sehepunkte 8 (2008), Nr. 2

Wolfgang Brückner: Lutherische Bekenntnisgemälde des 16. bis 18. Jahrhundert

Obwohl sich der Begriff der Konfession als Bezeichnung einer kirchlichen Sonderorganisation mit eigenständiger körperschaftlicher Verfassung in der Christentumsgeschichte erst um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert eingebürgert hat, reicht der Prozess der Konfessionalisierung, den die Terminologiegeschichte des Konfessionsbegriffs in ekklesiologischer Hinsicht mit eigentümlicher Verspätung reflektiert, in die Mitte des 16. Jahrhunderts zurück, um im 17. Jahrhundert sowohl seinen Höhepunkt als auch seinen historischen Niedergang zu erleben. Dabei ist unter Konfessionalisierung nicht nur die denominationelle Etablierung separater Kirchentümer zu verstehen, die sich im Zuge der Glaubensspaltung der westlichen Christenheit fortschreitend ein eigenes Bekenntnis, eine eigene organisatorische Verfassung und eine entsprechende religiös-sittliche Lebensform geben; der Konfessionalisierungsprozess erfasst darüber hinaus die gesamte Sozialgemeinschaft einschließlich des Rechtslebens und der Wissenschaften, die er durchdringt und formiert. Eng verbunden war dieser Prozess mit der Ausbildung frühmoderner Staatlichkeit, wie unterschiedlich sich diese im Einzelnen darstellen mochte, und mit einer im Vergleich zu mittelalterlichen Verhältnissen forcierten Umgestaltung des zivilen Gemeinwesens, die durch gesteigerte Ausdifferenzierung einerseits und simultane Homogenisierung andererseits gekennzeichnet ist.

Folgt man dem Urteil von Brückner, dann setzt die historische Forschung für die beginnende Konstitution konfessioneller Kirchentypen "die Daten jeweils abschließender dogmatischer Vereinbarungen an, also für die katholische Konfessionalisierung die Dekrete des Konzils von Trient im Jahre 1564; für die lutherische Konfessionalisierung das Erscheinen des Konkordienbuches 1580 und für die reformierte Konfessionalisierung die Dordrechter Synode von 1619" (120). Über Datierungsfragen kann man streiten; unstrittig ist, dass die für die Zeit von der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert bis zum Anfang der 30er-Jahre des 17. Jahrhunderts im Luthertum zu beobachtende "Erfindung und Ausformung des Typus der Augustana-Bekenntnisbilder" (ebd.) einen medialen Reflex des Prozesses fortschreitender Konfessionalisierung darstellt. Auf den rund vierzig, mit umfangreichen kanonischen Beschriftungen versehenen Konfessionsgemälden aus dem Geltungsbereich der Wittenberger Reformation, die heute noch greifbar sind, kommen zum einen die Repräsentanten der Stände zur Darstellung, die auf dem Augsburger Reichstag 1530 die Confessio Augustana an Kaiser Karl V. übergaben; abgebildet wird zum anderen das in der Abendmahlsfeier konzentrierte kirchliche Leben im Zeitalter der lutherischen Barockscholastik, als deren Grundlagendokument die CA invariata in Lehrkonstruktion und häresiologischer Kritik gegen so genannte Altgläubige einerseits und Anhänger der Züricher und Genfer Reformation bzw. des linksreformatorischen Lagers andererseits diente.

Die von Brückner mit großer Sorgfalt analysierten Gemälde sind Dokumente einer konfessionell-konfessionalistischen Erzähl-, Erinnerungs- und Argumentationskultur, die nicht nur als Mittel der Tradierung wesentlicher Glaubensgehalte fungiert, sondern im Kontext der religiösen Selbstvergewisserung im Sinne der Wittenberger Reformation der soziokulturellen Identitätsstabilisierung überhaupt dient. Um aus lokalpatriotisch-herkunftsbedingtem Anlass das Konfessionsbild der kleinen fränkischen Reichsstadt Weißenburg als Anschauungsbeispiel zu wählen: Es repräsentiert eine Fortentwicklung des 1599 von dem Nürnberger Künstler Andreas Herneisen (1538-1610) geschaffenen ersten voll ausgebildeten lutherischen Bekenntnisgemäldes, das zwar ikonographische Vorläufer hat, aber den originären Ausgangspunkt eines eigenen Bildtyps darstellt. Seine Varianten sowie Exemplare später ausgebildeter Typen - wie insbesondere des sächsisch-thüringischen - sind von Brückner auf dem Hintergrund einschlägiger Beispiele mittelalterlich-frühneuzeitlicher Ikonographie, die für die typischen Konfessionsbilder einflussreich wurden, unter Aufwand hoher Gelehrsamkeit dokumentiert und analysiert worden. Für die Typengenese sind die Ausführungen zum "Naumburger" Versöhnungsgemälde von 1565, der so genannten Wettiner Augustana-Bestätigung, von besonderem Interesse. Von hoher Relevanz für die Entwicklungsabfolge der von den emblematischen Bildumsetzungen der Augustana charakteristisch unterschiedenen Konfessionsgemälde ist der von Brückner überzeugend geführte Nachweis, dass das Schweinfurter Bekenntnisbild nicht, wie bisher fast ausnahmslos angenommen, aus den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts stammt und deshalb als Urbild aller späteren Fassungen des Themas zu gelten hat, sondern erst nach 1618 im Anschluss an das Eisenacher Erinnerungsdenkmal zur ersten Säkularfeier der Reformation entstanden ist. Das erwähnte Weißenburger Konfessionsbild wurde 1606 bei dem der Werkstatt Herneisens verbundenen Nürnberger Maler Wolff Eisenmann für die städtische Pfarrkirche St. Andreas in Auftrag gegeben, wo es sich heute noch befindet, wenn auch nicht mehr am angestammten Platz.

Gleich einem Flügelaltar ist das Hauptgemälde von vier korrespondierenden Szenen seitlich gerahmt: Gezeigt werden das Passahmahl vor dem Auszug aus Ägypten und in Entsprechung hierzu das Abendmahl Christi, sodann der Durchzug der Israeliten durchs Schilfmeer, dem nicht die Taufe, sondern die Übergabe der Confessio Augustana zugeordnet wird. "Der Kaiser sitzt in prunkvoller Rüstung auf dem Thronsessel, zu seiner linken Seite der Erzbischof von Mainz und vor ihm kniend der Kurfürst von Sachsen - den Kurhut zur Seite gelegt - mit den Bekenntnisschriften. Beigegeben sind ihm die Worte aus dem 119. Psalm, die auch auf dem Titelblatt der Augsburger Konfession stehen: 'Ich rede von deinen Zeugnissen vor Königen und schäme mich nicht.' Unter den Bekennern hebt sich der Vertreter von Weißenburg durch seinen weißen Pelz von den Abgeordneten der anderen Städte deutlich hervor." [1] Im Unterschied zu den Vorbildern ist diese Szene in eines der Seitengemälde verlegt worden. Im Zentrum hingegen steht das gottesdienstliche Geschehen - hingeordnet auf den dreieinigen Gott, welcher in der mit der dreifachen Krone des Weltenherrschers versehenen Person Gottvaters, in derjenigen Jesu Christi als des auferstandenen Gekreuzigten und in der Gestalt einer herabkommenden Taube, welche die Hypostase des kircheschaffenden Hl. Geistes symbolisiert, wesenseinig sowie in bildimmanenter und den Rahmen des Bildes zugleich transzendierender Weise vorstellig wird. Als geistliche Vollzüge der Kirche, in welcher der Geist des in Jesus Christus offenbaren Gottes wirksam ist, werden neben Christenlehre, Chorgesang und Trauung die Taufe, das Abendmahl und das Bußinstitut abgebildet. Ein Großteil der Stifter kommuniziert am Tisch des Herrn, unter ihnen Johann Roth samt Ehefrau, dessen Vorfahre als Vertreter der Stadt am Augsburger Reichstag teilgenommen hatte. Eine weitere Stiftergestalt, der Kärntner Glaubensemigrant Balthasar Christalnig, waltet im Beichtstuhl seines Amtes. Auf der Kanzel aber steht der Weißenburger Stadtpfarrer Georg Nudinger und verweist auf die eherne Schlange zwischen ihm und dem Gekreuzigten.

Das Weißenburger Bekenntnisbild ist mit einer Breite von ca. fünfeinhalb Metern nicht nur das Größte seiner Art, es enthält auch mit der Wendung "Religions-Exercitia" die früheste Selbstbezeichnung der Gemälde, die charakteristisch ist für die zentrale Thematik ihrer typischen Formen. "Die Konfessiongemälde wollen zwar in ihren Hintergrundszenen eine 'illustrierte Confessio Augustana' sein, aber sie bieten keinen ins Bild gesetzten vollständigen Text. Sie spiegeln vielmehr die um 1600 endgültig ausformulierte lutherische Orthodoxie auf der dogmatischen Basis der C.A. und der pastoralen Traditionsbildung der nachfolgenden Kirchenordnungen in ihrem praktischen Vollzug der voran fränkischen und thüringischen Gemeinden landesherrlicher wie stadtrepublikanischer Verfassung im Reich. Nicht die längst ausdiskutierte Frage von 'Gesetz und Gnade' - als Grundlage der noch von Luther selbst angeregten Bekenntnis-Ikonographie - steht im Mittelpunkt, sondern die Festschreibung des im 16. Jahrhundert etablierten neuen kirchlichen Lebens in der spezifischen Ausprägung der Gnesiolutheraner." (159) Dass unter diesem Gesichtspunkt im Verein mit den unverzichtbaren Standards kirchlichen Lebens im Sinne lutherischer Orthodoxie auch die Ordnung der Stände zu detailgenauer Darstellung gebracht wird, wie sie unter den gegebenen Bedingungen der Zeit in Geltung stand, ist ein weiterer Beleg für die Tatsache, dass sich der Prozess der Konfessionalisierung, den die Konfessionsbilder in der Perspektive der Wittenberger Reformation dokumentieren, nicht auf einen umgrenzten geistlichen Bereich beschränkte, sondern das ganze Gemeinwesen betraf und umfasste.


Anmerkung:

A. March: Bilder zur Augsburger Konfession und ihren Jubiläen, Weißenhorn/Bayern 1980, 52

Rezension über:

Wolfgang Brückner: Lutherische Bekenntnisgemälde des 16. bis 18. Jahrhundert. Die illustrierte Confessio Augustana (= Adiaphora. Schriften zur Kunst und Kultur im Protestantismus; Bd. 6), Regensburg: Schnell & Steiner 2007, 292 S., 180 Abb., ISBN 978-3-7954-1937-0, EUR 34,90

Rezension von:
Gunther Wenz
Evangelisch-Theologische Fakultät, Ludwig-Maximilians-Universität München
Empfohlene Zitierweise:
Gunther Wenz: Rezension von: Wolfgang Brückner: Lutherische Bekenntnisgemälde des 16. bis 18. Jahrhundert. Die illustrierte Confessio Augustana, Regensburg: Schnell & Steiner 2007, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 2 [15.02.2008], URL: https://www.sehepunkte.de/2008/02/13637.html


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