Geschenktipps zu Weihnachten

Susan Boettcher, Austin, TX


Bei der Fülle von Büchern, die ich in letzter Zeit persönlich oder beruflich, im Ganzen oder in Teilen wahrnahm, habe ich preiswerte Empfehlungen ausgesucht, die ich - in der Annahme, dass das Auspacken von Fachliteratur während der Bescherung keine ungetrübte Freude sei - gerne an idealtypischen Menschen meiner Bekanntschaft schenken würde.

Für Traditionalisten:

Theodor Fontane, Vor dem Sturm (dtv, 2004).

Dieses Geschenk brachte mir Freude jeweils als Beschenkte und Schenkerin und las sich gut bei schrägen Stadtweihnachten in Berlin und im Kaminsaal im Hotel auf der Wartburg mit fallendem Schnee und morgendlichen Gottesdienstbesuch in der Elisabethkapelle. Der Teil über Weihnachten auf Hohen-Vietz ist ein sinnliches Gedicht. Man atmet die Stille des Heiligabends ein; nimmt die politische Spannung unter der Märkischen Schneedecke wahr; liebt Marie, will Bernhard zu Vernunft rufen, fürchtet sich mit Lewin, beweint Tubal, bemitleidet Renate, und beendet die Lektüre zugleich mit Gefühlen der Erleichterung (Napoleon wird vertrieben!) und der Erbauung (noch einen Klassiker gelesen!). Mehr noch: Noch nie kamen so viele Ereignisse in einem Werk von Fontane vor. Ausserdem ist dieses Jahr die Vorstellung eines Sturms nach Weihnachten so aktuell wie lange nicht. Auch wenn Fontane keine Überraschung ist, bleibt dieses Buch der beste historische Roman, den ich empfehlen kann. Emotionale Fressgier bei der Lektüre am besten zu stillen durch Einnahme von saftigen Äpfeln mit gebuttertem Popcorn (für Amerikaner) bzw. schwarzem Tee mit Teepunsch und dickem braunen Weihnachtskuchen (für Deutsche), alles Naturalien, die mitgeschenkt werden können.

Für Weihnachtsmuffel:

Es gibt ihn in jeder Familie und jeden Freundeskreis: den Scrooge. Als Geschenk für den Menschen, der sich am liebsten vom Kindertrubel und Feiertagsleistungsstress auf das Sofa zurückzieht oder gar nicht feiert, empfehle ich

Kate Atkinson, Lebenslügen. Aus dem Englischen übersetzt von Anette Droemer (Knaur Verlag, 2008).

Dritter und bislang bester Krimi mit Privatermittler Jackson Brodie (Lektüre der Reihe nach nicht zwingend notwendig), in dem der Mord an einer Familie nach und nach mit den Vaterschaftsbeweisversuchen des kargen Ermittlers in Verbindung gebracht wird. Keine Sorge vor Krimifeinden: Das Buch ist eher Literatur als Krimi, und die richtig komplizierte Story wird gefüllt mit Anspielungen an Musik und Film, sowie mit Parallelen, die vielleicht Zufälle sind und vielleicht nicht. Das ganze Deutungsinstrumentarium des Historikers wird gefragt (inklusiv Schullatein) bei der nicht-linearen Erzählung. Auch im Geist unserer Tage wird die Apokalypse von einer entscheidenden Figur erwartet. Am Ende fühlt man sich wirklich klug bzw. kulturbewusst, wenn man alle Details bemerkt und einordnen kann. Zudem stellt das Buch genügend allgemeingesellschaftliche und persönliche Misere dar, um jeden Misanthrop in seinen tiefsten Überzeugungen zu befriedigen. Zu lesen mit Shawn Colvin, "Holiday Songs and Lullabies" (Sony/Columbia Records 1998) im Hintergrund: eine Platte nachdenklich-reflektierter angloamerikanischen Weihnachtsmusik, die erst recht keine staubige Weihnachtstradition pflegt. Nichts für Country & Western-Feinde, labt aber Menschenseelen, die langsam die immerwährenden Chorknaben vom Plattenspieler demonstrativ verjagen möchten.

Für den Menschen, den man mit der Belesenheit seines Geschenks beeindrucken will:

Aviad Kleinberg, Flesh Made Word: Saints' Stories and the Western Imagination, translated by Jane Marie Todd (Cambridge: Harvard University Press, 2008).

Gleichsam ein Geschenk für den Leser, der gerne (intelligente, für breite Kreise aufschliessbare) Fachliteratur unter dem Weihnachtsbaum entdeckt. In sieben Vignetten sondiert der Verfasser die subversive Tiefe und Wendigkeit der scheinbar einfachen Heiligenviten mit einer Subtilität, die an frühere Interpreten der jüdischen Erzählungen erinnert und die (im Gegensatz zu manchen neueren Analysen) sich nicht von dem Sensationswert der Viten aufhalten lässt; das Anbringen eines Zitats des Nachman von Bratislav am Buchanfang wird dem Leser als bezeichnend schlicht erscheinen. Von den störrischen Visionen der Perpetua, zur Selbstgeisselung des Simeon Stylites (der mit achtzehn sich so sehr verwundete, dass Würmer den unbefristeten Aufenthalt in seinem Körper aufnahmen), zu den kraftvollen Eskapaden von Fra Ginepro, der unentwegt den Heiligen Franciscus zu seinem Straight-man macht, erzählt und deutet der Tel Aviver Professor und Israeli-public intellectual in diesem Buch die Viten mit sorgsamen aber provokativen Ansätzen, die die erzählerische Räume aufzeigen, die zeitgenössische Hörer gebrauchen könnten, um deren eigene Bedeutungen in die offiziell-sanktionierten Moralgeschichten einzubringen. Dies kann man auch auf Französisch (Gallimard, 2005) sowie Ivrit (Zemorah-Bitan, 2000) lesen; schade, dass es noch keine deutsche Ausgabe gibt.

Für den Kunstbesinnten und der memoria wegen:

Michael Baxandall, The Limewood Sculptors of Renaissance Germany (New Haven: Yale University Press, 1980).

Veranlasst durch die Nachricht vom Tod des illustren Kunsthistorikers nahm ich diesen Band neulich wieder in die Hand. Auch wenn ich bezweifele, ob es für uns eigentlich möglich ist, ein Kunstwerk mit Baxandalls "period eye" zu sehen, hat mich dieses Buch endlich überzeugt, dass die Kunstgeschichte unabdingbar für eine gelungene Reformationshistoriographie sei. (Das Buch wurde auch besser durch die zunehmenden Kenntnisse der in diesem Fall vorher etwas kunstunbewussten Rezensentin.) Baxandall bringt so viele Themen zusammen - Algorithmen und Rechnungskunst mit Gestik und Paracelsus, z.B., als Hintergrund für seine Ausführungen zum zeitgenössischen Bildverständnis - und liefert dabei ein unvergleichlichen Eindruck von dem Milieu und dem geistigen und sozialem Gestaltungshorizont des mitteleuropäischen Künstlers. Zahlreiche schwarz-weiss Fotos sorgen für das zeitlose Erscheinungsbild des Buchs als Objekt. Und ich fand es irgendwie sympathisch zu erfahren, dass Veit Stoßens Familie ihn schwierig (geschreiig!) fand.

An dieser Stelle möchte ich auch Bridget Heal, The Cult of the Virgin Mary in Early Modern Germany (Cambridge University Press, 2008) erwähnen, ein Buch, das ich sofort ins Herz geschlossen habe und an dieser Stelle empfohlen hätte, wäre Baxandall nicht gerade gestorben. Glücklicherweise braucht Heal noch keine memoria und wir können uns auf ihre weitere Bücher zu einem anderen Weihnachten freuen.

Für den unter Fernweh leidenden Gesellen, der es aber zu Weihnachten nicht zugeben darf:

Arne Karsten, Kleine Geschichte Venedigs (München: Beck, 2008)

Im letzten Jahr wollte ich nach Venedig reisen und tat es doch nicht. Dieses Buch müsste aber jeden Leser dazu anregen, die Reise zur Serenissima anzutreten, wenn auch nur in den Gedanken. Man nimmt Karsten eher als Rom- denn als Venedig-Profi wahr, dennoch appliziert er hier zur Gattung des kurzen Kunst- bzw. Geschichtsführer seine gewinnende Art als Kunstdozent sowie seine Fähigkeit, energische, bildhafte aber nie überschwängliche Prosa für Ungeweihte zu schreiben. Die grosse Stärke des kleinen Buchs liegt in seiner Fähigkeit, den Leser von dem (aus Unterricht und Medien) allgemeinbekannten Momenten der venezianischen Kunst zu weniger bekannten historischen Entwicklungen und Figuren zu führen und aufzuklären; der Leser leidet nie unter den (in der Renaissance-Literatur allzuoft von mir empfundenen) eigenen Unkenntnissen und schliesst das Buch mit einem Gefühl, dass man wirklich einen Einblick in die bewegte Geschichte des beliebten Reiseziels gewonnen hat. Die Illustrationen sind schön und gut ausgesucht, und das Buch vernachlässigt nicht die leicht melancholische moderne Stimmung der Stadt (Zerstörung, Zerfall, Flutgefahr). Der stark gekürzte Blick über zweitausend Jahre Stadtgeschichte vermag vielleicht nicht jeden Experten zufrieden zu stellen, doch deutet dieses Geschenk für den Empfänger einen zusätzlichen fröhlichen Ausblick für das zu baldigem Ende des Weihnachtsfests an: Fasching lässt nicht lange auf sich warten!