Geschenktipps zu Weihnachten

Constantin Goschler, Bochum


Meine Bücherliste ist etwas düster ausgefallen, vielleicht liegt das am aktuellen Lichtmangel. Aber nach Weihnachten wird es ja bekanntlich wieder heller. Die ausgewählten Titel kreisen also alle um das Verhältnis von Utopie und Katastrophe, bevorstehende und zurückliegende, eingebildete und wirkliche, darum, wie man mit ihnen lebt und wie man sie schließlich überlebt.


Artur Klinaŭ: Minsk. Sonnenstadt der Träume, Frankfurt a. M. 2006.

Das Buch des weißrussischen Künstlers und Architekten Artur Klinaŭ schildert die weißrussische Hauptstadt Minsk als Stein gewordenen kommunistischen Zukunftstraum und gleichzeitig als Ort, an dem aus dem Scheitern des Kommunismus eine Topographie des Absurden hervorging. In der Tradition des Flaneurs entwirft Klinaŭ aus Spaziergängen durch Minsk und klugen Beschreibungen von Architektur und stadträumlichen Beziehungen eine Analyse sich überlagernder Zeitschichten zwischen Vorkommunismus, Kommunismus und Postkommunismus in einem Land, in dem bis heute Lenin-Denkmäler und Mercedes-Limousinen eine bizarre Symbiose eingehen. Dieses Buch verleiht auch ein Gefühl für den Mut kleiner Minderheiten in modernen Diktaturen, welche keine feuchten Gefängniszellen mehr benötigen, um Dissidenten einzuschüchtern.


Anthony Kauders: Unmögliche Heimat. Eine deutsch-jüdische Geschichte der Bundesrepublik, München 2007.

Geht es im ersten empfohlenen Titel um das Weiterleben nach der Utopie, so bezieht sich die zweite Empfehlung auf das Weiterleben nach der Katastrophe. Der britische Historiker Anthony Kauders hat eine ebenso knappe wie brillante deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte nach 1945 verfasst, die er mit klugen Gedanken zu Gegenwart und Zukunft jüdischer Identität in Deutschland beschließt. In sechs Kapiteln (Schuld - Geld - Israel - Demokratie - Gemeinde - Zukunft) skizziert er das schwierige Verhältnis zwischen Juden und Nicht-Juden in Deutschland nach dem Holocaust, das über Jahrzehnte hinweg ebenso auf einer Allianz des schlechten Gewissens wie auf Mechanismen des politischen Gabentauschs basierte. Wer genug hat von Weihnachtsgänsen und -liedern kann sich getrost mit Anthony Kauders Buch und einem Bagel in ein jüdisches Museumscafé zurückziehen und von Klezmer-Musik berieselt darüber nachsinnen, ob die Zukunft des Judentums in Deutschland in solchen "Jewish Spaces" liegt.


Harald Welzer: Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, Frankfurt a.M. 2008.

Der Sozialpsychologe Harald Welzer, der Historikern bislang vor allem durch seine Erklärungen mit der vergangenen Gewalt des Nationalsozialismus bekannt geworden ist, hat sich in seiner letzten Veröffentlichung mit Szenarien künftiger globaler Gewalt beschäftigt, deren Vorboten er bereits in Darfur angekommen sieht: In seinem Buch Klimakriege thematisiert er die sozialen Folgen des Klimawandels. Die Verbindung zwischen diesen Themengebieten liegt vielleicht in einer grundsätzlichen Beunruhigung über die Unfähigkeit von Menschen sich das Schlimmste vorzustellen zu können, während das Leben scheinbar normal weiter läuft. Welzer hat hier ein zutiefst pessimistisches Buch geschrieben - in der Hoffnung, dass er sich irrt.


Thomas Etzemüller: Ein ewigwährender Untergang: Der apokalyptische Bevölkerungsdiskurs im 20. Jahrhundert, Bielefeld 2007.

Statt sich von deprimierenden Zukunftsvisionen die Laune verderben zu lassen, kann man sich natürlich auch von der Wissenschaftsgeschichte trösten lassen und alle tristen Bilder ins Reich der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit verweisen. Thomas Etzemüller hat eine gleichermaßen streitbare und unterhaltsame Geschichte des apokalyptischen Bevölkerungsdiskurses im 20. Jahrhundert geschrieben. Mit Foucaultscher Perspektive auf die Mechanismen der "Biopolitik" dekonstruiert er die fortdauernde Kette demographischer Horrorszenarien, die vom deutschen "Volkstod" bis zum demographischen Untergang der FAZ-Leser-gebärenden Akademiker-Mutter reicht, als Teil eines mächtigen Normalisierungs-Diskurses. Gibt es eine Katastrophe jenseits des Diskurses?


Eric Hobsbawm: Gefährliche Zeiten: Ein Leben im 20. Jahrhundert, München 2006.

Am Ende bleibt so nur noch das Lob des Alters und der damit gelegentlich verbundenen Weisheit. Zum Abschluss der Weihnachtslektüre empfehle ich daher die Memoiren eines wirklich alten und wirklich weisen Historikers, der neben seiner eigenen marxistischen Utopie auch viele andere Katastrophen überlebt hat. Der 1917 geborene Eric Hobsbawm hat sein Buch als B-Seite (verstehen das junge Menschen überhaupt noch???) seiner hier gleich mit empfohlenen Geschichte des 20. Jahrhunderts empfohlen, deren Titel Zeitalter der Extreme zum geflügelten Wort geworden ist. In seiner Dankesrede anlässlich der jüngst erfolgten Auszeichnung mit dem Bochumer Historikerpreis verriet er seinem Publikum, welches historische Problem ihn heute am meisten beschäftige: der Widerspruch zwischen der ständig zunehmenden Beschleunigung des Wandels und dem Wunsch der Menschen, das alles so bleibe wie es ist.