sehepunkte 7 (2007), Nr. 3

Maximiliana Kocher / Ferdinand Kramer / Markus Nadler (Hgg.): Residenz- und Bürgerstadt Neuburg an der Donau

Durch den Kölner Schiedsspruch vom 30. Juli 1505 beendete Kaiser Maximilian I. den Landshuter Erbfolgekrieg. Georg der Reiche von Bayern-Landshut hatte versucht, gegen die Ansprüche der Münchner Linie des Hauses Wittelsbach seine Tochter Elisabeth und deren kurpfälzischen Gemahl Ruprecht in sein Erbe einzusetzen. Die Nachfolgefrage entlud sich in einem militärischen Konflikt, der im Kompromiss endete. Während die Münchner Linie große Teile des Landshuter Erbes erringen konnte, wurde für Ottheinrich und Philipp, die minderjährigen Söhne Elisabeths und Ruprechts, ein neues Herzogtum geschaffen, das als Junge Pfalz oder - nach seiner Residenzstadt Neuburg an der Donau - auch als Pfalz-Neuburg bekannt geworden ist. Die fünfhundertjährige Wiederkehr der Ereignisse von 1505 rückte Pfalz-Neuburg verstärkt in den Fokus historischer Betrachtung. Zu nennen ist unter anderem die Bayerische Landesausstellung von 2005, in der das Haus der Bayerischen Geschichte das Herzogtum einem breiten Publikum wiederum ins Gedächtnis gerufen hat. [1]

Die hier zur Besprechung vorliegende Edition versteht sich - so Ferdinand Kramer im Vorwort - gleichfalls als Beitrag zum Jubiläumsjahr. Der Band rückt dabei nicht das Fürstentum, sondern die Stadt Neuburg selbst ins Blickfeld. Die dargebotenen Quellen - Häuser- und Personenverzeichnisse - stammen überwiegend aus dem Zeitraum um 1610, der als Wendepunkt der Stadtgeschichte angesehen werden kann. Nach der Gründung des Fürstentums war Neuburg binnen kurzer Zeit zu einer repräsentativen Residenzstadt aufgestiegen. Durch den Anfall des Erbes von Jülich und Berg in den Jahren 1609/1614 verlagerte sich der Schwerpunkt der pfalzneuburgischen Herrschaft an den Niederrhein. Neuburg fiel auf den Status einer Nebenresidenz zurück. Damit spiegeln die edierten Akten das Bild der Residenzstadt auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung, zumal gerade die letzten Jahre vor dem Wegzug des Hofes noch einmal eine Phase verstärkten Stadtwachstums markierten. (11)

Im Einzelnen wartet die Edition mit fünf Quellentexten auf. Zum ersten ein Häuserverzeichnis aus dem Jahre 1613, das im Neuburger Stadtarchiv verwahrt wird. Die Quelle stammt mutmaßlich aus der städtischen Verwaltung. Ihre Anlage scheint durch die Bedürfnisse der Stadtverteidigung oder der Truppeneinquartierung motiviert gewesen zu sein. Hinweise auf Feuerstätten und deren Sicherheit lassen auch ein baupolizeiliches Interesse erkennen. Die Liste wurde nachträglich durch Ergänzungen und Streichungen verändert, was in der Edition entsprechend kenntlich gemacht ist und auf eine Fortschreibung während eines gewissen Zeitraums hindeutet. Das Register verzeichnet - nach Zählung der Edition - 436 Häuser sowie deren Eigentümer und Inwohner gegliedert nach Stadt, Oberer und Unterer Vorstadt. Die Quelle lässt nicht erkennen, ob sich hinter einem Inwohner jeweils eine Einzelperson oder der Vorstand einer Familie verbirgt. In jedem Falle kann man die Zahl der Inwohner als Mindestzahl der Feuerstätten im Haus ansetzen. Die Personen werden in der Regel mit Angabe ihres Berufs genannt.

Eine durchgängige Identifikation beziehungsweise Verortung aller Häuser ist nicht möglich, doch konnten im Bereich der Oberen Stadt durch die Nachverfolgung späterer Eigentümerwechsel zahlreiche Häuser sicher lokalisiert werden. Für diese Gebäude gelang die Anknüpfung an die älteste überlieferte Steuerliste Neuburgs von 1728, bis zu welcher bisher die Rückverfolgung der Gebäude möglich gewesen war. In der Edition sind die identifizierten Gebäude durch Fußnoten kenntlich gemacht. Diese verweisen auf sehr kenntnisreiche Anmerkungen zur Besitzgeschichte und den Besitzern. Es ist ein Verdienst der Bearbeiter, hierfür nicht nur die einschlägige Literatur, sondern weitere archivalische Quellen erschlossen und ausgewertet zu haben. Planausschnitte aus der kartographischen Uraufnahme von 1813 und zeitnahe Ansichten illustrieren die topographische Situation der identifizierten Gebäude und führen diese auch jenen Lesern vor Augen, die mit der Stadt Neuburg nicht vertraut sind.

In Ergänzung hierzu bietet die Edition als weitere Quelle ein Hauseigentümerverzeichnis an, das im Bayerischen Hauptstaatsarchiv lagert. Es umfasst 322 Einträge und wird von den Herausgebern auf "frühestens 1618" datiert. (21) Hier werden die Personen in der Regel nur unter Angabe des Namens gelistet. Die Zuordnung zu Häusern ist nicht direkt möglich, wenngleich die Bearbeiter davon ausgehen, dass bei Abfassung der Liste eine Abfolge zugrunde lag, die unter Beiziehung anderer Quellen eine künftige Zuordnung möglich machen könnte.

Bei der dritten und vierten der dargebotenen Quellen handelt es sich um Verzeichnisse wachtdienstpflichtiger Bürger und Inleute, die dem Bestand des Staatsarchivs Augsburg entstammen. Die Listen, die auf 1610 beziehungsweise auf vor 1610 zu datieren sind, stehen in dem Sinne in Abhängigkeit voneinander, dass Quelle Nummer drei eine Vorarbeit zu Quelle Nummer vier zu sein scheint. Die Benennung von Wachtvierteln erlaubt hier einen Einblick in die Binnenstruktur der Stadt. Bedienstete des herzoglichen Hofes sind in Quelle drei gesondert kenntlich gemacht. Im Übrigen werden die gelisteten Personen in beiden Verzeichnissen mit Berufsangabe geführt, so dass auch hier durchgängig ein zentrales soziales Kriterium der Stadtgesellschaft belegt ist.

Die fünfte Quelle, die wiederum dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv entstammt, ist ein im Jahr 1640 angelegtes Verzeichnis von zehn leerstehenden oder baufälligen Häusern. Das Register diente als Grundlage für mögliche Instandsetzungs- bzw. Verkaufsverfügungen des Herzogs an die Hauseigentümer.

Die dargebotenen Quellen, die durch ein gemeinsames Personenregister erschlossen werden, sind unter verschiedenen Aspekten von Interesse. Zum einen geben sie einen genauen Überblick über den Umfang des Baubestandes der Stadt um 1600. Sie erlauben dabei zumindest partiell die Zuordnung zu bekannten Häusern und erweitern damit die gesicherte Kenntnis der Besitzgeschichte Neuburger Häuser. Zum anderen dokumentieren die Quellen eins, drei und vier die Berufsstruktur der Residenzstadt um 1600 und verweisen durch entsprechende Angaben ("Hofcastner", "Hofschloßer") explizit auf die Zugehörigkeit bestimmter Personen zum herzoglichen Hof. Diese Daten werden besonders im Hinblick auf vergleichende sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Untersuchungen mit anderen Residenzstädten von Nutzen sein. Insbesondere dieser Aspekt lässt den Band auch jenseits des regionalen Interesses als bedeutsam erscheinen. Nicht zuletzt schließlich stellt das umfangreiche Material an Vor- und Nachnamen auch eine Quelle für onomastische Betrachtungen dar. Hervorzuheben sind auch die qualitativ ansprechenden Abbildungen einzelner Seiten aus den Handschriften, die exemplarisch den Typus und die Anlage der Quellen verdeutlichen (Abbildungen 3, 32, 33, 34 und 35).


Anmerkung:

[1] Suzanne Bäumler et al. (Hg.): Von Kaisers Gnaden: 500 Jahre Pfalz-Neuburg; Katalog zur Bayerischen Landesausstellung 2005, Neuburg an der Donau (=Veröffentlichungen zur bayerischen Geschichte und Kultur; 50), Regensburg 2005.

Rezension über:

Maximiliana Kocher / Ferdinand Kramer / Markus Nadler (Hgg.): Residenz- und Bürgerstadt Neuburg an der Donau. Quellen zur Einwohnerschaft und Sozialstruktur zu Beginn des 17. Jahrhunderts (= Materialien zur Bayerischen Landesgeschichte; Bd. 19), München: C.H.Beck 2005, XVII + 152 S., ISBN 978-3-7696-0419-1, EUR 9,00

Rezension von:
Jürgen Nemitz
Philipps-Universität, Marburg
Empfohlene Zitierweise:
Jürgen Nemitz: Rezension von: Maximiliana Kocher / Ferdinand Kramer / Markus Nadler (Hgg.): Residenz- und Bürgerstadt Neuburg an der Donau. Quellen zur Einwohnerschaft und Sozialstruktur zu Beginn des 17. Jahrhunderts, München: C.H.Beck 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/03/11046.html


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