KOMMENTAR ZU

Ulrich Knapp: Rezension von: Andreas Hartmann-Virnich: Was ist Romanik? Geschichte, Formen und Technik des romanischen Kirchenbaus, Darmstadt: Primus Verlag 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 7/8 [15.07.2006], URL: http://www.sehepunkte.de/2006/07/5046.html

Von Andreas Hartmann-Virnich

Ulrich Knapp veröffentlichte unlängst in der Internet-Fachzeitschrift sehepunkte seine Rezension des folgenden Titels: Andreas Hartmann-Virnich, Was ist Romanik? Geschichte, Formen und Technik des romanischen Kirchenbaus. Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft-Primus Verlag, 2004. Der Verfasser des Buches möchte zu diesem Text Stellung nehmen, um seinen Lesern die Darstellung und Bewertung seines Werkes aus der Perspektive des Autors in einigen Punkten zu kommentieren.

Zunächst sei dem Rezensenten für seine Richtigstellungen gedankt, die zeigen, dass ein lückenloser Kenntnishintergrund letztlich nur im Zusammenspiel kollektiver und komplementärer Arbeit erstellt werden kann, wie sie für die Veröffentlichung von Überblickswerken dieser Art eigentlich sinnvoll wäre, allerdings leicht die Einheitlichkeit und Lesbarkeit des Gesamten in Frage stellen könnte. Demgegenüber muss der individuelle Autor, der sich einem so vielschichtigen, vielseitigen und komplexen Thema stellt, zu seinen eigenen Grenzen stehen, die jeder zwangsläufig nach anderen Gesichtspunkten setzt. In diesem Sinne entspricht der in der Rezension kritisch beleuchtete Einfluss der persönlichen Forschungen des Autors auf die Sichtweise seiner Darstellung und die Wahl der Beispiele dem in der Einleitung des Buches ausdrücklich begründeten Ansatz. Ähnliches gilt auch für den Rezensenten selbst, dessen Gesamturteil von Fällen ausgeht, die ihm aus seiner eigenen, auf den deutschen Raum bezogenen Forschungspraxis bekannt sind, während dagegen beispielsweise das für die Darstellung in Was ist Romanik? wesentliche Frankreich in dieser Hinsicht abgesehen von der Kritik an den Abbildungen und deren Kommentar ausgeklammert wird.

Dass in den Ausführungen zu einzelnen Bauten wichtige, ja wesentliche Titel übersehen wurden ist ein bedauerliches, weitgehend zeitbedingtes Manko, das jedoch nicht verallgemeinernd auf den gesamten Inhalt übertragen werden kann. Ohnedies verändern, wie gerade im Falle der Hirsauer Kirchen oder des Stuckdekors, neue Veröffentlichungen [1] die Fragestellungen und müssen bei der Lektüre berücksichtigt werden. Ob oder in wieweit jedoch durch die genannten, im Übrigen auf Deutschland beschränkten Fälle der Aktualitätswert der Studie insgesamt gefährdet ist, sollte dem Leser nicht ohne den Blick auf die Gegenbeispiele suggeriert werden, wie sie, im positiven Gegensinne zur vorliegenden Besprechung, von Christian Sapin in seiner Rezension in den Cahiers de Civilisation Médiévale [2] ausführlich hervorgehoben werden. Wie bereits gesagt wäre darüber hinaus zu fragen, ob die implizit geforderte lückenlose Aufarbeitung der internationalen monographischen Fachliteratur, die nur einen Teil der aufwendigen und zeitlich begrenzten redaktionellen Vorarbeit darstellt, im Rahmen einer nicht kollektiven Publikation überhaupt geleistet werden kann, wie auch C. Sapin einräumt : …beaucoup de questions demeurent à travers un balayage très large d'exemples qu'aucun auteur ne peut maîtriser sans reprendre cas par cas chaque type d'édifice [3]. Der Vorwurf der Willkürlichkeit der gewählten Beispiele ist übrigens in diesem Zusammenhang angesichts der Bedeutung der unter mehreren Aspekten angesprochenen Schlüsselbauten wie Cluny III und Vézelay (zu orthographieren: Sainte-Madeleine) kaum verständlich, und auch manche vom Rezensenten mit Recht vergleichend oder ergänzend genannten bauarchäologischen Vergleiche würden ihren aleatorischen Charakter nicht verlieren, wenn man, wie hier zu verstehen, den Maßstab einer größtmöglichen Vollständigkeit anlegen wollte, der jedoch weder dem thematischen noch dem materiellen Rahmen des Buches gerecht würde.

Zöge man die Konsequenz aus den vorgebrachten inhaltlichen Kritikpunkten, würde das vom Rezensenten erwartete Werk den durch den Herausgeber auf eine exakte Seiten- und Abbildungszahl festgelegten Rahmen vollständig sprengen. Dies war zunächst auch tatsächlich der Fall, da der Verfasser sein Manuskript um ein Drittel kürzen und dessen ausführliche Anmerkungen tilgen musste, wobei beispielsweise der Hinweis auf die dem Autor durchaus bekannte, für den deutschsprachigen Raum von E. Hollstein, J.-L. Mojon und anderen beschriebene Verschiedenartigkeit der Gerüsthölzer herausgestrichen wurde. Gleiches gilt für die insbesondere im monographischen Bereich nur unvollständig veröffentlichte Literaturliste, für die Einführung zum historischen Kontext, die Gegenstand eines eigenen Bandes hätte sein können, oder das Kurzkapitel zur "liturgischen Ausstattung".

Die Wahl der Formanalyse aus einer Vielfalt möglicher Ansätze wurde, wie im Buch wiederholt erläutert und begründet, bewusst getroffen, da weder vorrangig regionale, chronologische, historische, kultur- und kirchengeschichtliche oder ordensspezifische, noch liturgische oder liturgiegeschichtliche Aspekte für eine prägnante Überblicksdarstellung der Architekturformen, die nach Maßgabe des Leiters der Reihe (G. Binding) den eigentlichen Schwerpunkt des Bandes bilden sollten, für das zugegebenermaßen schwer zu umgrenzende Zielpublikum geeignet schienen. Dies wird etwa am Beispiel der Westbauten deutlich, deren Formvielfalt und komplexe Entwicklung nur in seltenen Fällen mit konkret belegbaren liturgiegeschichtlichen Hintergründen in Verbindung gebracht werden können, wie die spekulativen Theorien der älteren und die Debatten in der neueren Forschung um die Funktion und liturgische Bedeutung deutlich machen.

Seit Anbeginn der architekturhistorischen Forschung bleibt die Frage der sinnvollen Ansätze für eine Gesamtdarstellung der Romanik offen, und die Vielfalt der gewählten Wege spiegelt nicht nur die der Architektur selbst, sondern auch, wie die Forschungsgeschichte zeigt, die jeweiligen ideellen und ideologischen Hintergründe ihrer Zeit, sind stetem Wandel unterworfen und können keine absolute oder zeitlose Gültigkeit beanspruchen. Hierbei verstellt der seit dem 19. Jahrhundert klassische kulturgeographisch-chronologische Ansatz zu oft den Blick für allgemeine und übergreifende, synchronische oder diachronische Zusammenhänge, die zum Verständnis des Phänomens Romanik wichtig scheinen. Der Versuch, solche Bezüge herzustellen, ist zwangsweise problematisch, doch letztlich unumgänglich. Der gewählte Ansatz trifft somit eine Wahl, die anfechtbar ist: dass hierbei jedoch auch eine bisher kaum je geleistete vergleichende Sichtung unterschiedlicher Forschungstraditionen, vorrangig im französisch- und deutschsprachigen Raum, versucht wird, sollte gerechterweise nicht übergangen werden, denn viele Informationen könnten, wie es selbst der Rezensent zubilligt, dem Leser von Nutzen sein. Der Nachweise, dass (selbst) dieses Unterfangen sinn- oder ergebnislos geblieben sei, ist mit der vorliegenden Rezension nicht erbracht.

Der Kritik an der Qualität und der Lesbarkeit mancher Abbildungen ist zum Bedauern des Autors zuzustimmen. Allerdings ist der Vergleich mit Günther Bindings Was ist Gotik? insofern unzulässig, als G. Binding von Seiten des Verlages die doppelte Anzahl von Abbildungen sowie ein eigenes Budget für die professionelle Herstellung erstklassiger Photographien zugestanden wurden. Erst der Rückgriff auf eigene Aufnahmen, die mit hochwertigem Material hergestellt wurden, ermöglichte im vorliegenden Falle in einem weit engeren materiellen Rahmen die Erstellung der gewünschten Anzahl von Vorlagen für eine möglichst informative Illustration, ohne jedoch allen Ansprüchen gerecht werden zu können.

Ziel des Buches war es nie, bisherige Gesamtdarstellungen wie die Hans-Erich Kubachs, Georg Mruseks, Marcel Durliats oder Eliane Vergnolles zu ersetzen, sondern komplementäre Gedanken aus aktuellen Fragestellungen zu entwickeln und auf Zusammenhänge zu verweisen, deren Tragweite sich dem interessierten Leser erst durch weitere Lektüre erschließt. Was ist Romanik? ist weder eine Enzyklopädie, noch ein Standardwerk oder Handbuch, das Anspruch auf Vollständigkeit oder Allgemeingültigkeit erhebt, wie es C. Sapin in seiner bereits zitierten Rezension richtig erkannt hat, die hier nochmals der Beurteilung Ulrich Knapps gegenübergestellt werden soll: …chacun trouvera si ce n'est des absences, du moins des zones plus en retrait… Cela fait partie des choix que l'Auteur peut justifier et qui font l'originalité d'un ouvrage personnel qui ne se veut pas un produit générique. [4]

Abschließend betrachtet lässt über die faktische Richtigkeit der in der Rezension Ulrich Knapps angesprochenen Kritikpunkte hinaus die daraus verallgemeinernd abgeleitete, mit Ausnahme der Forschungsgeschichte nahezu systematisch negative Beurteilung des Buches an sich Zweifel an den angelegten Bewertungsmaßstäben aufkommen, zumal wesentliche Punkte, die etwa den gegenwärtigen Forschungs- und Diskussionsstand zur Romanik in Frankreich betreffen, vom Rezensenten nicht berücksichtigt werden. Hierdurch verlieren in bedauerlicher Weise die von ihm angeführten, wichtigen Elemente und die diesen zugrundeliegenden Sach- und Detailkenntnisse ihren konstruktiven Charakter und seine Gesamtdarstellung einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit.

Anmerkungen:

[1] Stefan Kummer: Kloster Hirsau und die sogenannte Hirsauer Bauschule. In: Christoph Stiegemann, Matthias Wemhoff (Hrsg.): Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, Katalog zur Ausstellung, Paderborn, 21. Juli - 5. November 2006. 2 Bde., München 2006, Bd. I, 359-370 ; Christian Sapin (Hrsg.): Le stuc. Visage oublié de l'art médiéval. Katalog zur Ausstellung, Poitiers, 16. September 2004- 16. Januar 2005. Paris/Poitiers 2004. Die Publikation der Akten des anlässlich der Ausstellung abgehaltenen internationalen Kolloquiums ist in Vorbereitung.

[2] In : Cahiers de Civilisation Médiévale, 48/3, Nr. 191 (2005), 285-287.

[3] A.a.O., 287.

[4] A.a.O., 287.

REPLIK

Von Ulrich Knapp

Eine Rezension kann immer auch der Beginn einer inhaltlichen Diskussion über das besprochene Werk bilden - insofern sind Reaktionen durchaus als positives Zeichen zu werten. Der Rezensent bittet jedoch um Nachsicht, dass er das Werk nur in seiner gedruckten, dem Leser vorliegenden Form beurteilen kann und dabei natürlich auch der Titel des Bandes "Was ist Romanik? Geschichte, Formen und Technik des romanischen Kirchenbaus" berücksichtigt werden muss. Der Rezensent steht jederzeit für eine fruchtbare inhaltliche Diskussion zur Verfügung.