sehepunkte 8 (2008), Nr. 2

Horst Dinstühler: "Itzo redt sie mitt dem teuffell"

Die vorliegende Arbeit präsentiert vor dem Hintergrund einer schwierigen Überlieferungssituation den relativ gut dokumentierten Fall der Grete Bogen, die im Jahre 1606 in der Stadt Jülich wegen Hexereiverdacht von Einwohnern tot geprügelt wurde. Das Buch ist in fünf Teile gegliedert: 1. eine allgemeine Einleitung, welche die Entwicklung der deutschen Hexen-Forschung in den letzten 30 Jahren knapp resümiert (7-10), 2. eine intensive Erörterung der Forschungs- und Quellenlage zur Hexenverfolgung im Herzogtum Jülich und insbesondere im Umfeld des Jülicher Hauptgerichtes (18-23); dazu gehört auch eine Liste der in Jülich und vor dem dortigen Haupt- und Stadtgericht verhandelten Fälle in Sachen Zauberei, Hexerei, Besessenheit und darauf bezogener Beleidigungsklagen (diese Differenzierung bleibt nachzutragen!) (24-39), 3. der Hauptteil, welcher den Fall der erschlagenen Grete Bogen im Einzelnen darstellt (40-64), 4. eine Edition des Untersuchungsprotokolls, der Hauptquelle zum Fall (65-108), 5. den Anhang mit einer chronologischen Darstellung, einem Orts- und Personenregister und einem Glossar (109-124).

Der Autor tut gut daran, seinem Buch eine knappe Einführung in die neuere Forschungslage voranzustellen, um auf diese Weise die noch immer kursierenden Fehleinschätzungen hinsichtlich Ausmaß, Verlauf und Charakteristik der Verfolgungen zu korrigieren. Hierzu sind jedoch einige Bemerkungen anzubringen:

1) Die Herkunft des Glaubens an eine Weltverschwörung durch Teufel und Hexen aus der spätmittelalterlichen Ketzerverfolgung ist ganz unstrittig und mittlerweile durchaus gut erforscht (vgl. 14), wie den entsprechenden Artikeln der "Encyclopedia of Witchcraft" (2006) zu entnehmen ist. Doch so wie schon der Katalog der Untaten, welche die Papstkirche den Ketzern anhing, erfunden war, beruhte auch die Steigerung und Übertragung dieser Vorstellungen auf die "Hexen" ganz überwiegend auf der Phantasie von Inquisitoren und Propagandisten, die nur allzu sehr ihren eigenen Ängsten oder Wünschen anhingen.

2) Richtig ist, dass für das Zustandekommen von Verfolgungen immer eine irgendwie geartete Entsprechung von Verfolgungswünschen wenigstens in Teilen der Bevölkerung und Verfolgungsbereitschaft bei den lokalen wie übergeordneten Obrigkeiten vorhanden sein musste. Daraus mussten jedoch nicht gleich "Massenverfolgungen" (15 f.) resultieren, ein Begriff, den man wohl besser auf die schrecklichen Ereignisse begrenzt, wie sie etwa in den fränkischen Fürstbistümern Würzburg und Bamberg 1627-1630 mit Hunderten von Opfern aller Alters- und Sozialgruppen stattfanden. Zwischen diesen, sich praktisch jeglicher Steuerung entziehenden Verfolgungen und dem Typus der vereinzelten Prozessfolge steht ein mittlerer Typus von Kampagne, die sowohl durch Komplizennennungen geständiger "Hexen" als auch durch entsprechendes Engagement in Teilen der Bevölkerung über Jahre in Gang gehalten wurde. Organisationsformen wie die in Kurtrier notorischen Inquisitions- und Anklageausschüsse der Gemeinden, konnten ein Vehikel solcher anhaltender Verfolgungen mittleren Typs sein, ebenso aber auch verfolgungseifrige Amtleute, reisende Kommissare und landsässige Adlige mit eigener Gerichtsbarkeit, wie sie für den kurkölnischen Raum bekannt sind.

3) Das alte Akkusationsverfahren mit seinen Vorschriften, welche einem Ankläger die Verantwortung für das mögliche Scheitern seiner Klage auflegten, war sicherlich ein Prozesshemmnis (15). Aber auch dort, wo Prozesse noch akkusatorisch eingeleitet wurden, kam trotzdem im Verfahren selbst die Methode der inquisitorischen Beweiserhebung zum Zuge. Entscheidend war, welche Rechte trotz akkusatorischer Einleitung und inquisitorischer Durchführung von den Prozessverantwortlichen bzw. der aufsichtführenden Zentralregierung den Angeklagten zugebilligt wurden. Ob die Rolle lokaler Gerichte dabei eher negativ eingeschätzt werden muss (15 f.), ist fraglich, da diese vor dem Hintergrund der Übernahme des Verfahrens durch die Obrigkeit ohnehin meist nur noch zeremonielle Funktionen hatten, und nicht selten ging die soziale Stoßrichtung von Hexereianklagen aus der Dorfgemeinschaft sogar direkt gegen die Mitglieder lokaler Gerichte bzw. ihre Frauen.

Es kennzeichnet die Vielfalt der bei Hexenverfolgungen zum Tragen kommenden Elemente, dass die genannten Überlegungen im Grunde für den von Dinstühler vorgestellten Fall praktisch ohne Belang sind: Ohne den Weg einer förmlichen Anklage bei der Obrigkeit zu beschreiten, wird eine Frau in einem lange währenden Martyrium im Hause eines Schneiders, den sie verhext haben soll, langsam zu Tode geprügelt, weil sie sich außerstande sieht, der Forderung, ihr vermeintliches Opfer wieder gesund zu machen, nachzukommen. Der Anstifter dazu: ein "Pastor", der vermutlich im zu Kurköln gehörenden Ort Neuerkirch bei Grevenbroich ansässig war und eine außerordentlich gut florierende Praxis als Hexenbanner unterhielt. Mit dieser Person tritt uns ein Repräsentant der nur selten konkret in Erscheinung tretenden und doch so ungemein wichtigen volksmagischen Szene gegenüber, zu der natürlich auch die ebenso als Hexenbanner und Heiler tätigen 'weisen Frauen' gehörten, womit erneut klar wird, dass es mit diesen Personen eine ganz andere Bewandtnis hatte als die naive These von der "Vernichtung der weisen Frauen" behauptet.

Obwohl die Jülicher Obrigkeit noch am Tage vor der Tötung der Grete Bogen wegen der um sie kursierenden Gerüchte eine erste Zeugenbefragung vorgenommen hatte, waren Mitglieder der Familie des vermeintlich verhexten Schneiders und zu ihr haltende Personen entsprechend dem Rat des Pfarrers bereits gegen sie vorgegangen und hatten sie mit Gewalt zwingen wollen, die Verhexung 'in 1000 Teufels Namen' wieder zurückzunehmen. Als Grete Bogen nach stundenlangen Schlägen tot war, warfen die Täter ihre Leiche auf einen Misthaufen und flüchteten aus der Stadt. Es folgte ein obrigkeitliches Strafverfahren, das im Endeffekt relativ milde Bußen verhängte, weil die Täter sich durch ihre Flucht in erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten gebracht hatten bzw. teilweise sich auch mit dem Ehemann der Ermordeten 'verglichen'. Der geistliche Anstifter der Tat blieb unbehelligt.

Während Dinstühler den sozialen Hintergrund des Opfers und ihres Ehemannes noch näher beleuchten konnte, fehlen weitere Angaben zu ihrem Verhältnis gegenüber dem Schneider und seiner Frau - bis auf die Tatsache, dass der Erkrankung des Schneiders eine Reklamation der Grete Bogen wegen einer bei ihm bestellten Jacke vorausgegangen war. Wenngleich der Fall somit schon quellenbedingt sich einer Einordnung in eine strukturelle Konfliktkonstellation zu entziehen scheint, ist er in mentalitätsgeschichtlicher Hinsicht um so aufschlussreicher: Keiner der am qualvollen Tod der Grete Bogen Beteiligten hatte auch nur die Spur von Angst vor der 'Hexe', selbst als sie einem drohte, worauf der Sohn des verhexten Schneiders ungerührt entgegnete: "Ei du Teufelsche / was willst du mir tun? Für den Teufel und dich kann ich mich segnen", um dann weiter auf sie einzuschlagen (47). Aber wenn der Schutz vor Hexerei so leicht war, warum hielten sich dann viele so schnell für verhext? War es allein die Zugehörigkeit zu einer Gruppe, welche Sicherheit versprach? Und wenn ja, was sagt dies über den Hexenglauben aus? Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang ein Beleg aus der oben erwähnten Belegliste (35): 1667/68 wird eine vor dem Jülicher Amtmann beschuldigte 80jährige Frau wieder freigelassen, nachdem sie gestanden und zugesagt hatte, dem angeblich von ihr verhexten Mann diese Verhexung wieder "abzunehmen" - was ihr allerdings nicht gelingt, sodass sie wieder inhaftiert wird und noch vor Anwendung der "peinlichen Frage" an den Folgen der Haft verstirbt.

Weil die Zunahme von Lynchmorden in anderen Fällen (z. B. in Frankreich) als klassische Reaktion auf eine Unwilligkeit der Obrigkeit zur Verfolgung von Hexerei gilt (dazu gehören auch die Tausenden von Fällen, die sich in den letzten Jahrzenten in den Ländern des südlichen Afrika zutrugen!), erhebt sich die weitere Frage, ob denn ein solcher Hintergrund für das Herzogtum Jülich eine Rolle gespielt haben könnte, was Dinstühler unter Hinweis auf die "unter strenger obrigkeitlicher Kontrolle" stehenden örtlichen Justizorgane bejaht (58). Damit stellt sich allerdings auch die Frage, welche Wirkung die Kritik, die der Leibarzt des Herzogs Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg, Johann Weyer (1515-1588), am Hexenglauben übte, hier in seiner unmittelbaren Umgebung gehabt hat. Thomas P. Becker hat der Auffassung widersprochen, wonach das Herzogtum aufgrund von Weyers Wirken zur prozessarmen oder gar prozessfreien Zone gerechnet werden müsste; Dinstühler wiederum hat die von Becker herangezogene Quellengrundlage teilweise in Frage gestellt (20-22), zugleich aber nicht das Gegenteil behauptet, vielmehr die Notwendigkeit betont, dass die immer noch äußerst schmale Quellengrundlage durch systematische Auswertung aller noch vorhandener Spuren verbreitert werden müsse (23). Zur Erreichung dieses Zieles ist der vorliegende Band ein wichtiger Baustein, in dessen Art man sich schon bald weitere Beiträge wünschen darf.

Rezension über:

Horst Dinstühler: "Itzo redt sie mitt dem teuffell". Hexenglauben und Lynchjustiz in Jülich (= Veröffentlichungen der Joseph-Kuhl-Gesellschaft zur Geschichte der Stadt Jülich und des Jülicher Landes; Bd. 43), Jülich: Verlag der Joseph-Kuhl-Gesellschaft 2006, 131 S., ISBN 978-3-932903-34-2, EUR 12,00

Rezension von:
Walter Rummel
Landesarchiv Speyer, Speyer
Empfohlene Zitierweise:
Walter Rummel: Rezension von: Horst Dinstühler: "Itzo redt sie mitt dem teuffell". Hexenglauben und Lynchjustiz in Jülich, Jülich: Verlag der Joseph-Kuhl-Gesellschaft 2006, in: sehepunkte 8 (2008), Nr. 2 [15.02.2008], URL: https://www.sehepunkte.de/2008/02/12425.html


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