Rezension über:

Hans Biereigel: Luise Henriette von Nassau-Oranien. Kurfürstin von Brandenburg, Erfurt: Sutton Verlag GmbH 2005, 94 S., ISBN 978-3-89702-838-8, EUR 14,90
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Rezension von:
Michael Kaiser
Historisches Seminar, Universität zu Köln
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Michael Kaiser: Rezension von: Hans Biereigel: Luise Henriette von Nassau-Oranien. Kurfürstin von Brandenburg, Erfurt: Sutton Verlag GmbH 2005, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 10 [15.10.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/10/11131.html


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Hans Biereigel: Luise Henriette von Nassau-Oranien

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Der schmale Band skizziert das Leben der Oranierin Luise Henriette (1627-1667), die als Frau Friedrich Wilhelms von Brandenburg, besser bekannt als des Großen Kurfürsten, in die Geschichte eingegangen ist. Die Darstellung folgt ganz traditionell den biographischen Stationen der Kurfürstin von der Wiege bis zur Bahre. Auf einleitende Ausführungen zum Haus Nassau-Oranien sowie den Eltern Friedrich Heinrich von Oranien und Amalia von Solms folgen Abschnitte über ihre Jugend und die Friedrich Wilhelms, dann die Geschichte der Eheanbahnung und schließlich die Hochzeit im Dezember 1646. Darauf wird ihr Lebensweg als Kurfürstin von Brandenburg beleuchtet, vor allem ihre Stellung am kurfürstlichen Hof in Berlin. Zur Sprache kommen auch ihre Reisen, auf denen sie Friedrich Wilhelm in die verschiedenen Territorien des brandenburgischen Länderkonglomerats, aber auch ins Feldlager begleitete. Besondere Aufmerksamkeit erfährt die familiäre Situation, die von vielen Schwangerschaften, Geburten, eigenen Krankheiten sowie dem Tod einiger ihrer Kinder und Erziehungsfragen geprägt war.

Am deutlichsten tritt Luise Henriette als handelnde Person bei ihrem Engagement um das kurmärkische Städtchen Bötzow hervor, das unter ihrer Förderung unter dem Namen Oranienburg eine Blüte erlebte. Sie entfaltete eine rege Bautätigkeit, ließ ein neues Schloss anlegen und beförderte die Ansiedlung niederländischer Kolonisten. Später kam noch die Gründung eines Waisenhauses hinzu, mit dem Luise Henriette ein Gelübde einlöste, das sie anlässlich der ersehnten Geburt des Thronfolgers Karl Emil abgelegt hatte. Am Ende beleuchtet ein kurzer Ausblick das Leben Friedrich Wilhelms nach ihrem Tod 1667 und der Kinder sowie die weiteren Geschicke Oranienburgs, das auch der Ort der Erinnerung an Luise Henriette und ihrer Traditionspflege wurde.

Das Kapitel zu Oranienburg ist mit Abstand das ausführlichste unter den sonst nur knapp gefassten Abschnitten (45-60). Diese Passagen können auch am ehesten überzeugen, da hier die größte Anschaulichkeit in der Schilderung erreicht wird. Schlüssig ist diese Darstellung auch insofern, als in diesem Fall die Bedeutung Luise Henriettes unbestritten ist. In vielen anderen Episoden ist dies durchaus fragwürdig, wie sich beispielsweise an dem Problem des Einflusses der Kurfürstin auf politische Entscheidungen zeigt (61-66). Vielfach bleibt unklar, in welche Rahmenbedingungen sich Luise Henriette einfügen musste und wo sie selbst Gestaltungsmöglichkeiten besaß. Ein wenig deutet sich diese Thematik in den Ausführungen zum kurfürstlichen Hof an, wo mit dem Einzug der Oranierin neue, strengere Sitten einkehrten (siehe 42 f.).

Hier wird eine grundsätzliche Schwäche des Bändchens sichtbar, das kaum einmal einen adäquaten Kontext schafft. Zur allgemeinen Hofgeschichte erfährt man nichts, wo doch zumindest die oranische Hofhaltung eine wichtige Parallele geboten hätte. [1] Man hätte auch gern mehr zum Phänomen der Städte(neu)gründung oder Schlossbauten erfahren, zumal neben Oranienburg auch Oranienbaum und Oranienhof in der Pfalz auf Bauvorhaben und Repräsentationsbedürfnisse anderer oranischer Prinzessinnen zurückgingen (vgl. 21). Überhaupt hätten vergleichende Ausführungen zur Lebenspraxis von Fürstinnen viele Einzelbeobachtungen zu Luise Henriette sicher in einem anderen Licht erscheinen lassen: Ohne diese Information bleibt am Ende unklar, wo die Kurfürstin in ihrer Lebensgestaltung als Vertreterin des europäischen Hochadels typischen Mustern verhaftet war und wo sie eigene, individuelle Wege beschritt.

Festzuhalten bleibt auch, dass die einschlägige und maßgebliche Fachliteratur praktisch nicht rezipiert wurde. Jedenfalls vermittelt die Auswahlliteratur (95) diesen Anschein, was besonders für Brandenburgica gilt und im Fall der nicht aufgeführten jüngsten Biographie zu Luise Henriette geradezu ärgerlich ist. [2] Aber auch Literatur zur Adelswelt und zum Hof des 17. Jahrhunderts sowie zu geschlechtergeschichtlichen Themen sucht man vergebens. Es ist kein Manko, wenn ein Buch keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebt, offenbar nicht auf eigenen Quellenstudien basiert, sondern eher erzählerisch gehalten ist und ohne Fußnoten auskommt. Gleichwohl wird gerade auch von Publikationen, die nicht die Fachwelt, sondern ein historisch interessiertes Publikum ansprechen, zu erwarten sein, dass Urteile über die behandelten Protagonisten sorgfältig abgewogen werden. Wenn im Justizwesen des 17. Jahrhunderts "Methoden des finsteren Mittelalters und der tiefsten Barbarei" entdeckt werden (41), offenbart dies, welche unhistorischen Maßstäbe zur Bewertung fremder Zeiten angelegt werden - von Kenntnissen über das Wesen der frühneuzeitlichen "Policey" ganz zu schweigen. Argumentativ unstimmig ist auf der einen Seite die hohe Wertschätzung des Autors für Luise Henriette als Vermittlerin und ausgleichende Instanz zwischen den Konfessionen, dass beinahe Vorstellungen neuzeitlicher Ökumene evoziert werden (so z.B. 64); dass auf der anderen Seite das Waisenhaus in Oranienburg nur ehelich geborenen und reformierten Waisen offenstand, relativiert dieses Bild offenbar nicht (80).

Letzteres verweist bereits auf das eigentliche Anliegen des Autors, dessen erklärtes Ziel es ist, Luise Henriette, apostrophiert als ein "Glücksfall" für das Land, als Vor- und Leitbild für die Gegenwart zu stilisieren (siehe 7). Er ist bemüht, das Bild einer Fürstin zu zeichnen, die in aller Leutseligkeit Ausflüge aufs Land unternahm und bei Dorffesten mitfeierte (42), die vom Volk "wie eine Landesmutter geliebt und verehrt wurde" (39) und den Menschen "die Hoffnung auf eine bessere Zukunft zurückgab" (7). Ob man auf diese Weise der historischen Persönlichkeit Luise Henriettes näherkommt, bleibt jedoch mehr als fraglich.


Anmerkungen:

[1] Zumal sie hervorragend aufgearbeitet ist in der Studie von Olaf Mörke: 'Stadtholder' oder 'Staetholder'. Die Funktion des Hauses Oranien und seines Hofes in der politischen Kultur der Republik der vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert (Niederlande-Studien, 11), Münster 1997.

[2] Ulrike Hammer: Kurfürstin Luise Henriette. Eine Oranierin als Mittlerin zwischen den Niederlanden und Brandenburg-Preußen, Münster 2001; siehe dazu die Besprechung in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 4 [15.04.2003], URL: http://www.sehepunkte.de/2003/04/2160.html.

Michael Kaiser