Rezension über:

Klaus Kellmann: Stalin. Eine Biographie, Darmstadt: Primus Verlag 2005, 351 S., ISBN 978-3-89678-265-6, EUR 24,90
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Rezension von:
Jan Foitzik
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Jan Foitzik: Rezension von: Klaus Kellmann: Stalin. Eine Biographie, Darmstadt: Primus Verlag 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/9247.html


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Diese Rezension ist Teil des Forums "Neuerscheinungen zu Stalin" in Ausgabe 6 (2006), Nr. 10

Klaus Kellmann: Stalin

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Der Verfasser ist Mitarbeiter einer Landeszentrale für politische Bildung und erklärt im Vorwort offen, dass er keine neue "wissenschaftliche Spezialuntersuchung zu Stalin" hinzufügen, sondern eine essayistische biografische Gesamtschau für zeitgeschichtlich interessierte Menschen, Lehrende und Lernende in der Erwachsenenbildung schreiben wolle. Kellmanns Buch zeigt auch, was man ohne direkten Zugang zu russischen Quellen über Stalin alles weiß, und das ist nicht wenig.

Der Text ist chronologisch in 15 Kapitel gegliedert, die sachthematisch übersichtlich unterteilt sind. Aufschlussreich ist die im Anhang angefügte Chronik, denn sie beginnt mit der Geburt Stalins 1879 und endet im Jahr 2005 mit Hinweisen auf neostalinistische Tendenzen. Tatsächlich gruppiert Kellmann um die Biografie Stalins einen Schnellkurs der russischen / sowjetischen und der Kommunismusgeschichte, in der man einiges über die gescheiterte "deutsche Revolution" von 1923, über Ulbricht-Wehner in Moskau und ein Stück Moskauer KPD-Exilgeschichte erfahren kann. In kleinen Abschweifungen werden aber auch Vertreibungsverbrechen und der Atomspion Klaus Fuchs thematisiert, auf einer Druckseite wird die SBZ-Geschichte vorgestellt, die innenpolitische Lage in der UdSSR nach 1945 und die "deutsche Frage" bis Stalins Tod. Der Autor fährt dann aber ungebremst fort: der 17. Juni 1953, Berijas Entmachtung und nach "der Entstalinisierung bis zur Perestroika" kommen auch noch Jelzin und Putin zur Sprache. "Der Schatten Stalins und der Zaren" weckt beim Autor Zweifel, wie tot Stalin tatsächlich ist.

Der Autor bedient Bedürfnisse, die wohl in der Erwachsenenbildung artikuliert werden, mit pädagogischen Hilfsmitteln der stilistischen Dramatisierung. Man erfährt deshalb viel über die Kindheit und Jugend des ausgezeichneten Schülers, wobei es wirklich unwichtig ist, ob Ossetisch oder Georgisch Stalins eigentliche Muttersprache war (Georgisch reicht völlig aus). Stalins Kinderkrankheiten und seine Größe von 1,65 Meter werden psychologisch interpretiert - 1,65 Meter dürften damals aber guter Durchschnitt gewesen sein -; angedeutet wird gar die Möglichkeit eine Vergewaltigung seiner späteren zweiten Frau, die er erst ein Jahr später im vierten Schwangerschaftsmonat geheiratet habe; von "nachgeburtlicher Depression" Nadjeschda Allilujewas und zehn Abtreibungen in 14 Ehejahren erfährt der Leser (85), dem sich die Relevanz solcher Informationen nicht immer erschließt. Peinlich wirken solche stilistischen Motivierungsversuche, wenn dabei herauskommt, dass zum Tod von Stalins Sohn Jakob in einem deutschen Konzentrationslager 1943 "von Beileidsbekundungen aus Moskau nichts bekannt ist" (85) oder dass Stalin "demonstrativ an der Gründungszeremonie der DDR nicht teilnahm" (237). Abgesehen von der die Zahl der Deutschen in der UdSSR weit unterschätzenden Fehlinformation, dass 1938 "bereits 70.000, also fast alle in der Sowjetunion lebenden Deutschen, verhaftet waren" (142), fallen sie sachlich nicht allzu sehr ins Gewicht. Das Buch ist insgesamt gut geschrieben und lesbar. Ein Mehr an Nüchternheit hätte ihm aber zum Vorteil gereicht.

Zweierlei stört: Zum einen die ungebrochene Kontinuitätslinie von 1929 bis zur Gegenwart - gewiss gibt es Kontinuitäten, auch ältere, aber keine ungebrochenen; zum anderen ein "verfremdetes", dennoch unverhohlenes Deutungsspiel mit einem Vergleich Hitler-Stalin und ein Kokettieren mit dem "Geschichtsrevisionismus". Für Spekulationen über eine deutsche Mitwisserschaft an den Verbrechen von Katyn (158) gibt es keine Indizien, das Problem des "deutschen Präventivkriegs" 1941 wird nicht klar genug diskutiert: Allein der (ohne Heranziehung russischer Quellen) verwendete Ausdruck "Angriffsarmee" suggeriert aber mehr als etwa die Übersetzung mit "Offensivarmee". Dass die sowjetische Propaganda nach dem Flug von Rudolf Heß nach England im Mai 1941 auf "Angriffskrieg" umgestellt worden sei, weil die "Engländer Stalin unter Druck gesetzt" hätten, was "verheerende Wirkung auf Stalins Denken" (182) gehabt habe, erscheint doch recht weit hergeholt: Die "Russen" wurden damals beispielsweise vom tschechoslowakischen Geheimdienst, der dem britischen Secret Service inkorporiert war, ausführlich über Heß informiert . Weit hergeholt sind auch Behauptungen über die angebliche US-amerikanische und sowjetische Inaktivität gegenüber der nationalsozialistischen Judenvernichtung. Es gibt durchaus veröffentlichte sowjetische Quellen, in denen beispielsweise 1944 von "Massentötung durch Gas" die Rede ist. Ausschließen kann man wohl, dass Ilja Ehrenburg "in direktem Benehmen mit Stalin Hetzschriften" (224) für Soldaten hergestellt hat, und auch der Satz: "Vertreibungsverbrechen waren also keine Einzelaktionen blindwütig marodierender Rotarmisten, sondern eine staatlicherseits geduldete oder sogar gelenkte Form der Ausmerzung und Liquidation" ist in dieser Form falsch und die entlastende Berufung auf die "vielschichtige Natur des Menschen" (224) und die Situation der sowjetischer Soldaten nur ein frommer Spruch. Wenn man schon Stalin damit belasten wollte, hätte man sich die Fakten genauer ansehen müssen, die solche Verallgemeinerungen korrigiert hätten.

Sieht man von der versteckten Deutungsambition ab, ein informatives und gut lesbares populärwissenschaftliches Buch, das nebenbei auch für Anspruchsvolle sehr interessante Details über den amtlichen Umgang mit dem Erbe Stalins im postsowjetischen Russland enthält.

Jan Foitzik