KOMMENTAR ZU

Joseph Imorde: Rezension von: Ulrich Schlegelmilch: Descriptio templi. Architektur und Fest in der lateinischen Dichtung des konfessionellen Zeitalters, Regensburg: Schnell & Steiner 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: http://www.sehepunkte.de/2005/04/4120.html

Von Ulrich Schlegelmilch, Würzburg

Joseph Imordes Besprechung meiner Untersuchung "Descriptio templi" [*] macht betroffen. Sie zeigt, wie weit die Vertreter der Kulturwissenschaften zuweilen von jener Interdisziplinarität entfernt sind, die sie selbst tagtäglich beschwören.

"Einem heutigen Kunsthistoriker können die Gedichte trotz des großen Erklärungsaufwandes... nur unverständlich bleiben" resümiert Imorde seinen Eindruck des Bandes.

Da kann man nicht umhin zu fragen, was den "heutigen" Kunsthistoriker von seinen Fachkollegen früherer Zeiten unterscheidet. Glücklicher-, oder vielmehr erschreckenderweise beantwortet der Rez. seine Frage auf drei Seiten nicht weniger als viermal selbst. Im Resumé des ersten Teils der Untersuchung sind ihm "Quellenzitate unbequem und überflüssig"; das Fehlen einer Übertragung der "neulateinischen" (tatsächlich gibt es nur lateinische) Texte "kann seltsam anmuten"; mit der geschmacklich diskutablen Forderung nach mehr "Schweiß", zu deutsch: Übersetzungen, gelangt Imorde sodann zum zitierten Ergebnis, diese Texte seien unverständlich. Schließlich: Imordes Formulierung "der templum Salomonis" zu beanstanden wäre haarspalterisch, zeigte sich hierin nicht das Problem in schöner Klarheit.

Jedem, der in historisch-philologischen Fächern Lehrerfahrung gesammelt hat, ist die Überforderung der meisten Seminarteilnehmer durch Quellentexte geläufig, die nicht entweder auf (neuzeitlichem!) Deutsch oder Englisch verfaßt sind. Nachdem jahrelang in Hauptseminaren zur Mittleren Geschichte (geschätzter Anteil der lateinischen Quellen am Gesamtbestand der Überlieferung: 75%) ohne Lateinkenntnisse ein Scheinerwerb möglich war, sind allmählich Anzeichen für eine Rückkehr zur Vernunft erkennbar. Vor diesem Hintergrund wirkt es einigermaßen verheerend, wenn ein qualifizierter Hochschullehrer den Standpunkt eines durchschnittlichen Erstsemesters in Kunstgeschichte (ich möchte nicht glauben: in Theologie) einnimmt und - um in seiner Bildwelt zu bleiben - in Sachen Fremdsprachen "Marscherleichterung" anmahnt. So geht es nicht: gerade wer expressis verbis "interdisziplinär" arbeiten will, muß sich die Dinge auf beiden Seiten der imaginären Trennlinie erarbeiten. Ohne den ominösen "Schweiß" geht es in der Tat nicht. Indes scheint es mir der Bisontiner Germanist C. Pornschlegel eleganter gesagt zu haben: nur weil die Universität sich verändert, "reduziert die Welt noch lange nicht ihre Komplexität". [1]

Doch genug der Polemik, die allein wegen (oder trotz) ihrer allgemeinen Gültigkeit wohl keine Replik lohnte. Leider hat jedoch der Rez. in seiner Enttäuschung einige wichtige inhaltliche Punkte so stark verzeichnet, daß eine Korrektur wünschenswert ist.

1. Imorde versteht nicht, wie Texte, die höchstwahrscheinlich nur lesend, aber nicht hörend rezipiert wurden, emotional wirksam sein konnten. Er übersieht damit zur Gänze das Funktionsprinzip der Andachtsliteratur, eines europäischen Kosmos von immensen, heute noch kaum ausgeleuchteten Dimensionen. Andacht bedeutet meditatio coram se ipso, aber nicht dröhnenden Festvortrag! Vielmehr zeitigen die ignatianische Forderung vom videre visu imaginationis und ihre unendlich reiche Aufnahme durch die zeitgenössische Literatur mannigfache Variationen vom reinen Text (als Schrift-Bild) bis zu komplexen Text-Bild-Kombinationen. Entscheidend ist lediglich, richtig lesen und sehend erkennen zu können: tua res agitur. [2]

Darüberhinaus ist das literatursoziologische Spezifikum, daß gerade der Jesuitenorden bis weit ins 18. Jahrhundert einen weitgehend geschlossenen Schauplatz literarischer, hochkarätiger und sehr wacher aemulatio darstellte, in letzter Zeit verstärkt ins Licht der Forschung gerückt [3]; Imordes grundsätzliche Zweifel an der Vermittelbarkeit des theologischen Anliegens der descriptiones templorum verkennen daher nicht allein die intellektuelle Situation im Orden, sie sind darüber hinaus auch durch den gut belegten Austausch - und die vom Rez. ebenso unterschlagene, literaturgeschichtlich jedoch entscheidende gegenseitige Bezugnahme - der Festschriften hinreichend widerlegt.

2. In Einführungsveranstaltungen wird man gelehrt, Passagen zu mißtrauen, in denen ein Sachverhalt als "zweifelsfrei" gekennzeichnet wird. Das Mißtrauen besteht auch hier zu Recht: - "Unzweifelhafte" Probleme sieht der Rez. insbesondere im Verzicht auf die Heranziehung weiterer literarischer Gattungen. Dazu ist zu sagen: Wenn es keine Dichtungen zu bestimmten Bauten gibt, so kann man sie nicht edieren. Die historischen Gründe für ein Fehlen von Festschriften dieses Typs zu Il Gesù sind von mir S. 120 ff. 541 ff. dargelegt; die Ordensgeschichte von ca. 1540-1580 läßt wenigstens nach heutigem Forschungsstand dergleichen gar nicht zu. [4] Daß man auf protestantischer Seite weiter war (S. 457-540), ist hochinteressant, doch erfährt der Leser der Rez. nichts davon, da Imorde ihm leider jene Frage nicht beantwortet, die stets zuerst gestellt werden wird: Welche Texte sind in der Studie eigentlich behandelt? Zur monierten fehlenden Verwendung von Festbeschreibungen schließlich sei der unvoreingenommene Leser auf die Abschnitte 2.A.I.2, 2.A.II.2, 2.A.IV.2, 2.C.II.2 und 5, 2.C.III.3 und 6 sowie das Verzeichnis der verwendeten Archivalien S. 771 f. verwiesen. - In der Tat baute Philipp II. den Escorial und nicht Karl V. [5]. Unterstellungen ohne Nachweis, wie sie Imorde hier unternimmt, sind schlechter Stil.

Während ich glaube, daß in einer philologischen Arbeit Quellenzitate auch in Zukunft nicht "überflüssig" sein werden, soll "historisch argumentierende Emotionsforschung" gerne anderen belassen sein. Eine führende amerikanische Online-Rezensionszeitschrift bemerkt - wie ich meine, zu Recht - in ihrer Guidance for Reviewers: "We expect that reviews will not have attacks for not being the book you would have written." [6]

Anmerkungen:

[*] Diese Online-Zs. 5, 2005, Nr.4 (15.4.2005)

[1] In einem Beitrag zu den neuerdings politisch gewollten Schnellstudien, SZ 271, 22.11.2004, 11.

[2] Vgl. paradigmatisch A. Chanut, Praecipua septem... uirginis Mariae mysteria, Toulouse 1650 ff.; das Spektrum der visuellen Möglichkeiten hat G. Hess vorgeführt: Die Kunst der Imagination, in: W. Harms (Hg.), Text und Bild - Bild und Text, Stuttgart 1990, 183-196.

[3] Vgl. Y. Haskell, Loyola's Bees, London 2003; s. dazu meine Rez. in: Neulat. Jb. 7, 2005 (i. Dr.). Zu den im folgenden erwähnten literarhistorischen, "philologischen" Verflechtungen s. Descriptio templi, passim.

[4] Auffällig genug ist es demzufolge, daß die von I. herangezogenen, ausschließlich italienischen kunsttheoretischen Abhandlungen und Festberichte nicht vor 1582 einsetzen. Daß G. Paleottis oft als "Bibel" überschätzter Bildertraktat mitnichten 1582, sondern erst 1594 - nur 2 der im Titel 5 angegebenen Bücher wurden in der erweiterten (lateinischen) Fassung überhaupt publiziert - wirkungsmächtig wurde, ist seit den Arbeiten von G. P. Brizzi und jetzt von Sabine M. Schneider (in: "Rom in Bayern", AK München 1997, 171 ff.) Standard.

[5] Descriptio templi, 141.

[6] The Bryn Mawr Classical Review: http://ccat.sas.upenn.edu



REPLIK

Von Joseph Imorde, Berlin

Meiner Kritik ist in keinem Punkt nachzugeben!

1. Das Ziel der Arbeit, die Komplexität "des kirchlichen, politischen und literarischen Lebens jener Jahre" rekonstruieren zu wollen, ist in keiner Weise erreicht.
2. Der Rekurs auf die jesuitische Meditationspraxis ist mangelhaft; alle Ansätze zu einer historischen Emotionsforschung fehlen.
3. Zitat- und Editionspraxis sind leser- und benutzerunfreundlich!
4. Die behauptete Interdisziplinarität ist der Arbeit als Begriffsetikett aufgeklebt.
5. Dem Buch mangelt es an übergreifenden Thesen und deshalb leidet es an falschen Gewichtungen!

Fazit: Eine theoretisch und methodisch mißlungene Arbeit, die einen bestimmten Wert allein für sehr spezifisch fragende Leser in den Einzeldarstellungen bereit hält.

Ich erspare mir, auf die falschen Unterstellungen einzugehen!