Rezension über:

Wolfgang Gründinger: Die Energiefalle. Rückblick auf das Erdölzeitalter (= Beck'sche Reihe; 1680), München: C.H.Beck 2006, 288 S., ISBN 978-3-406-54098-1, EUR 12,90
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Peter Hennicke / Michael Müller (Hgg.): Weltmacht Energie. Herausforderung für Demokratie und Wohlstand, Stuttgart: S. Hirzel 2005, 279 S., ISBN 978-3-7776-1319-2, EUR 29,00
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Rezension von:
Mathias Mutz
Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Georg-August Universität, Göttingen
Redaktionelle Betreuung:
Nils Freytag
Empfohlene Zitierweise:
Mathias Mutz: Energiepolitik als Herausforderung für Demokratie und Wohlstand (Rezension), in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/04/9792.html


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Energiepolitik als Herausforderung für Demokratie und Wohlstand

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Energiepolitik hat Hochkonjunktur. Angela Merkel und Arnold Schwarzenegger versuchen sich als Klimaschützer zu profilieren, während Al Gore für seinen Film "An Inconvenient Truth" einen Oscar erhält. Scheinbar hat sich die Einsicht, dass die Überlebensfähigkeit der Menschheit in Frage gestellt ist, innerhalb kürzester Zeit durchgesetzt. Die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse sind jedoch seit längerem in zahlreichen fach- und populärwissenschaftlichen Arbeiten nachzulesen.

Zwei dieser Publikationen, Wolfgang Gründingers "Die Energiefalle" sowie "Weltmacht Energie" von Peter Hennicke und Michael Müller, für ein historisches Rezensionsjournal zu besprechen, bedarf trotz dieser Aktualität einer besonderen Begründung. Schließlich handelt es sich in beiden Fällen um explizit politisch-aufklärerische Bücher ohne geschichtswissenschaftlichen Anspruch. Mindestens drei Argumente für eine Besprechung können hier aber aufgeführt werden: Erstens drängt die starke Betonung der historischen Tragweite der Probleme eine historisch-kritische Perspektive geradezu auf, wenn von der "Menschheit am Scheideweg" (im Vorwort von Hennicke/Müller) bzw. vom "Rückblick auf das Erdölzeitalter" (in Gründingers Untertitel) gesprochen wird. Aus der Überlegung, ob diese Epochenwahrnehmung gerechtfertigt ist, ergibt sich zweitens die Frage, ob und wie die Geschichtswissenschaft zur Bewertung der Gegenwart beitragen könnte. Wo wird in den Publikationen historisch argumentiert bzw. wo müsste historisch argumentiert werden? Aus der fachwissenschaftlichen Perspektive dürften sich dabei drittens nicht nur punktuelle Forschungsdesiderata ergeben, sondern auch die Frage stellen, welchen Platz Energie in der Geschichte spielte. Dass die hierzu vorhandene (umwelt-)geschichtliche Literatur nur zu einem geringeren Teil berücksichtigt wird, während Hennicke/Müller selbst feststellen, dass "sich die in Jahrzehnten gewachsenen Strukturen nur langfristig ändern lassen" (145), spricht dafür, über die historischen Bedingtheiten des Themenfeldes nachzudenken.

Trotz der unterschiedlichen Herkunft der Autoren gibt es in Struktur und Argumentation der Bücher zahlreiche Übereinstimmungen. Gründinger (Jahrgang 1984) hat sich bereits mit seinem ersten Buch "Öko-Realismus" einen Namen als Vertreter einer jungen, umweltbewussten Generation gemacht. [1] Peter Hennicke als Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie und der SPD-Politiker Michael Müller sind dagegen seit längerem etablierte Experten für Klima- und Umweltpolitik. Es verwundert deshalb kaum, dass "Weltmacht Energie" durch seinen systematischen Aufbau und zahlreiche Grafiken und Info-Boxen teilweise wie ein Lehrbuch wirkt. Aber auch Gründinger gelingt es, sein umfangreiches Wissen anspruchsvoll und in seiner bild- und ausdrucksstarken Sprache zugleich anschaulich zu präsentieren.

Hennicke/Müller ordnen ihre 17 Kapitel vier Bereichen zu. Die ersten drei Teile stellen einen Problemaufriss dar, in dem die negativen Auswirkungen und Gefahren der gegenwärtigen Energiepolitik und Energiewirtschaft jeweils für Umwelt, globale Sicherheit und Gesellschaft aufgezeigt werden. Im vierten Teil werden mögliche Strategien für die Zukunft diskutiert. Die Kernthesen lassen sich relativ knapp zusammenfassen: Im Komplex "Energie und Umwelt" wird der Klimawandel als die größte Bedrohung herausgestellt, unter "Energie und Frieden" wird vor allem die Gefahr von Rohstoffkriegen diskutiert und der Abschnitt "Energie und Demokratie" thematisiert die unkontrollierte Macht der Energieversorger. Diese zentralen Punkte werden mit Fallbeispielen (z. B. Irak-Krieg) untermauert, wobei jeweils auch der Atomenergie ein eigenes Unterkapitel gewidmet ist. Zur Vermeidung dieser Risiken entwickelt der Schlussteil das Konzept einer "nachhaltigen Energiewirtschaft" als "sanfte" Alternative zum "harten" Pfad des "Weiter so". Damit verbinden sich die Forderung nach einer Effizienzrevolution durch nachhaltige Energietechnik und einem Perspektivwechsel hin zu qualitativem Wachstum.

Im Vergleich zu den Vorschlägen für ein langfristiges Energieprogramm, Leitlinien und politischen Maßnahmen bei Hennicke/Müller bleibt die von Gründinger im ersten und letzten seiner zehn Kapitel programmatisch geforderte "solare Revolution" in ihrer politischen Umsetzung unkonkret. Ansonsten spiegelt seine Argumentation jedoch weitgehend identische Themenfelder wider. Das dritte und vierte Kapitel widmen sich den umweltgefährdenden Aspekten ("Es wird wärmer als je zuvor", "Nukleare Renaissance?"), den Sicherheitsaspekt führen die Kapitel sieben ("Der blutige Schacher um die Rohstoffe") und acht ("Der fossile Imperialismus") aus, und der Gefährdung demokratischer Kontrollmechanismen durch die Macht der Energiewirtschaft gelten die Kapitel fünf ("Die fossil-atomare Subventionsorgie"), sechs ("Die Öljunta des George Walker Bush") und neun ("Die Zerstörung von Demokratie und Marktwirtschaft"). Dabei gelingt es Gründinger, Argumente der beteiligten Interessengruppen differenziert darzustellen und gleichzeitig vorhandene Widersprüche aufzudecken.

Beide Publikationen bieten somit solides und umfangreiches Material, das nicht nur dem interessierten Zeitungsleser, sondern auch dem (Umwelt-)Zeithistoriker einen systematischen Einblick ermöglicht. Die historische Dimension wird dabei jedoch nur am Rande näher beleuchtet. Gründingers Äußerung, "bis vor knapp 150 Jahren garantierte die Natur einen stabilen Hintergrund für die Wandlungen der menschlichen Geschichte" (10), scheint in ihrer Allgemeinheit ebenso wenig überzeugend, wie seine in Anlehnung an den Schriftsteller Michel Houllebecq formulierte Vorstellung, die solare Revolution werde sich selbst - quasi als geschichtsmächtige Idee - durch eine "metaphysische Wandlung" (240) durchsetzen. Retrospektive Betrachtungen erfolgen in erster Linie für die Entwicklung der Atomkraft und das Konzept der Ressourcenkriege, das Gründinger auch auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg bezieht. Hennicke/Müller arbeiten zudem das Energiewirtschaftsgesetzes von 1935 als langfristige Weichenstellung der deutschen Energiepolitik heraus. Bedenkt man, dass die für Zukunftsprognosen benutzten sozial- und naturwissenschaftlichen Modelle auf dem Fortschreiben langfristiger Trends beruhen, erscheint eine stärkere historische Fundierung angebracht. Die punktuelle Wahrnehmung von Geschichte entspricht aber zumindest teilweise dem geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand. Wenn aber Energie zunehmend als gesellschaftliche Zentralressource interpretiert wird, könnte dies auch für unser Bild der Vergangenheit von Bedeutung sein. Hier geht es nicht nur um spezifische materielle Begrenzungen menschlichen Handelns, sondern vor allem um die gesellschaftliche Relevanz von Nutzungskonflikten und Konsumverhalten sowie deren kultureller Deutung.

Ob die Diagnose der "Menschheit am Scheideweg" zutrifft, kann ein Historiker als Historiker nicht beurteilen. Er kann allerdings kritisch anmerken, dass die Vorstellung, man müsse nun, nachdem man das Problem erkannt habe, lediglich den richtigen Hebel umlegen, zu stark vereinfacht. Hier fällt auf, wie wenig sich die Autoren ihrer eigenen Historizität - insbesondere in ihrem Bezug auf die Debatten um die "Grenzen des Wachstums" der 1970er-Jahre - bewusst sind, obwohl sich beispielsweise Gründinger mit seiner Beschreibung der aktuellen Politik als "Selbstmordprogramm" (10) implizit auf Gordon Rattray Taylors gleichnamiges Buch von 1971 bezieht. [2] Nicht nur das große Gewicht des Atomkonflikts in beiden Publikationen könnte ein Indiz für die Bedeutung historisch gewachsener Konflikt- und Deutungsmuster für die Lösung kommender Probleme sein.


Anmerkungen:

[1] Wolfgang Gründinger: Öko-Realismus. Die Krise der Umwelt und die solare Revolution, Oldenburg 2002.

[2] Gordon Rattray Taylor: Das Selbstmordprogramm. Zukunft oder Untergang der Menschheit, Frankfurt/M. 1971. Vgl. dazu auch Kai Hünemörder: Die Frühgeschichte der globalen Umweltkrise und die Formierung der deutschen Umweltpolitik (1950-1973), Stuttgart 2004. Vgl. hierzu die Rezension von Patrick Kupper, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 9, URL: http://www.sehepunkte.de/2004/09/5704.html

Mathias Mutz