Rezension über:

Dieter Bingen / Hans-Martin Hinz (Hgg.): Die Schleifung. Zerstörung und Wiederaufbau historischer Bauten in Deutschland und Polen (= Veröffentlichungen des Deutschen Polen-Instituts Darmstadt; Bd. 20), Wiesbaden: Harrassowitz 2005, 226 S., ISBN 978-3-447-05096-8, EUR 19,80
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Rezension von:
Tomasz Torbus
Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Universität Leipzig
Redaktionelle Betreuung:
Marco Wauker
Empfohlene Zitierweise:
Tomasz Torbus: Rezension von: Dieter Bingen / Hans-Martin Hinz (Hgg.): Die Schleifung. Zerstörung und Wiederaufbau historischer Bauten in Deutschland und Polen, Wiesbaden: Harrassowitz 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 3 [15.03.2007], URL: https://www.sehepunkte.de
/2007/03/12762.html


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Andere Journale:

Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.

Dieter Bingen / Hans-Martin Hinz (Hgg.): Die Schleifung

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In der Reihe der Veröffentlichungen des Deutschen Polen-Instituts erschien 2005 ein Aufsatzband, der offenbar auf eine Tagung zurückgeht, die 2002 gemeinsam mit dem Deutschen Historischen Museum in Berlin organisiert wurde. Leider wird dies im Band an keiner Stelle erwähnt. In 14 Aufsätzen von namhaften deutschen und polnischen Historikern, Denkmalpflegern, Museologen sowie Kunsthistorikern wird der Umgang mit der historischen Bausubstanz in beiden Ländern nach 1945 behandelt, der oftmals zwischen Zerstörung und Wiederaufbau schwankte. Thematisiert wird dies auch am Beispiel des ungeliebten Erbes des Nationalsozialismus. Nur das Essay des ehemaligen Direktors des Museums of the City of New York, Robert MacDonald, zur Erinnerungskultur nach dem 11. September fällt aus diesem Rahmen.

Der als Leitbegriff verwendete Terminus "Schleifung" bezieht sich üblicherweise auf Militärarchitektur (man schleift Festungen, oft die der Gegner) und steht so für den Abbruch von historischen Denkmälern mit symbolischem Gehalt, sei es aus nationalen (Sprengung des Warschauer Königsschlosses durch NS-Deutschland) oder ideologischen Beweggründen (Sprengung des Berliner Königsschlosses sowie der Potsdamer Hof- und Garnisonkirche durch das SED-Regime). Analysiert werden ferner auch die Verfahrensweisen und die oft nationalpolitischen Motive, die den Rekonstruktionen ganzer Stadtteile (Warschau, Danzig, Stettin) zugrunde lagen.

Wenn der ehemalige Generalkonservator Polens Andrzej Tomaszewski im Hinblick auf Warschau auf das Bonmot François Mauriacs rekurriert, ein jeder Wiederaufbau gleiche einer schönen Frau - wenn schön, dann nicht treu (und umgekehrt) -, so spielt er auf eine historische Situation an. Mittels einer Selektion der aufzubauenden Motive ("Wahl durch Elimination", "Wahl durch Superposition", "Wahl durch Korrektur") wurde nämlich die Warschauer Altstadt schöner denn je aus dem Boden gestampft. Tomaszewskis Urteilt fällt positiv aus, wenngleich nicht im Sinne eines puristischen Denkmalpflegers: Die Warschauer Altstadt ist ein Kulturgut des 20. Jahrhunderts und so ein aufregendes Forschungsthema.

Der Aufsatz des 2002 verstorbenen Posener Kunsthistorikers Konstanty Kalinowski beleuchtet am Beispiel von Danzig die Errichtung einer "romantischen, historisierenden [...] Version der Patrizier- und Hansestadt". Interessanterweise würdigt Kalinowski den Wiederaufbau als die Wiederherstellung einer "zerrissenen und abgebrochenen Tradition" (wenn auch einer fremden). Damit nimmt er übrigens eine ganz andere Haltung ein als in zwei zuvor erschienenen sehr kritischen Artikeln in deutschsprachigen Publikationen zum selben Thema (bibliografische Hinweise in seinen Anmerkungen). Diese Milde waltet auch im Aufsatz des Mainzer Kunsthistorikers Dethard von Winterfeld, in welchem dieser die Überlegungen zu "erlaubten" und "nicht erlaubten" Rekonstruktionen, unter Berücksichtigung sowohl des Zeitabstandes zur eigentlichen Zerstörung als auch der bestehenden Dokumentation, fortspinnt.

Die inhaltlichen Rückgriffe auf das Berliner Schloss machen deutlich, dass dieses - auch wenn nicht immer expliziert - den eigentlichen Ausgangspunkt der Beiträge bildet. Die Betrachtung des Umgangs mit historischen Bauten in Polen und den beiden deutschen Staaten sollte wohl Argumente für und gegen dessen Rekonstruktion liefern. Die vielen neuen Ansätze zu spannenden Themen werden durch ein etwas diffuses herausgeberisches Konzept beeinträchtigt. Stutzig machen die Diskussionsfetzen, die den einzelnen Beiträgen angehängt sind (etwas ausführlicher in der so genannten Abschlussdiskussion); sie sind oft zu kurz und zu sehr aus dem Kontext gerissen, um als inhaltliche Ergänzungen zu dienen. Gravierender jedoch ist, dass ein Buch, in dem der Großteil der Autoren kunstgeschichtliche und denkmalpflegerische Themen aufgreift, ohne eine einzige Abbildung auskommt (sieht man von der Titelseite ab). Damit wird der Wert dieses ansonsten lehrreichen Bandes nachhaltig geschmälert.

Tomasz Torbus