als Faktor in ihrer eigenen Geschichte verstehen. Und gibt es noch "letzte Winkel der Unbedarftheit" angesichts der Medienrevolution? Die jüngsten Ereignisse sprechen wohl eine andere Sprache.