sehepunkte 7 (2007), Nr. 6

Peter Jupp: The Governing of Britain 1688 - 1848

Der im September 2006 verstorbene Peter Jupp veröffentlichte in seinem letzten Lebensjahr diese Einführung zur Regierungspraxis in Großbritannien von der Glorious Revolution bis zum Jahr 1848. Obwohl als einführende Überblicksdarstellung zum langen achtzehnten Jahrhundert angelegt, zeigt die Arbeit dennoch viele Spuren der intensiven Forschertätigkeit Jupps, der mehr als 40 Jahre an der Queen' s University Belfast unterrichtete.

Das Hauptanliegen der Arbeit ist es, so Jupp in seiner Einleitung, die Veränderungen in der Regierungspraxis Großbritanniens darzustellen, das sich von einer europäischen Macht zweiter Klasse zur globalen Supermacht in der Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte. Dabei möchte er zwei Tendenzen der neueren Historiographie entgegenwirken. Zum einen wendet sich Jupp gegen eine zu schematische Darstellung der Entwicklung der Regierungspraxis. Konkret bezieht er sich auf die Arbeiten von J.C.D. Clark, English Society, 1688-1832 aus dem Jahr 1985 und John Brewer, The Sinews of Power, von 1989, deren Bedeutung er zwar keineswegs in Frage stellt, deren Erklärungsschemata er aber anhand von Detailuntersuchungen hinterfragen möchte. Die zweite Tendenz, der Jupp entgegenwirken möchte, ist der Verlust eines Verständnisses für längerfristige Entwicklungen in der Politikgeschichte. Aufgrund der Erweiterung des Themenfeldes in der historischen Forschung beschränke sich das Wissen von Geschichtsstudierenden im Felde der politischen Geschichte mehr und mehr auf einzelne Episoden. Jupp hingegen versucht mit dieser Arbeit einen Überblick zu geben, der längerfristige Entwicklungen aufzeigt und gleichzeitig paradigmatische Erklärungsmuster in Frage stellt.

Jupp teilt die Epoche in zwei Bereiche ein. In vier Kapiteln bespricht er zunächst die Zeit bis zum Regierungsantritt Georgs III. im Jahr 1760. Seine Gliederung bewegt sich dabei von innen nach außen. Zunächst stellt er die Strukturen der Exekutive dar (The framework of the executive). Dabei betont Jupp, dass sich diese in der Zeit bis 1760 noch nicht gefestigt hatten. Weder die Rolle des Monarchen, noch die Verantwortlichkeit und Hierarchie der einzelnen Ministerien ließen sich eindeutig festlegen. In dem zweiten Kapitel untersucht er anschließend die Regierungspraxis bis 1760 (Scope, purpose and achievements of the executive). Die wesentliche Entwicklung umschreibt Jupp auch hier als Evolution. Keine groß angelegten Reformversuche haben die Epoche charakterisiert. Stattdessen erprobten die einzelnen Instanzen der britischen Regierung ihre Ansprüche und Aufgabenbereiche in der Regierungspraxis selbst. Jupp stellt diese britische Entwicklung den Reformversuchen autokratischer Monarchen auf dem europäischen Festland, namentlich unter Peter dem Großen und Friedrich Wilhelm I., entgegen. Die Sonderrolle Großbritanniens versteht er in engem Zusammenhang mit der Rolle des britischen Parlaments, weshalb sich Jupp in seinem dritten Kapitel der Beziehung zwischen Parlament und Regierung (Parliament and government) widmet. Eine Hauptaufgabe der beiden Häuser, sowohl Oberhaus als auch Unterhaus, sieht er darin, eine pragmatische Regierungspraxis zu ermöglichen. Dabei wirkte das Parlament nicht nur als Schnittstelle zwischen der Exekutive und Interessengruppen, sondern - zumindest zu einem gewissen Grad - auch als Vermittler zur politischen Öffentlichkeit. Dieser widmet sich Jupp dann im vierten Kapitel, in dem er die drei Instanzen Exekutive, Parlament und Öffentlichkeit zusammenbringt (The executive, Parliament and the public).

Der zweite Teil der Darstellung, der die Zeit von 1760 bis 1848 behandelt, folgt der gleichen inhaltlichen Gliederung in vier Kapitel. Erneut öffnet sich der Blickwinkel von den Räumlichkeiten in Westminster und dem Hof in London zur Interaktion zwischen den politischen Instanzen untereinander und anschließend mit der Öffentlichkeit. Dabei greift Jupp die Fragen aus den einzelnen Kapiteln des ersten Teils erneut auf, um nun darzustellen, wie sich die angedeuteten Entwicklungen verfestigten. Die Trennung von Hof und Regierung, die Ausbildung des Amtes eines Premierministers, die Verfestigung von parteiähnlichen Strukturen und die schrittweise Ideologisierung politischer Argumente stellen dabei wichtige Themen seiner Interpretation dar. Seinem vorgegebenen Ziel, der ausgewogenen Bewertung von längerfristigen Entwicklungen, wird der Autor dabei stets gerecht. Anschaulich und kenntnisreich stellt er anhand der aktuellen Forschungskontroversen die verschiedenen Erklärungs- und Interpretationsmodelle dar und gleichzeitig in Frage.

Besonders im zweiten Teil, der die Zeit von 1760 bis 1848 behandelt und der um etwa die Hälfte umfangreicher ist als der erste, kann Jupp auf seine eigenen intensiven Forschungen zur Reformzeit zurückgreifen und anhand von Einzelstudien und Statistiken wesentliche Thesen untermauern. Als grundlegendes Urteil scheint dabei immer eine gewisse Skepsis gegenüber dem gänzlich Neuen durch. John Brewers Hypothese einer Entwicklung Großbritanniens hin zu einem fiskalisch-militärischen Staat, der ohne größere Widerstände der Steuerzahler Kriege in außerordentlichen Dimensionen führen konnte, sieht er als nicht unproblematisch. So entstehe der Eindruck, bei den britischen Regierungen des achtzehnten Jahrhunderts handele es sich um eine gefestigte Exekutive, deren Strategie auf eine solche Position im Staatsgefüge hingearbeitet hätte: "[I]t can all too easily suggest that this was due, in part at least, to a more coherent, directional, and efficient form of executiv government." (31) Allerdings bedeutet dies nicht, dass er in seiner Interpretation der von J.C.D. Clark aufgestellten These eines langen achtzehnten Jahrhunderts bis 1832 folgt. Anders als Clark identifiziert Jupp durchaus wichtige sozio-politische Veränderungen, die sich in der Regierungspraxis Großbritanniens abbilden. Bereits die Chronologie des Buches mit der Zäsur 1760 verdeutlicht, dass Jupp durchaus von Veränderungen im politischen Gefüge ausgeht, ohne dabei den Blick für Traditionen, einen gewissen 'common sense'- und adhoc-Zugang von Regierungsseite zu verlieren. Dabei beweist der Engländer in Nordirland ein besonders Verständnis für die unterschiedlichen Entwicklungen innerhalb Großbritanniens, indem er immer wieder auf Unterschiede zwischen den einzelnen Regionen eingeht.

Das Buch ist äußerst lesbar geschrieben, argumentiert stringent und hat nur wenige Schwachstellen. Zu kritisieren wäre einzig, dass über die Zeit nach 1840 eigentlich kaum etwas gesagt wird und der eigentliche chronologische Schlusspunkt der Veröffentlichung doch in den 1830er Jahren angesetzt werden muss. Dies widerspricht der Interpretation Jupps, der auch nach dem Reform Act von 1832 noch zahlreiche Kontinuitäten entdeckt. Allerdings wird nicht richtig deutlich, warum 1848 als Schlusspunkt gewählt wurde. Dies hängt sicherlich damit zusammen, dass Jupp sich nur wenig mit den internationalen Mechanismen der Politik beschäftigt. Die anfangs angeführte Entwicklung zur Weltmacht wird nur angedeutet und in ihrer Bedeutung für die britische Regierungspraxis nur in einer sehr begrenzten britischen Dimension besprochen.

Aber dieser Vorbehalt soll dem positiven Gesamturteil keinen Abbruch tun. Wer einen kurzen und dennoch soliden und überzeugenden Einstieg in die britische Regierungspraxis sowie ein gestrafftes und dennoch fundiertes Bild der britischen Gesellschaft sucht, sollte ohne Zögern zu dem Band greifen.

Rezension über:

Peter Jupp: The Governing of Britain 1688 - 1848. The executive, Parliament and the people, London / New York: Routledge 2006, xv + 314 S., ISBN 978-0-415-22949-4, GBP 18,99

Rezension von:
Torsten Riotte
Historisches Seminar, Goethe-Universität, Frankfurt/M.
Empfohlene Zitierweise:
Torsten Riotte: Rezension von: Peter Jupp: The Governing of Britain 1688 - 1848. The executive, Parliament and the people, London / New York: Routledge 2006, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 6 [15.06.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/06/12189.html


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