sehepunkte 7 (2007), Nr. 2

Alan W. Bates: Emblematic monsters

Die Studie des Briten Alan Bates ist am berühmten ehemaligen "Wellcome Institute for the History of Medicine" in London entstanden (inzwischen Wellcome Trust Centre am University College London) und in einer der renommiertesten Reihen der internationalen Medizingeschichte erschienen. Darum darf man aus historischer Perspektive an "Emblematic Monsters" Ansprüche stellen, die man vielen anderen, v. a. im deutschsprachigen Raum eher Pflichtübungen ähnelnden, medizinhistorischen Dissertationen ersparte. So zeichnen sich die am Institut entstandenen Arbeiten in der Regel gerade dadurch aus, dass sie primär sozial- und kulturhistorische Fragestellungen an nur vordergründig medizinische Themen richten.

Bates' Studie konzentriert sich darum ebenfalls auf "written and artistic records of human monstrous births published in Europe between 1500 and 1700" (7). Dabei greift der Autor nicht nur auf die klassischen Prodigiensammlungen Aldrovandis, Bauhins, Boaistuaus, Licetis, Parés oder Geoffroy Saint-Hilaires zurück, sondern nimmt neben Artikeln der frühen wissenschaftlichen Journale, etwa der "Miscellanea Curiosa", der "Philosophical Transactions" oder des "Journal des Savants", auch Balladen und eine Vielzahl an erhaltenen Einblattdrucken auf. In einem Anhang liefert Bates für den Untersuchungszeitraum eine Auflistung von ca. 260 menschlichen "monstrous births". So dankenswert eine solche Liste für künftige Forschungen sein mag - wenn sie auch durchaus unvollständig ist [1] -, da sie das Auffinden von verstreut publizierten Quellen erleichtert, so unverständlich bleibt der Rezensentin der Wert der retrospektiven Diagnose, die jedem Casus beigefügt wurde. Diesem Aspekt ist sogar das gesamte Schlusskapitel gewidmet.

Obwohl Bates gleich zu Anfang betont, "the use of retrospective diagnosis is not intended to medicalise the history of monsters" (8), und später durchaus sogar Gegenargumente in Betracht zieht, die den Wert der Retrodiagnostik bezweifeln (176), so tut er doch genau das. Und der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn, der daraus gezogen werden kann, ist aus historischer Sicht gleich Null. Doch genau für die historische Interpretation will er die retrospektive Diagnostik fruchtbar machen: "It will be argued that these uses [die Zwecke genauer zeitgenössischer Beschreibungen von Missbildungen, M.L.] were more complex than the widely held view of monsters as potents of warnings to sinners" (8). Außerdem seien "accounts of monstrous births [...] descriptions of actual events" (11), die aus verschiedenen Gründen interessierten, nicht nur aus religiösen.

Die ersten Enttäuschungen erwarten kultur- und gesellschaftsgeschichtlich, aber auch an Fragen der Wissenschaftsgenese interessierte Leser jedoch bereits in der Einleitung. Entgegen der Ankündigung im Untertitel finden weder die gesamte Frühe Neuzeit noch das gesamte (West-)Europa Berücksichtigung. Mag man letzteres aufgrund sprachlicher Grenzen noch verzeihen, immerhin existieren erste Forschungen auch für Spanien und Portugal [2], so mindert den Wert der Arbeit jedoch erheblich, dass das gesamte 18. Jahrhundert vollständig ausgeblendet bleibt. Gerade hier jedoch wird die Auseinandersetzung mit "Missgeburten" nicht nur aus wissenschaftshistorischer Perspektive [3] erst richtig spannend. Das "Emblematische" gewinnt im 18. Jahrhundert in verschiedenen europäischen Ländern zunehmend politische Bedeutung, insbesondere im Zusammenhang mit Fragen der Bevölkerungs- und der kolonialen "Rassepolitik" [4]. Die Definitionen dessen, was zu imperfekt/deviant ist, um noch als menschliches Wesen zu gelten, werden nicht mehr wie im 17. Jahrhundert nur wissenschaftlich diskutiert, sondern normativ festgeschrieben, mit rechtlichen Konsequenzen. Auch dieser Aspekt bleibt jedoch vollends ausgeblendet.

Nicht nur Bates' Forschungsinteresse bleibt für die Rezensentin "under the veil" - so der Titel des ersten Kapitels. Von der Masse an flüssig und stilsicher ausgebreitetem Quellenmaterial wird auch verdeckt, dass sämtliche Kapitel eigentlich nichts wirklich Neues bieten. Die religiöse Warnung vor sündigem Lebenswandel (Kap. 2), die Allmacht und Kreativität göttlicher Schöpfung (Kap. 3), die voyeuristische Lust am Kuriosen bzw. am Sammeln einzigartiger Exotika und deren anatomische Untersuchung (Kap. 4 und 6) sind von der neueren Kultur- und Wissenschaftsgeschichte längst erforscht. Insgesamt bleiben sämtliche Kapitel an der Oberfläche, selbst exemplarische Analysen gehen selten in die Tiefe. Vergleichend geht der Autor nur in Hinblick auf die Angemessenheit der Rezeption zeitgenössischer Theorien und paralleler Darstellungen vor.

Bemerkenswerte Erkenntnisse wie jene, dass Darstellungen von heute als am Down-Syndrom leidend bezeichneten Kindern für die Zeit vor dem 19. Jahrhundert völlig fehlen, stattdessen "along with many other conditions which led to relatively mild morphological changes, probably fitted into the broad range of 'normality' in the early modern period" (177), gehen dabei einfach unter. Auch die Tatsache, dass sich verschiedentlich Menschen gegen die ihnen aufgenötigte operative "Korrektur" sie nicht behindernder anatomischer Abweichungen mit der vielsinnigen Begründung wehrten, sie seien eben damit geboren worden, wird nur in Klammern ("Interestingly[...]") als aperçu erwähnt (177). Anstatt aus solch differenten Wahrnehmungsweisen die Erkenntnis zu ziehen, dass jede Definition von Pathologisierungen das Subsummieren von Einzelphänomenen ebenso bedingt wie deren Klassifizierung bzw. Normierung durch eine diskursmächtige Gruppe und damit allein abhängig davon ist, was medizinisch als "normal" bzw. "krank" festgelegt wird, betreibt der Autor selbst weitgehend schlichte Klassifizierung morphologischer Darstellungen.

Selbst das fünfte Kapitel, das sich mit zeitgenössischen Erklärungsmustern beschäftigt, bleibt auf nur einen Teil der konkurrierenden Zeugungstheorien beschränkt. Während relativ ausführlich auf aristotelische Vorstellungen eingegangen wird, bleiben andere, seit der Antike konkurrierende Erklärungen, etwa Galens oder Hippokrates', außen vor. Der sich im Laufe der Jahrhunderte intensivierende Konflikt zwischen verschiedenen Zeugungs- und Entwicklungstheorien hätte ebenfalls dafür genutzt werden können, der Logik der "language of emblems" (8) auf die Spur zu kommen. Insgesamt fokussiert der Autor zu stark auf medizinische Diskurse und tut diese dann doch retrospektiv als Fehldeutungen ab. Nicht nachvollziehbar erscheint z.B., warum die unter Laien wie Fachleuten in sämtlichen europäischen Ländern teilweise sogar bis Anfang des 19. Jahrhunderts stark favorisierte Erklärung der mütterlichen Einbildungskraft quasi unter den Tisch fällt. Geht sie doch auf ein vielschichtiges, lang tradiertes und nicht allein auf die Physiologie beschränktes Imaginationskonzept zurück. [5] Die sich aus konkurrierenden Reproduktionstheorien und der Imaginationstheorie ergebenden normativen Konsequenzen interessieren Bates schon gar nicht.

Da Bates analytisch nie genau zwischen akademischen Diskursen, v.a. in den Journalen, und der Rezeption in verschiedenen Formen der Öffentlichkeit bzw. innerhalb betroffener Familien unterscheidet, sondern verschiedene Quellengruppen unvermittelt parallel verwendet werden, erscheint die abschließende Erkenntnis besonders unbefriedigend, dass "malformations" gegen Ende des 17. Jahrhunderts von den Naturforschern (diese Einschränkung nimmt Bates allerdings genau nicht vor) kaum noch respektvoll als Zeichen göttlicher "creation 'good, common, regular and orderly", sondern schlicht als "mistakes of nature" betrachtet wurden (209).

Insgesamt kann die Arbeit als Überblick über die Forschung zu menschlichen "Missgeburten" vor dem 18. Jahrhundert mit Einschränkungen empfohlen werden. Wer keine neuen Forschungserkenntnisse, sondern einen sehr gut lesbaren Einstieg in die Thematik erwartet, wird nicht enttäuscht werden. Der große Vorzug des Buches liegt darum in seiner Vielzahl an anschaulich erzählten Fallgeschichten.


Anmerkungen:

[1] So vermisste die Rezensentin z.B. die Einbeziehung der bekannten und überaus reichhaltigen Sammlung Albert Sondereggers: Missgeburten und Wundergestalten in Einblattdrucken und Handzeichnungen des 16. Jahrhunderts. Aus d. Wickiana d. Zürcher Zentralbibliothek, Zürich u.a. 1927.

[2] Vgl. Elena del Río Parra: Una era de monstruos. Representaciones de lo deforme en el siglo de Oro Español, Vervuert 2003.

[3] Vgl. Patrick Tort: L'ordre et les monstres. Le débat sur l'origine des déviations anatomiques au XVIIIe siècle, Paris 1998² (1980) und Andrew Curran: Sublime Disorder. Physical Monstrosity in Diderot's Universe, Oxford 2001.

[4] Vgl. Michael E Winston: From Perfectability to Perversion. Meliorism in Eighteenth Century France, New York 2005 und diverse Beiträge in: Michael Hagner (Hg.): Der falsche Körper. Beiträge zu einer Geschichte der Monstrositäten, Göttingen 1995 und Urs Zürcher: Monster oder Laune der Natur. Medizin und die Lehre von den Missbildungen 1780-1914, Franfurt/M. 2004.

[5] Vgl. Marie-Helene Huet: Monstrous Imagination. Cambridge/Mass. 1993, sowie Stefanie Zaun, Daniela Watzke, Jörn Steigerwald (Hg.): Imagination und Sexualität. Pathologien der Einbildungskraft im medizinischen Diskurs der frühen Neuzeit, Frankfurt/M. 2004.

Rezension über:

Alan W. Bates: Emblematic monsters. Unnatural conceptions and deformed births in early modern Europe (= Clio Medica; Vol. 77), Amsterdam / Atlanta: Editions Rodopi 2005, 334 S., ISBN 978-90-420-1862-4, EUR 68,00

Rezension von:
Maren Lorenz
Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur
Empfohlene Zitierweise:
Maren Lorenz: Rezension von: Alan W. Bates: Emblematic monsters. Unnatural conceptions and deformed births in early modern Europe, Amsterdam / Atlanta: Editions Rodopi 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/02/11203.html


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