sehepunkte 7 (2007), Nr. 2

R. Zelnick-Abramowitz: Not Wholly Free

Griechische Freilassungen in ihren Konditionen, Formen, rechtlichen und sozialen Implikationen sowie Effekten wurden monographisch letztmals 1909 behandelt [1], in jüngerer Zeit nur abrisshaft. [2] Ein substantieller Zuwachs an epigraphischem Material und darin neu hervorgetretene Phänomene haben eine kontroverse Diskussion ausgelöst, die allerdings auf Einzelaspekte abzielt. Eine aktuelle Synthese ist dringend erforderlich.

Angesichts des langen Zeitraums zwischen homerischer und bereits römisch geprägter Gesellschaft (8. Jahrhundert v.Chr. bis 3. Jahrhundert n.Chr.), der Vielzahl griechischer Staatswesen mit jeweils eigenen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, der Verstreutheit und Lückenhaftigkeit des Materials sowie der meist unzureichenden Kenntnis von Strukturen, die ihm zugrunde liegen, wird man von vornherein kein geschlossenen Bild erwarten. Der Versuchung, ein solches über umfassende, anthropologisch-soziologisch fundierte Theorien zu entwickeln, wird in der vorliegenden Studie in besonnener Weise widerstanden. Allerdings wird aus griechischen Vorstellungen zu personaler Abhängigkeit, eleutheria und philia ein generelles Fundament der folgenden Darstellung konstituiert (15 - 60).

Der Fokus liegt zwischen dem späten 5. und 1. Jahrhundert v.Chr., auf Athen, Delphi, den mittelgriechischen Staaten und Makedonien. Die Berücksichtigung auch Kleinasiens (vgl. etwa [3]), Siziliens und Unteritaliens, aber auch mutterländischer Poleis mit Sonderproblemen (Sparta), endlich außergewöhnlicher Phänomene wie Massenfreilassungen als Belohnung militärischer Leistungen [4] hätte den verfügbaren Rahmen gesprengt.

Die Freilassung wird als Prozess beschrieben, der sich über mehrere Stufen vollzieht, beginnend mit einer Phase noch starker Abhängigkeit. Diese endet mit einer Aufhebung detailliert beschriebener Verpflichtungen (paramone-Klauseln), die bei Nicht-Erfüllung eine Rückkehr in die Sklaverei bewirken. Erst damit wird der Freigelassene rechtlich unabhängig (als exeleutheros), aber nicht eigentlich frei, da Freiheit (eleutheria) nur dem Vollbürger zukommt, während die Stellung des ehemaligen Sklaven innerhalb der Polisgesellschaft rechtlich beschränkt und sozial gemindert bleibt. Die letzte Stufe des Prozesses, der Erwerb des Bürgerrechts, kann nur im Ausnahmefall genommen werden, impliziert aber auch dann Restriktionen und Vorbehalte etwa hinsichtlich des passiven Wahlrechts zu wichtigeren Funktionen.

Auch das Problem der Initiierung dieses Prozesses wird eingehend behandelt: Wie kann es zu vertraglichen Abmachungen zwischen Parteien kommen, von denen eine rechtlich noch nicht als Person gilt? Und wie können solche Abmachungen durchgesetzt werden? An dieser Stelle kommen Gottheiten bzw. ihre priesterlichen Vertreter als Mediatoren ins Spiel. Das Verfahren, das in vielfältigen Facetten unter der Bezeichnung der Heiligen Freilassung zusammengefasst ist, wird in seinen religiösen und gesellschaftlichen Grundlagen eingehend beschrieben und analysiert; inschriftliche Dokumente aus einer Vielzahl von Heiligtümern werden über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten vorgestellt. Natürlich können dabei aus mehreren tausend Texten nur einige Beispiele herangezogen und die Potentiale namentlich der delphischen Urkunden nur sehr bedingt genutzt werden.

Gegenüber der Polisgemeinschaft unterlagen Freigelassene Restriktionen, konnten aber umgekehrt deren Schutz in Anspruch nehmen, was angesichts ihrer gerade anfangs prekären Stellung wichtig war. Etwas genauer kennen wir die Situation nur für Athen aus attischen Gerichtsreden, die ihrerseits manche Frage offen lassen. Daraus resultierenden Schwierigkeiten begegnet die Verfasserin, indem sie die rechtliche von der gesellschaftlichen Ebene abgrenzt: Konflikte wurden vermieden, Unstimmigkeiten im Recht erst gar nicht virulent, weil man sie bewusst ignorierte bzw. dann, wenn sie bei Gericht anhängig wurden, Reglungen unterhalb der richterlichen Instanz fand. Ob entsprechende Strategien zur Konfliktlösung auch außerhalb Athens funktionierten oder erforderlich waren, lässt sich aus dem Überlieferten nicht ersehen.

Häufig ist die Verfasserin souverän genug, das nötige non liquet zu formulieren. Bisweilen aber versucht sie das Unmögliche. An solchen - nicht sehr zahlreichen - Stellen kann man ihr Kritik nicht ersparen. Als Beispiel mag das Verständnis von Gebühren dienen, welche Poleis von Freigelassenen für Dienstleistungen unterschiedlicher Art erhoben. Sie reichten von der Publikation der Freilassungen im öffentlichen Raum (Thessalien) bis zu ihrer rechtlichen Sanktionierung in gerichtlichen Verfahren (Athen). So wurde in thessalischen Städten eine Registrierungsgebühr von 15 thessalischen Stateren erhoben resp. 22,5 römischen Denaren (197 f.), was den Vorgang datiert: nach 168 v.Chr. entsprach der thessalische Stater dem Ditropaikon (= 2 römischen Victoriaten à 0,75 Denaren). Deutlich früher, im Jahrzehnt ca. 330/20 v.Chr., wurden in Athen zahlreiche uniforme Weihungen von phialai exeleutherikai an die Stadtgöttin Athene inschriftlich dokumentiert, welche Freigelassene nach gewonnenen Apostasie-Prozessen vorzunehmen hatten: "[...] the payment itself seems to be more appropriate for a publication fee, which was often a fixed sum (e.g. 15 staters or 22.5 denarii in Thessaly) than for a manumission tax [...]. If we take the conventional rate of 100 drachmae = 75 denarii, the publication fee in Athens seems to have been a reasonable sum." (289). Diese Auffassung ist umso schwerer nachvollziehbar, als die an sich schon weit höhere Summe in Athen (jedenfalls mehr als 100 Gelddrachmen, da eine Marktmine Silber zugrunde liegt: vgl. [5]) eine qualitativ andere Leistung erwarten lässt als später in Thessalien. Überhaupt befremdet eine Umrechnung in Denare bereits für die Zeit um 330: Bekanntlich wurde das römische Nominal erst um 211 eingeführt (und auch da hatte die spätere Weltmacht noch keine Relevanz für Athen). Das Beispiel zeigt, wie problematisch es ist, Disparates zu Strukturen und Vorstellungen zusammenzuschließen, welche "were shared by all Greeks at all times" (344).

Benutzt man das Buch in diesem Sinn kritisch, so gewinnt man ein sehr nützliches Arbeitsinstrument, das wichtige Quellen erschließt, die Diskussion angemessen wiedergibt und zuweilen selbst beachtenswerte Beiträge leistet.


Anmerkungen:

[1] A. Calderini: La manomissione e la condizione dei liberti in Grecia, 1908.

[2] N.R.E. Fisher: Slavery in classical Greece, 1995, 67 - 78; P. Cartledge: Freigelassene, 1: Griechenland, DNP 4 (1998), 644 - 46; H. Klees: Sklavenleben im klassischen Griechenland (FAS 30), 1998, 297 - 354 (jeweils unberücksichtigt).

[3] P. Herz: Das Bürgerrechtsdekret von Ephesos (I. Ephesos 8). Gedanken zur Gesellschaft im spätrepublikanischen Kleinasien, in: 50 Jahre Forschungen zur antiken Sklaverei an der Mainzer Akademie (FAS 35), hg. H. Bellen/ H. Heinen, 2001, 185 - 207.

[4] K.-W. Welwei: Unfreie im antiken Kriegsdienst, 1: Athen und Sparta (FAS 5), 1974; 2: Die kleineren und mittleren griechischen Staaten und die hellenistischen Reiche (FAS 8), 1977.

[5] M. Lang: Weights and measures (The Athenian Agora X 1), 1964, 1 - 68.

Rezension über:

R. Zelnick-Abramowitz: Not Wholly Free. The Concept of Manumission and the Status of Manumitted Slaves in the Ancient Greek World (= Mnemosyne. Supplementa; Vol. 266), Leiden / Boston: Brill 2005, vii + 385 S., ISBN 978-90-04-14585-6, EUR 119,00

Rezension von:
Johannes Heinrichs
Institut für Altertumskunde, Universität zu Köln
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Heinrichs: Rezension von: R. Zelnick-Abramowitz: Not Wholly Free. The Concept of Manumission and the Status of Manumitted Slaves in the Ancient Greek World, Leiden / Boston: Brill 2005, in: sehepunkte 7 (2007), Nr. 2 [15.02.2007], URL: https://www.sehepunkte.de/2007/02/10343.html


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