Rezension über:

Christine Pflüger: Kommissare und Korrespondenzen. Politische Kommunikation im Alten Reich (1552-1558) (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit; Bd. 24), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, 365 S., ISBN 978-3-412-13404-4, EUR 39,90
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Rezension von:
Albrecht P. Luttenberger
Historisches Seminar, Universität Regensburg
Redaktionelle Betreuung:
Christine Roll
Empfohlene Zitierweise:
Albrecht P. Luttenberger: Rezension von: Christine Pflüger: Kommissare und Korrespondenzen. Politische Kommunikation im Alten Reich (1552-1558), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/6398.html


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Christine Pflüger: Kommissare und Korrespondenzen

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Die anzuzeigende Dissertation ist entstanden in der Schule Horst Rabes in engem Bezug zum Konstanzer Projekt zur Erschließung der Politischen Korrespondenz Kaiser Karls V. Das dort geweckte Interesse an der politischen Kommunikation konzentriert sich auf die Übergangszeit zwischen dem allmählichen Rückzug Karls V. aus der Reichspolitik und der Kaisererhebung Ferdinands I. auf dem Frankfurter Kurfürstentag 1558. Damit rückt eine reichspolitische Konstellation in den Blick, in der einerseits der Autoritätsanspruch des Kaisers kaum noch zur Geltung kam, andererseits Ferdinand nach wie vor nur als Statthalter fungierte, mithin nur über einen begrenzten Handlungsraum verfügte.

Unter diesen Rahmenbedingungen stand eine Reihe gravierender politischer Probleme zur Diskussion, deren Genese und Brisanz das erste Kapitel knapp skizziert. Der Konflikt zwischen Markgraf Albrecht Alkibiades und der fränkischen Einung löste nicht nur vielfältige politische Aktivitäten zu seiner Beilegung aus, sondern warf auch die grundsätzliche Frage nach der optimalen Sicherung des Landfriedens auf, die eine auf Dauer angelegte, allgemein konsensfähige Lösung verlangte. Zudem hatte die von Karl V. schließlich ratifizierte Fassung des Passauer Vertrages die Entscheidung für einen faktisch unbefristeten Religionsfrieden wieder zurückgenommen und bis zum nächsten Reichstag, der im Übrigen immer wieder vertagt wurde, in der Schwebe gelassen. Die Lage an der Westgrenze des Reiches galt nach dem Scheitern der kaiserlichen Kriegführung in Lothringen zeitweise als undurchsichtig und bedrohlich. Zu berücksichtigen war außerdem stets auch die Notwendigkeit, die ungarische Grenze gegen türkische Übergriffe zu sichern.

Aus der Feststellung, dass aus dieser komplexen Problemlage ein erhöhter politischer Kommunikationsbedarf resultierte, ergibt sich die Fragestellung der Untersuchung: Sie soll klären, welche Bedeutung dem diplomatischen Instrumentarium König Ferdinands nicht nur für die Bewältigung der anstehenden reichspolitischen Probleme, sondern auch für die Stabilisierung der habsburgischen Herrschaft im Reich unter den Handlungsbedingungen einer schwierigen, mit allerlei Unwägbarkeiten belasteten Übergangskonstellation zukommt.

Zunächst einmal fällt auf, dass die Korrespondenz König Ferdinands in den Jahren 1552-1554 quantitativ rapide zunahm und dass der Anteil der im Reich eingesetzten königlichen Kommissare an diesem Zuwachs bemerkenswert hoch war. Dieser Befund lässt es lohnend erscheinen, die Aktivitäten dieser heterogen zusammengesetzten Gruppe königlicher Vertrauensleute, die durch Sachkenntnis und diplomatische Erfahrung ausgewiesen waren, ausgedehnte Kontakte unterhielten und außerordentlich mobil agierten, einer näheren Analyse zu unterziehen, die zwischen den verschiedenen Aufgabenfeldern der Kommissare differenziert.

Dabei zeigt sich in einem ersten Untersuchungsschritt, dass die Kommissare Ferdinands bei ihren vielfältigen Verhandlungen zur Kreditbeschaffung für die Türkenabwehr und zur Einhebung des Gemeinen Pfennigs nicht nur eine - wenn auch begrenzte - Eigeninitiative entfalten und einen tolerierten Entscheidungsspielraum wahrnehmen konnten, sondern sich auch zielstrebig bemühten, die Loyalität ihrer Verhandlungspartner gegenüber den österreichischen Habsburgern zu festigen und die habsburgische Klientel zu stabilisieren; sie entwickelten zudem ein ausgeprägtes Selbstverständnis als "Multiplikatoren königlicher Autorität" (85). Ihre sorgfältige Berichterstattung vermittelte dem König nicht nur zuverlässige Informationen über den jeweiligen Verhandlungsstand, sondern erlaubte auch ein gewisses Maß an Kontrolle über die Reaktionen der kontaktierten Reichsstände.

Als besonders hilfreich erwies sich das Kommunikationspotential der Kommissare, wenn es im Kontext bündnispolitischer Bestrebungen bzw. des fränkischen Konflikts darum ging, bei den Reichsständen Vertrauen in die Politik Ferdinands zu stiften und sie von der Uneigennützigkeit und Glaubwürdigkeit seiner Bemühungen um die Sicherung des Landfriedens zu überzeugen. Hier wie auch auf sonstigen ständischen Tagungen konnten die Kommissare auf mehreren Kommunikationsebenen agieren, zunächst einmal im Rahmen der offiziellen formalisierten Verhandlungsführung, dann in eher informellen Gesprächen "ad partem" und schließlich unabhängig von ihrem dienstlichen Auftrag als Privatmänner, die - wie besonders häufig Dr. Johann Ulrich Zasius - aufgrund ihres individuellen politischen Ansehens um ihre Meinung gefragt wurden.

Diese Alternative ermöglichte den Kommissaren ein hohes Maß an Flexibilität, die sie nachweislich auch vielfältig nutzten, um ihre kommunikative Brückenfunktion zwischen König Ferdinand und den Reichsständen auszufüllen. Dies konnte in verschiedenen Rollen geschehen, als Assistenten kaiserlicher Kommissare, als Beiräte bei ständischen Verhandlungen, als Repräsentanten des Königs auf Kreistagen, Adelstagen oder Bundestagen, als Vermittler etc. In jedem Fall leisteten sie einen erheblichen Beitrag zur Verdichtung der politischen Kommunikation im Reich, insbesondere was die Diskussion um den Landfrieden betraf. Dass sie dabei auch als Kontrollinstanz fungierten, die über die politische Meinungsbildung der Reichsstände wachte, belastete ihre kommunikativen Beziehungen offenbar nicht.

Dieser Befund bestätigt die allgemeine Anerkennung der königlichen Autorität Ferdinands, die seine Kommissare repräsentierten und der sie Einfluss zu verschaffen suchten. Diesen Bemühungen waren zwar mitunter klare Grenzen gesetzt, etwa wenn die königlichen Kommissare keinen Zugang zu den internen Beratungen ständischer Gremien fanden, aber sie verfügten durch ihre vielfältigen Beziehungen zu Obrigkeiten und Amtsträgern, durch vertrauensbildende "gute Korrespondenz" und durch ihre außerdienstlichen Kontakte zu ausgewählten Einzelpersonen, die wertvolle Informationen liefern bzw. Entscheidungsprozesse fördern konnten, über ein breites Spektrum der Einflussnahme zur Förderung der Interessen Ferdinands und zur Aktivierung der Mitverantwortung der Reichsstände zur Lösung zentraler reichspolitischer Probleme wie z. B. zur Gewährleistung des Landfriedens. Zugleich eröffneten die Regelmäßigkeit, die Verlässlichkeit, die Dichte und Genauigkeit ihrer Berichterstattung dem König, der die Aktivitäten seiner Diplomaten in stetiger Rückkoppelung steuern und veränderten Situationen anpassen konnte, neue Handlungsmöglichkeiten und erleichterten ihm die politische Reaktion und Initiative.

Diese Befunde stützen die These, dass den königlichen Kommissaren in der Reichspolitik Ferdinands eine Schlüsselrolle zufiel, als es darum ging, die Landfriedensproblematik zu lösen bzw. die Dringlichkeit dieser Aufgabe den Ständen immer wieder bewusst zu machen, den Rückzug des Kaisers auszugleichen und die königliche Autorität als Alternative glaubwürdig zur Geltung zu bringen, um die habsburgische Herrschaft im Reich wieder zu konsolidieren. Der dabei bevorzugte, weil eher erfolgversprechende, kooperative Stil im Umgang mit den Reichsständen setzte eine kontinuierliche Verdichtung der politischen Kommunikation voraus. Als Instrument einer so angelegten Reichspolitik boten die königlichen Kommissionen, die über den Kernraum der habsburgischen Klientel hinaus weite Teile des Reiches abdecken konnten, sich geradezu an.

Die Arbeitsweise der königlichen Vertreter im Reich, die Bedeutung ihrer persönlichen Kontakte, die Reichweite ihrer kommissarischen Kompetenzen, ihr Einfluss auf politische Entscheidungen Ferdinands, das Gewicht ihrer persönlichen Autorität, die Voraussetzungen ihrer hohen Mobilität, ihr Selbstverständnis als Repräsentanten der königlichen Autorität im Reich und als Vertreter habsburgischer Interessen, ihre Auffassung vom Reich als übergreifender politischer Ordnung und seinem vorrangigen Interesse und die Kanäle der Nachrichtenübermittlung exemplifiziert ein eigenes Kapitel über Dr. Johann Ulrich Zasius und Heinrich (IV.) Reuß von Plauen als königliche Kommissare, deren Tätigkeit als "Substitut ständiger Gesandtschaften im Reich" (281) aufgefasst werden kann.

Gegenüber den königlichen Kommissionen grenzt Christine Pflüger drei weitere Ebenen politischer Kommunikation ab, die Ferdinand ebenfalls zur Stabilisierung seines königlichen Herrschaftsanspruches nutzen konnte: die Gesandtschaften ohne Entscheidungskompetenz zur Anknüpfung politischer Beziehungen, die ständischen Vermittlungstage, die sich der Tradition des Fehderechtes zuordnen lassen und die in den 1550er Jahren vor allem mit der Beilegung des Konfliktes zwischen Markgraf Albrecht Alkibiades und der fränkischen Einung befasst waren, sowie die Erbeinungen. Letztere waren als Instrumente der Landfriedenswahrung konzipiert und auf Dauer angelegt, sie konnten auch Erbfolgeregelungen zwischen den beteiligten Dynastien enthalten und boten mithin eine Alternative zu Landfriedensbünden wie zur Kreisordnung und konnten unter Umständen eine hohes politisches Eigengewicht entwickeln.

Auch auf diesen Ebenen bot sich dem König reichlich Gelegenheit zur Demonstration seiner Bereitschaft zur konstruktiven friedenspolitischen Kooperation mit den Ständen. Sein vielfältiges Engagement für die Sicherung des Landfriedens und des Rechts erweist sich, indem es im Rahmen einer sich zunehmend verdichtenden politischen Kommunikation vertrauensbildend wirkte, als Voraussetzung für den Erfolg seiner Bemühung, im Gegenzug zum Autoritätsverlust des Kaisers die habsburgische Position im Reich wieder zu konsolidieren. Anders ausgedrückt: Aus der Nutzung verschiedener, wechselnder Kommunikationsformen baute sich zwischen dem König und den Ständen, wenn auch auf mancherlei langwierigen Umwegen, ein tragfähiges Netz politischer Beziehungen auf, das einen Zuwachs an Lösungskompetenz ermöglichte, die sich dann in den weitreichenden Augsburger Beschlüssen von 1555 manifestierte. Diese Kernthese der Arbeit revidiert das geläufige Bild von der königlichen Politik im Untersuchungszeitraum und der gleichzeitigen reichspolitischen Entwicklung nicht unerheblich. Diese Revision verdankt sich nicht zuletzt dem kommunikationsgeschichtlichen Interesse, das die Untersuchung anleitet. Der Ertrag der Arbeit bestätigt die Ergiebigkeit des gewählten Konzeptes und erweitert zugleich die Beschäftigung mit dem Alten Reich um eine methodisch anregende, weiterführende Perspektive.

Albrecht P. Luttenberger