Rezension über:

Ingmar Ahl: Humanistische Politik zwischen Reformation und Gegenreformation. Der Fürstenspiegel des Jakob Omphalius (= Frankfurter Historische Abhandlungen; Bd. 44), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, 349 S., ISBN 978-3-515-07969-3, EUR 65,00
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Rezension von:
Maximilian Lanzinner
Institut für Geschichtswissenschaft, Universität Bonn
Redaktionelle Betreuung:
Christine Roll
Empfohlene Zitierweise:
Maximilian Lanzinner: Rezension von: Ingmar Ahl: Humanistische Politik zwischen Reformation und Gegenreformation. Der Fürstenspiegel des Jakob Omphalius, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2004, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 4 [15.04.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/04/7970.html


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Forum:
Diese Rezension ist Teil des Forums "Karl V. und die Politik seiner Zeit" in Ausgabe 7 (2007), Nr. 4

Ingmar Ahl: Humanistische Politik zwischen Reformation und Gegenreformation

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Die von Notker Hammerstein betreute Dissertation will "einen Beitrag zur Geschichte des politischen Denkens im frühneuzeitlichen Reich" (25) liefern. Sie tut dies jedoch nicht, wie die Einleitung (9-28) darlegt, in Begrenzung auf den Fürstenspiegel. Vielmehr widmet sich der erste Teil (29-182) der Biografie des Humanisten, Juristen und Politikers Omphalius, der zweite (183-301) dem Werk selbst, das 1550 unter dem Titel "De officio et potestate Principis" bei Johannes Oporin in Basel erschien.

Omphalius, dessen Lebensdaten (1500-1567) durch ein Epitaph gesichert sind, stammte wohl aus bürgerlichem Milieu. Die schwierige Quellenlage zu den biografischen Grunddaten ist bezeichnend: Archivalische Zeugnisse sind selten, Omphalius selbst schrieb wenig über sich. In den Universitätsmatrikeln taucht er als Jacob Andernacus auf, bis er sich den gräco-latinisierten Namen zulegte, um die Zugehörigkeit zur Gelehrtenwelt zu dokumentieren. Nach Studien in Köln und Löwen krönte er seine peregrinatio in Paris und Toulouse mit der Promotion zum Magister (1529) bzw. dem juristischen Doktorat (1535). Ein Studium in Utrecht, wie bisher behauptet, ist nicht nachweisbar. Die wenigen erhaltenen Zeugnisse geben indessen nur Anhaltspunkte für die ausgreifenden Studien Omphals. Ingmar Ahl rekonstruiert daher die Studienbedingungen und geistigen Strömungen an den besuchten Universitäten so detailliert, wie es die bisherige Kenntnis zulässt. Es entsteht ein facettenreiches, lesenswertes Bild des wissenschaftlichen Erfahrungshorizonts, in dem sich Omphalius bewegte. Er gab seit 1530 selbst Sprachunterricht, wobei er die Werke des Erasmus in den Mittelpunkt stellte. An ihn richtete Omphalius auch einige Briefe, jedoch zeichnete der Grandseigneur der Humanisten den homo novus aus Andernach nicht durch eine Antwort aus. Durchgängig gelingt es dem Buch, seinen Helden in das Europa umspannende humanistische Netzwerk einzuordnen. Omphalius kletterte zwar in der Hierarchie der res publica litteraria empor, indem er mehr als ein Dutzend Publikationen vorlegte, allerdings erreichte er die Gipfelregion nicht. Er veröffentlichte Argumentationslehren, Handbücher zum juristischen Studium, Cicero-Ausgaben, Reflexionen zu Religion und Staat. Zum Bestseller avancierte das Rhetorikhandbuch "De elocutionis imitatione ac apparatu" (1537) mit über 15 Auflagen, dessen Wert im Praktischen lag mit einer Vielzahl anwendbarer Redebeispiele. Ahl charakterisiert einige Titel, ein gesondertes Werkverzeichnis enthält die Dissertation nicht.

Auch zur beruflichen Laufbahn Omphals fehlen weithin die Quellen. Der Kölner Kurfürst Hermann von Wied präsentierte ihn 1537 als Assessor am Reichskammergericht und holte ihn 1540 an seinen humanistisch-irenisch geprägten Hof. Der Rat und spätere Kanzler vertrat seinen Herrn bei Reichs- und Landtagen, wo er die umstrittene Kirchenreform des Erzstifts zu verteidigen hatte. Mit deren Scheitern und der Absetzung des Kurfürsten schied auch Omphalius 1547 aus dem Dienst Kurkölns. Das kenntnisreiche Kapitel zur Kirchenreform (144-176), in dem Ahl pointierte Urteile gegen die als konfessionslastig kritisierte Literatur formuliert, enthält leider keinen Hinweis zum Kanzleramt Omphals. Die Jahre bis 1567 können nur kursorisch behandelt werden. Omphalius, nun Berater Wilhelms V. von Jülich, nahm teil an den Frankfurter Religionsgesprächen 1557, dem Reichstag 1559 und der Königswahl Maximilians II. 1562 - nicht an "Reichs- und Deputationstagen 1556, 1557/58 und 1562 sowie an der Kaiserwahl 1563", wie der NDB-Artikel zu Omphalius von 1999 noch konstatiert.

Der Fürstenspiegel "De officio et potestate Principis" wird zunächst untersucht nach Aufbau, verwendeten Quellen und Argumentation (183-217), sodann arbeitet Ahl die Leitlinien fürstlicher Ethik heraus (218-252) und beschreibt die potestas, die dem Fürsten zuerkannt wird (253-301). Mit diesen beiden Kapiteln zu Ethik und Macht folgt er der Gliederung seines Untersuchungsgegenstands, dessen zwei Bücher auf 229 Seiten "officium" und "potestas" des Fürsten behandeln. Darin lag auch das Besondere und Neue seines Werks, dass Omphalius die humanistische Herrscherethik, die das tugendhafte Handeln reflektierte ("officium"), verknüpfte mit der Zuschreibung von Rechten, die den Fürsten mit nahezu unumschränkter Macht ausstatteten ("potestas"). Nicht etwa bestehende Gesetze, nicht die Stände des Landes, sondern nur moralisch-ethische Bindungen, also die Selbstverpflichtung des Fürsten sollten seine Macht begrenzen. In diesem Programm spiegelte sich die Biografie des Humanisten und Politikers Omphal, der als Jurist Verfügungsgewalt rechtlich zu definieren gewohnt war und als Handelnder im Religionsstreit den Schluss zog, dass nur die Monopolisierung der Macht beim Fürsten das Gemeinwohl sichern konnte.

Die eindringliche Analyse erstellt nicht nur eine Systematik des Inhalts, sondern fragt durchgehend nach den Autoritäten in Antike und Mittelalter, die der Fürstenspiegel berücksichtigt. Dieser verweist in den Fußnoten auf mehr als hundert Autoren und Schriften, aus denen er "weitgehend die Antiken-Topoi der Fürstenspiegelliteratur" (201) entnahm. Aber er stützte sich auch - wie andere Autoren des Humanismus - auf die Bibel und die Kirchenväter. Dennoch schrieb der Andernacher Humanist keine profillose Kompilation. Ahl vergleicht die Thesen Omphals zur Fürstenethik und zum Fürstenrecht fortgesetzt mit den Aussagen anderer Autoren bis zurück in die Antike, aber in erster Linie mit Erasmus, Machiavelli und Bodin. Ein Beispiel etwa ist die Frage des bellum iustum (245-253). Hier bezieht Omphalius eine Position zwischen Erasmus, der keinen gerechten, allenfalls einen unvermeidlichen Krieg anerkannte, und Machiavelli, der den Krieg zum Zweck des Machterhalts legitimierte. Der Andernacher rechtfertigte zwar den Krieg, aber nur wenn er Schaden vom Gemeinwesen abwendete, wenn er also Leben, Eigentum und Religion der Untertanen schützte.

Zieht man eine Bilanz zum biografischen Teil der Dissertation, ist hervorzuheben, dass es Ingmar Ahl trotz der spärlichen Quellen gelungen ist, einen zuverlässigen biografischen Abriss zu liefern. Um daraus auch eine Biografie entstehen zu lassen, musste der Autor auf der Grundlage der einschlägigen Literatur das biografische Umfeld nachzeichnen. Dies ist hervorragend gelungen. Die Darstellung macht die Breite des geistigen Horizonts sichtbar, unter dessen Einfluss die wissenschaftliche Sozialisation Omphals stand. Der von den Quellen erzwungene Verzicht auf Einzelbeobachtungen lässt sich daher verschmerzen. Die Analyse des Fürstenspiegels bietet für nachfolgende Untersuchungen ein Modell, wobei man auch die Studien von Ronald W. Truman (Spanish Treatises, 1999) beachten wird, die Ahl nicht mehr rezipierte. Seine Analyse ist deshalb wegweisend, weil er den Fürstenspiegel Omphals sachkundig und präzise sowohl in die Tradition der Gattung wie auch in das politische Denken des 16. Jahrhunderts einordnet. Das Fazit der Einordnung formuliert das "Resümee" (302-307): "Die Originalität des Werkes [Omphals] liegt in jener Stellung zwischen moderner Politik und Tugendlehre alter Art, die das fürstliche Handeln [...] ethisch-moralisch rückbindet" (305).

Maximilian Lanzinner