Rezension über:

Didymus der Blinde (Hg.): De Spiritu Sancto. Über den Heiligen Geist. Hrsg. u. eingeleitet v. Hermann Josef Sieben (= Fontes Christiani; Bd. 78), Turnhout: Brepols 2004, 301 S., ISBN 978-2-503-52140-4, EUR 32,62
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Rezension von:
Katharina Greschat
Evangelisch-theologische Fakultät, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Redaktionelle Betreuung:
Mischa Meier
Empfohlene Zitierweise:
Katharina Greschat: Rezension von: Didymus der Blinde (Hg.): De Spiritu Sancto. Über den Heiligen Geist. Hrsg. u. eingeleitet v. Hermann Josef Sieben, Turnhout: Brepols 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 9 [15.09.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/09/7087.html


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Didymus der Blinde (Hg.): De Spiritu Sancto. Über den Heiligen Geist

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Mit der von Hermann Josef Sieben erstellten zweisprachigen Ausgabe von 'De spiritu Sancto', die auf dem lateinischen Text der mustergültigen Edition von Louis Doutreleau (Sources Chrétiennes 386) aus dem Jahre 1992 basiert, liegt erstmals eine deutsche Übersetzung dieses zweifellos wichtigsten Werkes des alexandrinischen Theologen Didymus' des Blinden vor. Mit Sieben hat man für diese Aufgabe einen ausgezeichneten Wissenschaftler gewinnen können, der bereits im Jahre 1993 auch für die Reihe 'Fontes Christiani' die ebenfalls 'De spiritu sancto' betitelte Schrift des großen Kappadokers Basilius von Caesarea bearbeitet hatte.

In der sehr instruktiven Einleitung vertritt Sieben die These, diese beiden Schriften des Didymus und des Basilius setzten sich in je eigenständiger Weise mit der Gruppe der so genannten Pneumatomachen auseinander, die die Gottheit des Geistes leugneten, wobei 'De spiritu sancto' des Didymus deutlich älter als das gleichnamige Werk des Basilius sei und eine spezifisch alexandrinische Lösung auf die Frage nach der Gottheit des Geistes biete "und damit zur Ausbildung der Trinitätslehre gelangt ist, ohne die von den kappadokischen Vätern propagierte und für die weitere Entwicklung der Trinitätstheologie grundlegende Unterscheidung und Gegenüberstellung von Wesen (ousía) und Person (hypóstasis), ja ohne einen eigentlichen Person-Begriff zu kennen" (7). Hierin liegt für Sieben dann auch die große trinitätstheologische Bedeutung der Abhandlung des Didymus über den Geist, seitdem sich ab der Mitte des 20. Jahrhunderts ein Forschungskonsens darüber abzuzeichnen begann, dass die Bücher 'De trinitate', die bislang im Zentrum des Interesses standen und die später verbindlich gewordene kappadokische Trinitätstheologie widerspiegeln, nicht dem Didymus zuzuschreiben sind. Damit kann dieser nicht länger als Mitstreiter der Kappadoker Basilius von Caesarea, Gregor von Nazianz und Gregor von Nyssa, angesehen werden. Sein Beitrag zur pneumatologischen Debatte im Rahmen des 4. Jahrhunderts muss dementsprechend neu und anders bestimmt werden.

'De spiritu sancto' ist die einzige vollständig überlieferte Schrift des Didymus, des zu seinen Zeiten hoch angesehenen Lehrers des orthodoxen Glaubens, der eng mit dem gleichfalls aus Alexandria stammenden Athanasius verbunden war. Doch mit den origenistischen Streitigkeiten geriet Didymus, der Origenes' Lehre von der Präexistenz der Seele und dessen Vorstellung einer Apokatastasis teilte, zunehmend in Misskredit. Justinians Verurteilung der Origenisten im Jahre 553 führte zu einem weitgehenden Verlust der Schriften dieses Alexandriners. Nur indirekt, d. h. über die Katenenüberlieferung und den sensationellen Papyrusfund von Tura im Jahre 1941, ist einiges, vornehmlich aus dem exegetischen Schrifttum dieses Autors erhalten geblieben. Umso mehr erstaunt, dass uns 'De spiritu sancto' vollständig vorliegt. Diese Schrift hat allein deshalb die Zeiten überdauert, weil Hieronymus sie ins Lateinische übersetzt hat, um den Nachweis zu führen, dass das gleichnamige Werk des ihm so verhassten Ambrosius von Mailand aus dem Jahre 381 aus eben jenem Didymuswerk abgeschrieben sei: "Vielleicht hatte Hieronymus einmal die Absicht, selber ein Buch über den Heiligen Geist zu schreiben und sah nun durch die Schrift des Ambrosius dieses Vorhaben vereitelt. Wie dem auch sei, jetzt ging es ihm um den Nachweis, dass der berühmte Bischof von Mailand ein erbärmlicher Plagiator sei" (44 f.).

Sieben informiert jedoch nicht nur über Verfasser, Aufbau, Datierung und Überlieferung von 'De spiritu sancto', sondern geht auch ausführlich auf die Wirkungsgeschichte ein, die seit karolingischer Zeit auffällig von den Kontroversen um das 'filioque' geprägt war (59-71). Darüber hinaus kommt er auch auf die Vorgeschichte der Schrift zu sprechen und gibt den Leserinnen und Lesern, die mit den trinitätstheologischen Problemen und Debatten des 4. Jahrhunderts nicht so vertraut sind, einen kompakten Überblick, der allerdings ganz auf die Ergebnisse des Konzils von Konstantinopel vom Jahr 381 zugeschnitten ist: "Der Blick von diesem Einschnitt her zurück auf die vorausgehende Geschichte vermag diese Entwicklung als einen dynamischen, ja einigermaßen folgerichtigen Prozess zu erkennen und versetzt in den Stand, unter der Fülle der Zeugnisse über den Heiligen Geist in der Zeit zwischen dem Neuen Testament und 'De spiritu sancto' des Didymus eine Auswahl zu treffen und diejenigen zu bevorzugen, die in diesem Mainstream der Entwicklung hin auf die Dogmatisierung von 381 liegen" (19 f.).

Die Gegner, mit denen sich Didymus auseinandersetzt, konnten innerhalb der Gottheit offenbar nur im Schema von Vater und Sohn denken, wie Sieben mit Bezug auf Wolf-Dieter Hauschilds maßgebliche Veröffentlichung zu den Pneumatomachen betont, und mussten den Geist somit für ein Geschöpf halten. Andernfalls stellte sich ihnen das Problem, den Verwandtschaftsgrad zwischen Vater und Sohn und dem Geist in irgendeiner Weise näher bestimmen zu müssen, was nur zu allerlei Absurditäten führen musste. Dieses Profil der von Didymus bekämpften Pneumatomachen weist daher ungefähr auf eine Datierung der Schrift in die Jahre 358/59, als sich auch Athanasius von Alexandrien, von dem Didymus in 'De spiritu sancto' aber nicht abhängig ist, mit ihnen auseinandersetzen musste.

Für Text und Übersetzung von 'De spiritu sancto' übernimmt Sieben die von Doutreleau eingeführte Paragrafenzählung, die den Text in 277 übersichtliche Abschnitte unterteilt. Indem er auf den textkritischen Apparat verzichtet und den Bibelstellenapparat in den Text integriert, schafft er ausreichend Platz für einen recht großzügigen Sachapparat, der ganz auf die Entwicklung der Trinitätstheologie ausgerichtet ist. Neben kurzen Erklärungen zu Sachen und Begriffen finden sich hier auch wichtige Hinweise auf Entlehnungen aus anderen Werken sowie eine Fülle von ergänzenden Belegstellen aus der patristischen Literatur, die sich mit Fragen der Pneumatologie beschäftigt. Darüber hinaus werden interessierte Leserinnen und Leser auf die Diskussion in der modernen Sekundärliteratur verwiesen.

Sieben hat sich außerdem die Mühe gemacht, immer da, wo es ihm geboten erscheint, auf das zu vermutende griechische Äquivalent eines lateinischen Begriffs hinzuweisen. Für die trinitätstheologische Debatte des 4. Jahrhunderts charakteristische Termini wie etwa 'natura', 'substantia', 'essentia' und 'persona' werden zusätzlich noch mit ausführlichen Erklärungen versehen, die deren Relevanz für die Fragestellung aufzeigen. Nicht zuletzt an dieser verdienstvollen Arbeit lässt sich ablesen, dass in die vorliegende Ausgabe von 'De spiritu sancto' die Ergebnisse langjähriger und höchst intensiver Forschungsarbeit geflossen sind.

Ein hilfreiches Abkürzungsverzeichnis (260-266) sowie eine ausgezeichnete Bibliografie auch der neuesten Literatur (267-285) nebst umfangreichen Registern (286-301) runden dieses wichtige Buch ab, das den 'Fontes Christiani' einmal mehr ein hervorragendes Zeugnis ausstellt. Auch wer in die in der Forschung diskutierten Fragestellungen der Trinitätstheologie und Pneumatologie des 4. Jahrhunderts nicht so eingearbeitet ist wie die unmittelbaren Fachgelehrten, bekommt mit der Ausgabe von Sieben die Hauptschrift des Alexendriners Didymus des Blinden in vorbildlicher Weise erschlossen.

Katharina Greschat