sehepunkte 6 (2006), Nr. 11

Stefan Hartmann (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1551-1557)

Seit vielen Jahren führt Stefan Hartmann im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem Untersuchungen über das Archiv von Herzog Albrecht von Hohenzollern durch. Deren Gegenstand sind vor allem die in Abteilung D des Herzoglichen Briefarchivs befindlichen Archivalien und Kopiarbücher aus der Abteilung "Ostpreußische Folianten". Die besprochene Veröffentlichung stellt den vierten Band der Regesten aus der Korrespondenz von Herzog Albrecht mit den weltlichen und kirchlichen Behörden in Livland dar. In drei vorherigen Bänden wurde das Material für die Jahre 1525-1534, 1534-1540 sowie 1541-1550 publiziert. [1]

Der Band weicht hinsichtlich seines Aufbaus nicht von den früheren ab. Grundsätzlich besteht er aus drei Teilen: einer Einführung, einer Darstellung der wichtigsten, sich aus der in Form von Regesten bearbeiteten Korrespondenz ergebenden Ereignisse und aus den Regesten selbst. Das Ganze erschließen ein Personen- und ein Ortsregister. Im gegebenen Fall bedeutet der Begriff "Regest" nicht etwa das "Inhaltsverzeichnis" des Briefes, sondern seine "Zusammenfassung". Stefan Hartmann analysiert die Quellen Satz für Satz, ohne aus ihnen irgendwelche Bestandteile auszulassen. Hervorzuheben ist, dass nicht nur Briefe in Form von Regesten berücksichtigt wurden, sondern auch Beschreibungen der Reiserouten, Inhalte von Urteilen in Streitsachen oder Pamphlete und Epigramme gegen die Osiandristen. Besonders wertvoll erscheinen die durch den Deutschen Orden 1556 nach der Eroberung des Sitzes von Erzbischof Wilhelm in Kokenhausen angefertigten Inventare (Regesten 1898/1-7). Die Regesten bilden somit nicht nur eine hervorragende Quelle zur politischen Geschichte dieser Region. Sie liefern auch zahllose wertvolle Fakten zur Wirtschafts-, Gesellschafts-, Militär- und Kirchengeschichte in Livland.

Diese Tiefenerschließung der Quellen macht vor allem das Bild der komplizierten politischen und religiösen Verhältnisse in Livland in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts transparenter. Die Korrespondenzen entstanden in den Jahren 1551-1557, als Heinrich von Galen Meister des Ordens in Livland war. An den zu seiner Zeit laufenden politischen Auseinandersetzungen nahmen der Rigaer Erzbischof Wilhelm (Bruder von Herzog Albrecht von Hohenzollern) mit seinem Domkapitel, die Stadt Riga, die Bischöfe von Dorpat, Ösel und Kurland und der livländische Zweig des Deutschen Ordens teil. Letzterer erhob keinen geringen Anspruch als den, Führungsmacht in Livland zu sein: Der über beträchtliche finanzielle Mittel verfügende Orden strebte mithilfe aus dem Reich stammender Söldner die faktische Kontrolle des Erzbistums an, weshalb er von Albrecht von Hohenzollern als Hauptakteur in Livland angesehen wurde. Die dem Orden von den livländischen Bischöfen gewährte Unterstützung schwächte die Position des Metropoliten von Riga in Livland wesentlich ab. Der Streit zwischen Erzbischof Wilhelm und dem Orden gehörte folglich zu den schärfsten Konflikten in Livland und strahlte weit in den Ostseeraum hinein.

Das Regestenwerk stellt darüber hinaus eine geeignete Quelle auch zur inneren Geschichte des Deutschen Ordens in Livland dar. In der Korrespondenz finden sich zahlreiche aufschlussreiche Kommentare und Bemerkungen zum Zustand des Ordens. Eine besonders wertvolle Quelle ist das auf das Jahr 1556 datierte Verzeichnis aller hohen Beamten des Ordens, ihres Besitzes und ihres Beitrags zur Ordenskasse (Nr. 1751). Viel Raum nimmt in den Regesten die selbstständige Politik des Landmarschalls Jaspar von Munster ein, der sich gegen den Livländischen Ordensmeister Heinrich von Galen und gegen die Stände für ein Bündnis mit Dänemark, Schweden und Polen aussprach. Seine politische Anschauung sowie Konflikte mit anderen Würdenträger des Ordens bewogen ihn zum Bündnis mit Erzbischof Wilhelm. Beide begannen, Pläne in Hinblick auf die Übernahme der Kontrolle über Livland zu schmieden, die jedoch angesichts der zurückhaltenden Politik des polnischen Königs Sigismund August nicht aufgingen. Als Reaktion auf diese Politik griff im Juni 1556 der Felliner Komtur Wilhelm von Fürstenberg das Erzstift Riga an. Landmarschall Jasper von Munster floh nach Litauen und Erzbischof Wilhelm mit Koadjutor Christoph gerieten in Gefangenschaft. Dieser Konflikt wurde schließlich zum Gegenstand der Tagungen des Reichstags in Regensburg (März 1557). Ferdinand I. befahl beiden Parteien, diesen Konflikt so schnell wie möglich zu beenden.

Eine weitere heikle Frage war mit der Wahl des erwähnten Koadjutors im Erzstift Riga verbunden. Erzbischof Wilhelm und Herzog Albrecht unterstützten gegen den Orden die Kandidatur ihres Verwandten, des Herzogs Christoph von Mecklenburg. Mit der Platzierung eines Vertreters der herzoglichen Familie als Koadjutor hofften Wilhelm und Albrecht ihre Position gegenüber dem Orden zu stärken. Sowohl Herzog Albrecht als auch Erzbischof Wilhelm rechneten mit der Unterstützung Dänemarks und Polens. Die beiden Staaten traten in Angelegenheiten Livlands schließlich jeweils als "Konservator und Schutzherr des Erzstifts" auf. Dieses Betreiben stieß indes auf den Widerstand der livländischen Stände, die gemäß dem Wolmarer Rezeß von 1546 das Recht auf Bestätigung des aus einer herzoglichen Familie stammenden Koadjutors reklamierten. Die Anhänger von Erzbischof Wilhelm ergriffen nun eine Reihe diplomatischer Maßnahmen. In den Briefen aus den Jahren 1555 und 1556 treten auch die eigenständigen Bemühungen der Mecklenburger um Unterstützung ihres Kandidaten bei anderen Häusern (Brandenburg, Sachsen, usw.) hervor. Unter Berufung auf die kaiserlichen Privilegien, die ihnen Kontrolle über Livland gewährten, führten die Behörden des Deutschen Ordens gegen all dies eine konfrontative Politik.

Ein anderer, in der Korrespondenz aus dem Herzoglichen Briefarchiv allgegenwärtiger Problemkomplex ist das Verhältnis zwischen den Ostseestaaten (Dänemark, Polen, Schweden und Russland) und den livländischen Ständen: Livland war ein Gebiet, in dem sich die Interessen der genannten Länder kreuzten. Dies führte zur Entstehung wechselseitiger Anhängerschaften auch innerhalb der livländischen Stände, die sich jeweils für eine bestimmte äußere politische Macht aussprachen.

So sehr Erzbischof Wilhelm und Herzog Albrecht geneigt waren, eine Bündnis mit Polen, Dänemark und Schweden einzugehen, so sehr bemühte sich der Meister des Ordens um eine Annäherung an den Zaren Russlands. Der Orden machte durch Militärangriffe an der Grenze mit Litauen eine Annäherung zwischen Erzbischof Wilhelm und Polen de facto unmöglich. Diese Politik führte zur Isolierung Livlands und zwang den Meister des Ordens zu wesentlichen Zugeständnissen Russland gegenüber, die seinen allmählichen Souveränitätsverlust bewirkten.

Der rezensierte Band ist, ähnlich wie die früheren Bände, gleichermaßen Grundlage und Anreiz zur verstärkten Befassung mit der komplexen Geschichte Livlands im 16. Jahrhundert. [2] Die Bearbeitung der Korrespondenz von Herzog Albrecht für die Jahre 1558-1562, also der Zeit der zwei letzten Livländischen Ordensmeister, Wilhelm von Fürstenberg (1557-1559) und Gotthard Kettler (1559-1562), ist mit Spannung zu erwarten. Die rasche Folge der Herausgabe der bisherigen Bände nährt die Hoffnung auf ein baldiges Erscheinen der nächsten Veröffentlichung der Regesten aus dem Briefarchiv Herzog Albrechts.


Anmerkungen:

[1] Ulrich Müller (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1525-1534). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 41), Köln/Weimar/Wien 1996; Stefan Hartmann (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1534-1540). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 49), Köln/Weimar/Wien 1999; Ders. (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1540-1551). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und den Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz; Bd. 54), Köln/Weimar/Wien 2002.

[2] Marian Biskup (Hrsg.): Inflanty w średniowieczu. Władztwa zakonu krzyżackiego i biskupów [Livland im Mittelalter. Landesherrschaften des Deutschen Ordens und der Bischöfe], Toruń 2002; Bogusław Dybaś, Dariusz Makiłła (Hrsg.): Prusy i Inflanty między średniowieczem a nowożytnością. Państwo-społeczeństwo-kultura [Preußen und Livland zwischen Mittelalter und Neuzeit. Staat-Gesellschaft-Kultur], Toruń 2003.

Rezension über:

Stefan Hartmann (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1551-1557). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und dem Ostpreußischen Folianten (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz; Bd. 57), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, LXXIII + 562 S., ISBN 978-3-412-12505-9, EUR 69,90

Rezension von:
Radoslaw Biskup
Institut für Geschichte und Archivkunde, Nikolaus-Kopernikus-Universität, Toruń
Empfohlene Zitierweise:
Radoslaw Biskup: Rezension von: Stefan Hartmann (Bearb.): Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1551-1557). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv und dem Ostpreußischen Folianten, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 11 [15.11.2006], URL: https://www.sehepunkte.de/2006/11/7890.html


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