sehepunkte 9 (2009), Nr. 2

Josh Ozersky: The Hamburger

Josh Ozersky, food editor der online-Ausgabe des "New York Magazine", hat mit "The Hamburger" eine in weiten Strecken unterhaltsame und gut lesbare Studie über das ikonische US-amerikanische Nahrungsmittel schlechthin vorgelegt. In fünf Kapiteln zeichnet er die Geschichte des Hamburgers von seinen Vorläufern im 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart nach und streicht dabei dessen enorme Bedeutung für die Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur der USA heraus. Einleitend stellt Ozersky zwei aktuelle und konträre Interpretationen des Hamburgers vor, der - je nach politischer und kulinarischer Präferenz - entweder als ein gesundes Stück Fleisch für jedermann und Symbol der Freiheit oder aber als Produkt einer ökologisch katastrophalen Tierverwertung und Quintessenz der industriellen Standardisierung der Ernährung erscheint. Der Hamburger wird als umstrittenes und damit überaus interessantes Konsumgut sichtbar, in dem sich zentrale Entwicklungen, Diskurse und Gegendiskurse der US-amerikanischen Geschichte geradezu paradigmatisch bündeln.

Im ersten Kapitel skizziert Ozersky die frühe Entstehungsgeschichte dessen, was heute unter einem Hamburger zu verstehen ist, nämlich "a ground beef patty served on a white enriched bun" (5). Während der Ursprung des Hamburgers oft am von Deutschen in die USA importierten Hacksteak festgemacht wird, interessiert sich Ozersky weniger für migrantische Traditionen als für die sich in den USA vollziehende Industrialisierung der Ernährung, die er als Basis für den späteren Erfolg des Hamburgers herausstellt. Damit geraten andere Akteursgruppen in den Blick, allen voran der am Ende des 19. Jahrhunderts fest etablierte "beef trust", der Rindfleisch erstmals für (fast) alle Bevölkerungsschichten erschwinglich machte. Doch ist es nicht das im privaten Haushalt zubereitete und konsumierte (Fleisch-)Gericht, das zum nationalen Symbol avancierte. Erst der öffentliche Verkauf und Konsum des Hamburgers und seine Standardisierung, Kommerzialisierung und Medialisierung waren es, die ihn zu einer amerikanischen Ikone werden ließen. Während Ozersky also einerseits die strukturellen Bedingungen für den Erfolg des Hamburgers benennt, so meint er andererseits doch nicht darauf verzichten zu können, nach dem Erfinder des Hamburgers zu suchen. [1] Ohne neuere Ansätze der (kulinarischen) Innovationsforschung zu berücksichtigen und beispielsweise die Frage nach kollektiven Erfindungen zu stellen, bemüht Ozersky sich, die Hamburger-Innovation bestimmten Einzelpersonen zuzuschreiben. So kommt er im zweiten Kapitel auf Edgar Waldo "Billy" Ingram und Walter Anderson zu sprechen, die in den 1920er Jahren gemeinsam die Hamburger-Kette "White Castle" ins Leben riefen, um dann im dritten Kapitel die Geschichte von Richard und Maurice McDonald, Ray Kroc und Harry Sonneborn und damit der "McDonald's Corporation" zu schildern. Frauen sind in diesen Narrationen bemerkenswert abwesend.

Walter Anderson ist nach Ansicht Ozerskys die Erfindung des Hamburger-bun zuzusprechen, des Brötchens also, das aufgrund seiner festeren Kruste den Inhalt besser zu halten in der Lage war und damit nicht nur die Möglichkeit schuf, den Hamburger auch zum Mitnehmen (insbesondere für die Autofahrt) anzubieten, sondern ihm zudem ein unverwechselbares Aussehen verlieh. Während "White Castle" nicht nur mit der Standardisierung des Produkts, sondern auch der Verkaufsstellen begann, die alle in einheitlichem Design gestaltet waren, nahmen die McDonald-Brüder eine komplette Umstrukturierung des Produktionsprozesses in ihrem kalifornischen Burger-Restaurant vor. Auf eine besonders schnelle Form der (Selbst-)Bedienung setzend, reduzierten sie 1948 ihre Speisekarte auf wenige, einfach zuzubereitende Produkte und reorganisierten die gesamten Arbeitsvorgänge in Küche und Service nach tayloristischen Prinzipien. Bereits 1952 konnten die McDonalds auf diese Weise eine Million Hamburger im Jahr verkaufen. Der nationale und schließlich globale Durchbruch gelang ihnen aber erst durch das von Sonneborn initiierte Finanzierungssystem und die von Kroc entwickelte Kombination von persönlicher Inhaberschaft und big business, die nach Ansicht Ozerskys für den anhaltenden Erfolg von McDonald's verantwortlich zeichnen.

Eine weniger personalisierende und sozial- wie kulturhistorisch interessantere Darstellung bieten die Kapitel 4 und 5, in denen Ozersky nun auch die Konsumentenseite einbezieht und den Erfolg des Hamburgers zum einen ernährungshistorisch mit der US-amerikanischen Nachkriegsbegeisterung für Barbecues kontextualisiert und zum anderen das Fastfood-Restaurant als omnipräsenten und populären Treffpunkt insbesondere für Jugendliche herausstellt. Anschaulich legt Ozersky dar, wie sich die USA in den 50er Jahren endgültig zu einer mobilen, suburbanen Gesellschaft entwickelten und dass dem Hamburger in dieser Kultur eine zentrale Rolle zukam. Die 60er Jahre charakterisiert er dann als ein Jahrzehnt, in dem erstmals lautstark Kritik an den Fastfood-Ketten geübt und der Hamburger zudem zu einem Sujet der Gegenwartskunst, vor allem der Pop-Art, wurde. Dass der Hamburger in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen (kontrovers) verhandelt wurde, lässt sich als Zeichen dafür lesen, dass er nun endgültig zu einer nationalen Ikone geworden war.

Für die 1970er Jahre konstatiert Ozersky, unter anderem am Beispiel von George Lucas' American Graffiti (1973), eine 50er-Jahre-Nostalgiewelle, in welcher der Hamburger als Symbol einer (verlorenen) amerikanischen Unschuld fungiert habe (117). Zudem begann die neu gegründete Hamburger-Kette "Wendy's", ihr Speiseangebot um Salate zu erweitern und damit eine zunehmend gesundheitsbewusste Klientel anzusprechen. Die 1980er Jahre zeichneten sich laut Ozersky dann zum einen durch ein wachsendes Interesse an ethnic (fast) food ("Taco Bell"), zum anderen durch eine in Medien und Wissenschaft zunehmend härter formulierte Kritik an den sozialen wie ökologischen Folgen des Fastfood-Systems aus. Obwohl die US-amerikanischen Hamburger-Ketten in den 1980er und 1990er Jahren weltweit keinen guten Ruf mehr besaßen, betont Ozersky, dass sie in eben diesem Zeitraum einen nie da gewesenen globalen Expansionsschub erlebten. Der Hamburger sei zum "most powerful food object in the industrialized world" geworden (128).

Ozersky versteht den Hamburger dabei als ein "universally understood food" (5), ohne auf die divergierenden Aneignungsformen und Interpretationen des Produkts außerhalb von Nordamerika einzugehen. Auch wenn das Thema des Buches die ikonische Bedeutung des Hamburgers in den USA ist, so wäre ein kurzer Seitenblick auf die - auch von McDonald's - vorgenommenen Anpassungen an lokale Ernährungsgewohnheiten im Hinblick auf die verwendeten Fleischsorten, Soßen und Gewürze durchaus erhellend gewesen. Die Frage nach der Universalität und zugleich amerikanischen Identität eines bestimmten Konsumprodukts hätte durch eine Erörterung neuerer Forschungen nicht nur zu globalen Homogenisierungstendenzen im Sinne einer 'McDonaldisierung der Gesellschaft', sondern auch zu differenzierenden Prozessen im Sinne einer 'Glokalisierung' weit nuancierter ausfallen können. [2]

Es ist durchaus kein Nachteil, dass Ozersky die Geschichte der großen Hamburger-Ketten ohne anklagenden Ton erzählt, wie dies etwa für Eric Schlossers Fast Food Nation (2001) oder Morgan Spurlocks Super Size Me (2004) gilt. Schließlich verschweigt Ozersky weder die enorme Macht der Fleischindustrie und der Marktführer im Fastfood-Sektor noch die ökologischen Folgewirkungen dieser Form von Ernährung. Seine insgesamt deutlich personalisierende Geschichtsschreibung jedoch stößt schnell an ihre Grenzen und steht in einem ungeklärten Spannungsverhältnis zu den strukturellen Analysen. Abwechselnd müssen einzelne Akteure oder aber der McDonald's-Konzern insgesamt herhalten, um über "America's essential nature" (65) zu reflektieren. Angesichts der Darlegung widersprüchlicher und sich historisch wandelnder Interpretationen einer nationalen Ikone wie des Hamburgers können diese Versuche, etwas wesenhaft Amerikanisches auszumachen, nur erstaunen. Worin dies bestehen könnte, bleibt dann verständlicherweise auch recht vage; es entsteht aber der Eindruck, als sei es nicht zuletzt die wagemutige, durchaus auch skrupellose unternehmerische Leistung, die den effektivsten Weg der Produktion, der Vermarktung und des Konsums zu organisieren trachtet. Letztlich erzählt Ozersky eine Erfolgsgeschichte des Hamburgers, die - bei aller Kritik - doch zu einer Erfolgsgeschichte der USA gerät.


Anmerkungen:

[1] "This being a history of the hamburger, it's necessary to try to sort out who made the first one." (15)

[2] Vgl. George Ritzer: The McDonaldization of Society. An Investigation into the Changing Character of Contemporary Social Life, Thousand Oaks 1993; Mark Alfino / John S. Caputo / Robin Wynyard (eds.): McDonaldization Revisited. Critical Essays on Consumer Culture, Westport 1998; Roland Robertson: Glocalization. Time-Space and Homogeneity-Heterogeneity. In: Global Modernities, hg. von Mike Featherstone / Scott Lash / Ders., London 1995, 25-44; zu US-amerikanischen Fastfood-Ketten in Beijing und Moskau siehe die entsprechenden Beiträge in James L. Watson / Melissa L. Caldwell (eds.): The Cultural Politics of Food an Eating. A Reader, Malden 2005.

Rezension über:

Josh Ozersky: The Hamburger. A History, New Haven / London: Yale University Press 2008, 147 S., ISBN 978-0-300-11758-5, GBP 14,99

Rezension von:
Maren Möhring
Historisches Seminar I, Universität zu Köln
Empfohlene Zitierweise:
Maren Möhring: Rezension von: Josh Ozersky: The Hamburger. A History, New Haven / London: Yale University Press 2008, in: sehepunkte 9 (2009), Nr. 2 [15.02.2009], URL: https://www.sehepunkte.de/2009/02/14280.html


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