sehepunkte 7 (2007), Nr. 11

Christopher Breward / Caroline Evans (eds.): Fashion and Modernity

Dieses Buch verfolgt nicht die Absicht, eine Theorie von Mode und/oder Moderne zu geben. Vielmehr versammelt es heterogene Beiträge, die freilich interessante, z. T. unerwartete Schlaglichter auf Aspekte des Themas werfen. Angesichts der Vielzahl von Moderne-Definitionen beschränken die Herausgeber eingangs "Modernität" im Sinne eines Arbeitsbegriffs auf "the development of consumer culture in the wake of eighteenth- and nineteenth-century industrialisation. Like fashion its effects are intimately concerned with the relationship between the two processes of production and consumption." (1)

Den einführenden theoretischen Rahmen bietet dann im ersten Aufsatz Elizabeth Wilson, die 1985 mit "Adorned in Dreams: Fashion and Modernity" eine umfangreiche Auseinandersetzung mit Mode und Modernität vorgelegt hat. Paradox an der Aufklärung sei, so Wilson, dass einerseits Verstand und Wissenschaft zu kulturellen Paradigmen wurden, während sich gleichzeitig der vollständig irrationale industrielle Kapitalismus entwickelte. Die Moderne sei nicht durch Vernunft geleitet, sondern konstituiere sich durch 1. Geschwindigkeit, Beweglichkeit und Veränderlichkeit; durch 2. die Ausbreitung der Massenproduktion in alle Lebensbereiche, durch 3. Reflexivität, die statt ersehnter Sicherheit unablässige Veränderung - also Mode - produziere, und schließlich 4. durch die Nostalgie nach dem Verlorenen.

Drei Abschnitte folgen: "Producing Identities", "Performing Bodies" und "Processes of Modernity". Jeder Abschnitt enthält drei Aufsätze, die sich dem Thema mehr oder weniger annähern; jedem Aufsatz ist eine "Response" angefügt, so dass der Band insgesamt Diskussionscharakter erhält.

Interessante historische Aspekte arbeiten vor allem folgende Aufsätze heraus: Caroline Dakers schreibt über den Aufstieg James Morrisons (1789-1857) vom kleinen Verkäufer zum modernen Unternehmer mit einem Geschäftsimperium (ein echter Vorläufer des Franzosen Aristide Boucicauts, dem großen Vorbild für Zolas Warenhausbesitzer in "Au Bonheur des dames", was Dakers freilich nicht erwähnt). Christopher Breward schreibt in "Ambiguous Role Models: Fashion, Modernity, and the Victorian Actress" über die Bedeutung von Music Hall-, Burleske- und Pantomime-Schauspielerinnen und ihren auf der Bühne und auf Fotos inszenierten Kostümen für die Herausbildung der "modernen", demokratisierten Mode des 20. Jahrhunderts, die sich um Berühmtheit, Inszenierung und die verführerischen Versprechungen der Konsumkultur organisiere. Und Caroline Evans' "Multiple, Movement, Model, Mode: The Mannequin Parade 1900-1929" präsentiert im Kontext der Wahrnehmungsveränderungen durch neue mediale Formate ein wenig bekanntes Kapitel aus der Früh-Geschichte des Model-Berufs, etwa die Entstehung der Modenschau aus einer speziell der Modewerbung gewidmeten Theaterform oder die Differenz zwischen französischen und US-amerikanischen Models zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die damit verbundenen unterschiedlichen Körpermoden. Ihre Hauptthese, die sie überzeugend nachweist, ist, dass die Modepräsentation durch lebende Mannequins im Zusammenhang zu sehen sei mit 1. den bewegten Bildern und 2. mit der Serialisierung im frühen Film und in der Fotografie. Sie verkörpere daher das moderne Paradox zwischen Individualität und Uniformität, vorgegaukelter Einzigartigkeit und tatsächlicher Masse.

Überraschende Einsichten vermittelt Kitty Hausers "The Fingerprint of the Second Skin" über die unverwechselbaren Spuren, die ein Mensch seiner Kleidung beim Tragen einprägt. Hauser fokussiert auf Jeans und macht klar, dass es nicht nur der Körper des Trägers ist, der die Hose unverwechselbar macht, sondern dass jede Jeans schon im Produktionsprozess einzigartig und unverwechselbar wenigstens in Details wird. Alistair O'Neills "Cuttings and Pastings" untersucht, welches "bricolage" Künstler und Designer (etwa) aus alten Presseausschnitten erfinden. So hat das avantgardistische Designer-Duo Viktor & Rolf für eine Modezeitschrift regelrechte Stillleben montiert. Weitere Beispiele sind eine Collage von Kurt Schwitters, ein Modeentwurf von Elsa Schiaparelli sowie Bilder der amerikanischen Künstler Barbara Kruger und Richard Prince. O'Neill analysiert die Funktion dieser Art von "bricolage" innerhalb der Modezeitschrift und des Modesystems: Es mache anschaulich, dass Cutting and Pasting von zentraler Bedeutung für die Mode in der Moderne sei, die sich mehr in Prozessen des Kreierens als um Resultate realisiere.

Weniger überzeugend sind aus meiner Perspektive folgende Aufsätze: Becky E. Conekin widmet ihren Beitrag dem Problem des biografischen Schreibens am Beispiel der Fotografin Lee Miller, die von der erfolgreichen Kriegsfotografin zur weniger überzeugenden Modefotografin und schließlich zur depressiven Hausfrau im Nachkriegsgroßbritannien wurde. Andrew Hill polemisiert in seinem methodisch nicht überzeugenden Essay, "People Dress So Badly Nowadays", gegen die weltweite Einförmigkeit zeitgenössischer Kleidung auf den Straßen und Einkaufsmalls und schließt daraus, dass Mode keineswegs (mehr) als Ausdruck einzigartiger Individualität fungiere. Leider reiht er nur persönliche Beobachtungen aneinander, statt zu analysieren, so dass der Text belanglos bleibt. Andrea Stuart geht in "Court Masques: Tableaux of Modernity in the Early Seventeenth Century?" der meines Erachtens nicht wirklich nahe liegenden Frage nach, ob die Court Masques, theatrale Aufführungen durch den Hof der Stuart-Zeit, als modern gelten können. In ihrer "Response" zum Aufsatz verneint Susan North die Frage zu Recht: Moderne sei nicht vom Massenkonsum zu trennen; dieser entstehe erst nach dem Civil War und den radikalen politischen Reformen im Zusammenhang damit, die sich gerade gegen die von den Masques repräsentierte Welt richteten.

Die heterogenen Beiträge des Sammelbandes sind von unterschiedlicher, aber in der Mehrzahl guter Qualität. Auch wenn er keine kohärente Theorie von Mode und/oder Modernität bietet, zieht sich doch die Frage nach der Modernität als roter Faden durch den Band, und zwar immer im Sinne der von den Herausgebern formulierten Arbeitsdefinition mit ihren Eckpunkten Konsumkultur, Massenproduktion und Rezeption. Letzten Endes, so muss man (wieder einmal) konstatieren, ist Modernität bzw. Moderne tatsächlich ein heterogenes, schwer in seiner Gesamtheit zu fassendes Phänomen, zumal wenn sie im Zusammenhang mit der wandelbaren Mode behandelt wird. Das versucht auch der den Band abschließende Essay "entropy (fashion) and emergence (fashioning)" von Jamie Brassetts zu veranschaulichen, wenn er die Mode spielerisch zwischen die Pole Emergenz und Entropie spannt.

Rezension über:

Christopher Breward / Caroline Evans (eds.): Fashion and Modernity, Oxford: Berg Publishers 2005, xv + 213 S., 40 s/w Abb., ISBN 978-1-84520-028-2, GBP 16,99

Rezension von:
Gertrud Lehnert
Universität Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Gertrud Lehnert: Rezension von: Christopher Breward / Caroline Evans (eds.): Fashion and Modernity, Oxford: Berg Publishers 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 11 [15.11.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/11/8747.html


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