Rezension über:

Susanna Burghartz (Hg.): Inszenierte Welten - Staging New Worlds. Die west- und ostindischen Reisen der Verleger de Bry, 1590-1630, Basel: Schwabe 2004, 199 S., ISBN 978-3-7965-2091-4, EUR 54,50
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Rezension von:
Antje Flüchter
Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität, Münster
Redaktionelle Betreuung:
Michael Kaiser
Empfohlene Zitierweise:
Antje Flüchter: Rezension von: Susanna Burghartz (Hg.): Inszenierte Welten - Staging New Worlds. Die west- und ostindischen Reisen der Verleger de Bry, 1590-1630, Basel: Schwabe 2004, in: sehepunkte 6 (2006), Nr. 2 [15.02.2006], URL: https://www.sehepunkte.de
/2006/02/7016.html


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Susanna Burghartz (Hg.): Inszenierte Welten - Staging New Worlds

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Bereits wenige Jahrzehnte nach Beginn der europäischen Entdeckung Amerikas ging man daran, das neue Wissen und die Flut von Informationen in illustrierten Reiseberichtsammlungen zu organisieren. Neben Giovanni Ramusio und Richard Hakluyt gewann im deutschsprachigen Raum die Verlegerfamilie de Bry in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung. Deren Illustrationen prägen bis heute das Bild des frühen Kontaktes mit der Neuen Welt. Die von ihnen herausgegebenen Reisesammlungen stehen im Mittelpunkt des Baseler SFN-Projektes "Translating Seen into Scene. Identitätskonstruktionen und Selbstrepräsentationen in Eroberungsgeschichten aus der Neuen Welt", geleitet von Susanna Burghartz, die den vorliegende Sammelband herausgegeben und eingeleitet hat.

Die aus den Niederlanden stammende Familie de Bry wurde bislang vor allem mit der Buchstadt Frankfurt in Verbindung gebracht. In seinem Beitrag legt Michiel van Groesen aber anhand bisher nicht berücksichtigten Archivmaterials dar, wie wichtig der Aufenthalt der Familie in der 'Calvinistischen Republik' Antwerpen von 1577 bis 1585 für ihr späteres Schaffen war. Hier konnte Theodor de Bry ein Netzwerk aufbauen, das in der Folge die Sammlung von Reiseberichten wie deren Vertrieb erleichterte. Für seine künstlerische Entwicklung bedeutsamer war noch, dass er in die Antwerpener Goldschmiedegilde aufgenommen wurde, wo er neue Techniken des Kupferstichs kennen lernen konnte. So zeigen seine Stiche um 1580 einerseits einen typisch niederländischen Stil, sind aber doch deutlich elaborierter als die vieler Zeitgenossen. Hier liegt die Basis für die besondere Qualität der Illustrationen, die später die Reiseberichte begleiten sollten und maßgeblich zu deren Ruhm beitrugen.

Besonders wichtig - auch werbestrategisch - waren die Titelblätter, denen sich der Beitrag der Kunsthistorikerin Maike Christadler zuwendet. Sie erfüllten verschiedene Funktionen, waren 'eye-catcher', enthielten bereits erste Informationen zu den Büchern, sollten aber auch die Glaubwürdigkeit des Inhalts unterstützen. Die Themen wie die künstlerische Umsetzung der Titelblätter waren vielfältig und veränderten sich auch im Laufe der Zeit: Neben ethnografischer Darstellung fremder Kulturen und Menschen finden sich Karten, aber auch Portraits einzelner Entdecker und Konquistadoren. In den ersten drei Bänden wird das Fremde in eine europäische Architektur eingesetzt - besonders eindrucksvoll die 'Menschenfresser' auf dem architektonischen Platz, an dem das europäische Auge Heiligendarstellungen erwartete. In Band vier bis sechs, die den Reisebericht Girolamo Benzonis umfassen, wird der Aufstieg der spanischen Kolonialmacht als heilsgeschichtlicher Niedergang interpretiert. Diese Deutung zeigt, dass die de Brys ihre Stiche nicht nur als Illustrationen verstanden, sondern auch als eigenständige Interpretation der Reiseberichte. Bei anderen Bänden der de Brys dienten die Illustrationen aber auch der Unterhaltung des Publikums und stellten Kuriositäten wie Pinguine dar oder eine verkehrte Welt, in der Männer Röcke und Frauen kurze Haare trugen. Christadler belegt eindrucksvoll, wie sich die Darstellung des Fremden zwischen 1590 und 1630 veränderte: Während die frühen Bände die Fremdheit herausstrichen, wurde sie in den letzten Bänden in das europäische Zeichensystem eingebettet, ihre Aneignung und Beherrschbarkeit in den Vordergrund gerückt. Dabei erhielt auch die Karte als 'wissenschaftliche' Vermessung und damit Aneignung der Neuen Welt eine neue Funktion.

Während Maike Christadler in ihrer Untersuchung die Perspektive erweiterte, indem sie neben den Berichten aus der Neuen Welt auch die Titelblätter der kleineren Sammlung India orientalis und damit die bildliche Darstellung Asiens heranzog, konzentriert sich der niederländische Historiker Ernst van den Boogart auf die Darstellung Afrikas. Liest man die frühen Reiseberichte, ist eine fast durchweg negative Beschreibung Afrikas und seiner Menschen feststellbar. Hier setzten die Verleger de Bry andere Schwerpunkte, sie interessierten sich kaum dafür, wie es im 'realen' Afrika aussah, sondern nutzten es als Projektionsfläche eines Zivilisationsvergleichs und zur Darstellung verschiedener Zivilisationsgrade. Ihre Stiche waren also auch bei diesem Thema mehr Interpretation und nicht bloße Illustration. Der Grad der Zivilisation wurde dabei klassisch an der Kleidung, einer gewissen gesellschaftlichen wie politischen Hierarchie und der Religion festgemacht. Auch die de Brys legten, wie kaum erstaunlich, europäische Deutungsmuster an, doch im Unterschied zu vielen anderen Reiseberichten entstand gerade durch ihre Illustrationen ein differenzierteres Afrikabild.

Im letzten Beitrag des Bandes vergleicht die Ethnologin Jutta Steffen-Schrade die ethnografischen Illustrationen der Sammlung de Bry mit denen von Levinus Hulsius. Beide gaben ähnliche, manchmal sogar dieselben Reiseberichte heraus, doch die unterschiedliche Ausrichtung der Sammlungen scheint eine wirkliche Konkurrenz vermieden zu haben. Die de Brys legten mehr Wert auf ästhetisch wie künstlerisch ansprechende und qualitätsvolle Kupferstiche, während Hulsius sich mit billigeren Varianten zufrieden gab. Seine Stiche dienten mehr der Veranschaulichung und weniger der Interpretation der Reiseberichte. Beide Herausgeber sprachen auch ein unterschiedliches Publikum an: Während de Bry die gehobene wie kaufkräftigere Oberschicht im Blick hatte, zielte Hulsius auf ein breiteres Publikum.

Heute ist es eher selten, dass man Reiseberichte als Quelle für die Fremdkultur heranzieht, stattdessen konzentriert sich die Forschung darauf, mögliche Rückschlüsse auf die Ausgangskultur und deren Wahrnehmungs- wie Normensysteme zu ziehen. Der vorliegende Band rückt darüber hinaus die bisher oft vernachlässigte Person des Herausgebers in den Vordergrund sowie deren illustrative Interpretationen der Reiseberichte. In die Interpretation der de Bry floss ihre reformierte, niederländische Herkunft und ihre antispanische Haltung ein: Dies zeigt Maike Christadler anhand der Illustrationen auf den Titelblättern, während in den von van Groesen untersuchten Allegorien Wilhelm von Oranien die Weisheit und Herzog Alba die Narrheit verkörpert. Auch das von van den Boogart herausgearbeitete differenzierte Afrikabild mag der Kritik an europäischen, vor allem katholischen Missions- wie Kolonisationsprojekten geschuldet sein, und schließlich verdeutlicht Jutta Steffen-Schrade, dass de Bry im Unterschied zu Levinus Hulsius schon bei der Auswahl der Reiseberichte nach Konfessions- und Staatszugehörigkeit der Reisenden entschied.

Die Reiseforschung wurde lange von literaturwissenschaftlichen Theorien und Ansätzen geprägt, die die sprachlich-diskursive Konstruktion von Alterität fokussierten. Mittlerweile verschiebt sich das Gewicht immer mehr auf die bildlichen Darstellungen und Repräsentationen der Neuen Welt. Auch in dieser Hinsicht ist der vorliegende Band eine wichtige Veröffentlichung: Er stellt nicht nur das Werk der Verlegerfamilie de Bry anschaulich und facettenreich vor, er sammelt nicht nur Beiträge aus der Kunstgeschichte, der Geschichte und der Ethnologie, sondern zeigt eben, wie sich diese Disziplinen gegenseitig ergänzen und befruchten können, wie notwendig interdisziplinäres Arbeiten in diesem Feld ist. Nicht zuletzt erfreute sich die Rezensentin an dem ästhetisch gelungenen Layout dieses Buches und den vielen guten Bildreproduktionen, auf die eine ganze Reihe historischer Bücher bei aller Bildbeschreibung meinen verzichten zu können.

Antje Flüchter