sehepunkte 7 (2007), Nr. 4

Karl V. und die Politik seiner Zeit

Einführung

Von Christine Roll

Karl V. hat in der Geschichtswissenschaft von je her großes Interesse gefunden. In früheren Zeiten allerdings ist die Aufmerksamkeit nach einem Gedenkjahr regelmäßig wieder abgeflaut, so zuletzt 1958. Anders bei der Jahrtausendewende: Zwar sind nach 2000, als mit großen Ausstellungen und Tagungen europaweit des 500. Geburtstags des Kaisers gedacht wurde, so opulente Prachtbände wie etwa jener von Hugo Soly nicht mehr auf den Markt gelangt, doch zeigen zahlreiche, auch die hier im FORUM besprochenen Bücher das anhaltende Interesse von Forschung und Publikum an dieser faszinierenden, vielfach jedoch auch kritisch beurteilten Herrscherpersönlichkeit. Vermutlich kann Karl V. inzwischen sogar als der am besten erforschte Kaiser der Neuzeit gelten.
Für den deutschsprachigen Bereich wird das fortbestehende Interesse für die Person wie die Zeit Karls V. am deutlichsten sichtbar an der seit 1999 inzwischen in 3. Auflage vorliegenden und seit 2005 auch als Taschenbuch erhältlichen Biographie Alfred Kohlers über den Kaiser [1] wie an der seit 2002 erscheinenden Reihe "Geschichte in der Epoche Karls V.", die von Martina Fuchs und ebenfalls von Alfred Kohler herausgegeben wird. Zudem kann inzwischen im Abstand von wenigen Jahres jedenfalls ein kürzerer Berichte über den Stand der Forschung zu Karl V. verfasst werden: Erst Ende 2004 hat Johannes Arndt einen solchen Literaturbericht vorgelegt [2].

Das thematische Spektrum der Forschungen zu Karl V. ist unverändert breit, wenngleich sich doch eine Verlagerung der Schwerpunkte abzeichnet: Fragen nach der Struktur und der Regierung des Großreichs Karls V., wie sie Horst Rabe, Heinrich Lutz und Ernst Schulin in den 1980er und 1990er Jahren mit hohem wissenschaftlichem Ertrag diskutiert haben, sind in der Folge des "cultural turn" abgelöst worden von Fragen nach der Herrschaftsrepräsentation Karls V. Weiterführende Einsichten in das Selbstverständnis Karls haben sich dabei insbesondere in der interdisziplinären Kooperation der Geschichtswissenschaft mit der Kunstgeschichte eingestellt. Ferner ist die zeitgenössische Wahrnehmung, überhaupt die Rezeption der Person und Regierung Karls V. als besonderes Forschungsfeld zu nennen. Daneben gilt das Interesse dem Militär und den Finanzen Karls V., das heißt der Frage nach der Kriegsfinanzierung - mit der interessanten, aber wohl doch noch diskussionswürdigen These, dass vor allem die leeren Kassen Karl in den 1550er Jahren zur Abdankung veranlasst hätten [3]. Schließlich ist nach wie vor von großer Beharrungskraft die Diskussion um Karl V. als Europäer und sein Reich als Vorläufer der europäischen Einigung. Diese Interpretation hält zwar einer kritischen Prüfung nach wie vor nicht stand, wird aber, nicht zuletzt wohl aus Gründen politischer Opportunität, dennoch immer wieder aufgegriffen, und sei es nur in wenigen einleitenden Sätzen.

Die hier im Forum zusammengestellten Bücher sind für diese Hauptströmungen der Forschung nur teilweise repräsentativ. Vorzustellen sind einige Quellenpublikationen zur Geschichte Karls V., ein Werk zur politischen Theorie der Zeit und ein Sammelband mit Studien zur Rezeption Karls aus jeweils "nationaler Perspektive".

Mit den Neueditionen bzw. Übersetzungen der Politischen Testamente Karls V. aus den Jahren 1539, 1543 und 1548 (Armin Kohnle) und der Autobiographie Gattinaras, des Großkanzlers Karls V., (Ilse Kodek) liegen zentrale Quellen für das Selbstverständnis und das politische Weltbild Karls und seines - jedenfalls in seinen ersten Regierungsjahren - einflussreichsten Beraters nun auch in einer guten deutschen Version vor. Diese Schriften sind damit nicht nur für die akademische Lehre gut einsetzbar, sondern auch der Forschung sehr viel besser zugänglich. Erfreulich sind ferner die guten Fortschritte, die das große Editionsprojekt der Reichstagsakten Jüngere Reihe in den letzten Jahren gemacht hat: Die Reichstage von Regensburg 1546 (Rosemarie Aulinger) und Augsburg 1547/48 (Ursula Machozek) liegen nun im Druck vor, und offenbar konnte auch die hohe Qualität der Edition weitgehend gehalten werden.

Die Entscheidung, eine Arbeit über den Fürstenspiegel des Jakob Omphalius (Ingmar Ahl) im Rahmen eines Forums über Karl  V. vorzustellen, bedarf vielleicht der Begründung. Sie ergibt sich zum einen aus der Gattung Fürstenspiegel, die den Politischen Testamenten nahe verwandt ist, und sie ergibt sich zum anderen aus der Originalität dieses Fürstenspiegels: Er ist zwischen humanistischer Tugendlehre und moderner Politik angesiedelt, reflektiert mithin wichtige Positionen der entstehenden politischen Theorie, wie sie auch an den Höfen Karls V. diskutiert wurden. "The Histories of Emperor Charles V" (C. Scott Dixon/Martina Fuchs) schließlich unternehmen es, die Bewertung Karls V. und seiner Herrschaft in den historischen und historiographischen Traditionen einer Reihe von europäischen und amerikanischen Ländern zu untersuchen.

Worin bestehen nun unterschiedliche Auffassungen und worin bestehen Erkenntnisfortschritte in den Forschungen der letzten Jahre? Gegensätzliche Meinungen - soweit zu erkennen, aber keine strittige Diskussion - findet man zu der Frage, welches Bild von Karl V. in den einzelnen europäischen Ländern vorherrschte und heute vorherrscht. Während etwa Johannes Arndt darauf hinweist, dass es Karl gelungen sei, "seiner Nachwelt in positiver Erinnerung zu bleiben" [4], und zwar sogar in der protestantisch dominierten deutschen Historiographie, können weder Kohnle noch Kohler Hinweise darauf entdecken, dass Karl beliebt war; lediglich sein Sohn Philipp habe ihn glorifiziert. Weitere Studien müssten hier eigentlich Klarheit schaffen können. Dagegen dürfte sich an der grundlegenden Divergenz der Meinungen darüber, welche Bedeutung der Regierung Karls V. für die einzelnen Länder zukommt, in absehbarer Zeit nichts ändern.

Überhaupt scheinen die Erträge der Forschung über Karl V. und die Politik seiner Zeit im Moment eher in Einsichten im Detail als in überzeugenden Gesamteinschätzungen zu liegen. Daran ist zunächst nichts Schlechtes; doch reflektiert dieser Befund zugleich den Verzicht vieler neuerer Studien auf einordnende und übergreifende Fragestellungen. Von der Kategorie des "politischen Systems" als heuristischen Instruments zur Analyse des Großreichs Karls V., wie es vor allem Horst Rabe entwickelt hat, scheint sich die Forschung überhaupt weitgehend verabschiedet zu haben, und zwar stillschweigend, ohne die Erträge dieser Denkfigur geklärt und ihre Grenzen abgeschritten zu haben - und vor allem: ohne eine Kategorie an ihre Stelle gesetzt zu haben, die auch nur annähernd über das gleiche Erklärungspotential verfügt. Durch den weit reichenden Verzicht auf Fragen nach den bestimmenden Strukturen der Zeit stehen viele Forschungsergebnisse einfach nebeneinander.

Anmerkungen:

[1] Alfred Kohler, Karl V. 1500-1558. Eine Biographie, München 2005. In den Niederlanden ist die Erforschung Karls V. vor allem mit dem Namen Wim Blockmanns verbunden, der 2002 eine - im Vergleich zu der Kohlers freilich eher kurze - Biographie Karls vorgelegt hat: Wim Blockmanns, Emperor Charles V, 1500-1558, London 2002.
[2] Johannes Arndt, Universalmonarchie, Dynastiegedanke und Staatsfinanzierung. Kaiser Karl V. im Lichte der jüngeren Forschung. Ein Literaturbericht, in: Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), 579-591.
[3] So referiert Arndt (wie Anm. 2), 582, ein wichtiges Ergebnis der Studie von James D. Tracy, Emperor Charls V. Impresario of War. Campaign, Strategy, International Finance, and Domestic Politics, Cambridge 2002.
[4] Arndt (wie Anm. 2), 579.

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