sehepunkte 5 (2005), Nr. 5

Andreas Zajic: "Zu ewiger gedächtnis aufgericht"

In der kulturwissenschaftlichen Forschung wird seit einigen Jahren der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Sepulkralkultur aus verschiedenen Blickrichtungen verstärkte Aufmerksamkeit gewidmet. Neben Kunst- und Liturgiewissenschaft hat sich besonders im Bereich der Geschichtswissenschaft die Memoriaforschung auf die Sepulkralkultur konzentriert. Neuerdings befassten sich mehrere Werke unter interdisziplinären Fragestellungen mit Memoria und Repräsentation bei dynastisch definierten Gruppen.

Andreas Zajic ordnet die Thematik seiner Dissertation in den Kontext der Forschungskonzepte zu Memoria und symbolischer Repräsentation von Gruppen ein. Er untersucht Grabdenkmäler, indem er die Sachquellen in Bild und Inschriften mit schriftlichen Zeugnissen der Sepulkralkultur in Beziehung setzt und in ihren historischen Kontext einordnet. Ziel der Arbeit ist es, Grabdenkmäler und Grablegen in deren Bedeutung für die Konstituierung und Vermittlung adeligen und bürgerlichen Selbstverständnisses zu erfassen. Der Autor versteht seine Arbeit als den Versuch, möglichst breit angelegte methodische Zugangsweisen für die Bearbeitung eines umfangreichen Quellenkorpus aufzuzeigen, und charakterisiert darum seine Ansätze als bewusst handbuchartige Darstellung.

Die Untersuchung stützt sich auf die Edition einer umfangreichen Materialsammlung, die der Autor am Institut für Österreichische Geschichtsforschung durchgeführt hat, deren zeitlicher Rahmen zwischen dem Ende des 13. und dem Beginn des 18. Jahrhunderts weit gesteckt war und deren räumliche Ausdehnung für die vorliegende Arbeit auf ganz Niederösterreich erweitert und durch die Referenzfelder der anderen österreichischen Erbländer und bayerischer Denkmäler ergänzt wurde. Als Materialbasis lagen somit circa 550 im Original erhaltene und etwa 700 kopial überlieferte Grabdenkmäler vor. Die Konzentration der Untersuchung auf Niederösterreich wird überzeugend mit der historischen Bedeutung des Landes im Zusammenhang mit der Entwicklung der Haupt- und Residenzstadt Wien begründet, denn offenbar konstituierte sich der spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Wiener Hofadel zu einem großen Teil aus dem landsässigen niederösterreichischen Adel, während im 17. Jahrhundert auch ursprünglich landfremde Wiener Hofadelige Besitz in Niederösterreich erwarben.

Die Arbeit gliedert sich in vier Hauptteile, die erstens Verbindungen von Grab und Memoria, zweitens die Wahl der Grabplätze, drittens die Gestaltung der Grabmäler und ihre Formen sowie viertens das Formular der Grabinschriften behandeln. Quellenzitate, die den drei ersten Teilen und auch teilweise den Unterpunkten als Titel vorangestellt werden, eröffnen zwar prägnant die Thematik, beeinträchtigen jedoch die Überblicksfunktion der Gliederung. Der erste Hauptteil wertet Grabdenkmäler als sichtbaren Ausschnitt aus einem memorativen Gesamtkomplex, der Bestattung und Erinnerung umfasste, und als materiellen Anknüpfungspunkt der Memorialleistungen. Betont wird die praktische Bedeutung von Grabdenkmälern als Erinnerungsträger gegenüber einer vermeintlich dauerhafteren literarischen Erinnerungsstiftung in der Frühen Neuzeit. Im Einzelnen werden Quellen zu Trauerfeiern, Totenmählern, Seelgerätstiftungen, Leichenpredigten, Verfügungen zu Erhaltung und Bestandssicherung der Grabdenkmäler sowie literarische Epitaphien behandelt. Deutlich wird der enge räumliche Zusammenhang von Grabdenkmal und Vollzug der Memorialhandlungen.

Der zweite Hauptteil widmet sich der Wahl unterschiedlicher Begräbnisorte. Die Nähe zum Altar einer Kirche und damit zu Reliquiendepositorien, die gute Sichtbarkeit der Grabplätze sowie persönliche Bezugspunkte zeigten sich sowohl für Kirchenbestattungen als auch für Friedhofsbegräbnisse als Kriterien für vorrangig begehrte Grabplätze. Die Spannungen, die im 16. Jahrhundert durch die verschieden konfessionellen Begräbnisse entstanden, werden in ihren unterschiedlichen Bewältigungsversuchen verdeutlicht. So konnten gemischt-konfessionelle Bestattungen und konfessionell getrennte Friedhöfe erfasst und damit die Spannweite der Begräbnismöglichkeiten in der Frühen Neuzeit aufgezeigt werden. Besonders im Zusammenhang des konfessionell bedingten Wandels der Begräbnisse wurde die Bedeutung des Kirchenpatronats für den Einfluss auf die Erhaltung angestammter Grablegen und die individuellen Begräbniswünsche der Patronatsinhaber deutlich.

Der dritte Teil der Arbeit, der sich der Gestaltung der Grabdenkmäler widmet, beleuchtet zuerst die testamentarischen Verfügungen zu Gestaltungswünschen, wobei die zunächst unpräzise erscheinenden Äußerungen der Testatoren zu Gestaltungselementen weitergehend interpretiert werden. Die Denkmäler sollten offenbar weniger dazu dienen, die individuellen Vorstellungen des Auftraggebers wiederzuspiegeln, sondern vor allem die soziale Zugehörigkeit des Verstorbenen im jeweiligen Bezugsfeld ausdrücken. Weniger der Konkurrenz und Abgrenzung dienten die Repräsentationsformen der Grabdenkmäler, vielmehr der eindeutigen Zuordnung zu bestimmten sozialen Gruppen.

Weitere Punkte des dritten Teils widmen sich den Grabmaltypen, den Materialien und den Inschriftenarten. Innerhalb des umfassenden Gliederungspunktes der Grabmaltypen behandelt Andreas Zajic die Unterpunkte Wappengrabplatten, Priestergrabmäler, Epitaphien, Totenschilde, figürliche Grabdenkmäler, bürgerliche Grabdenkmäler, Transis, Tumben- und Freigrabmäler, Kindergrabmäler, protestantische Epitaphien. Die Vermischung von formalen und sozialen Kriterien erscheint hier nicht glücklich gelöst. Zwar ist die neuere kunsthistorische Forschung geneigt, die Auffassung von der prinzipiellen Signifikanz einer jeden Form und ihrer typologischen Verdichtung nicht mehr zu verabsolutieren, das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit hätte jedoch durch eine Separierung der genannten Kriterien, mit der Betonung der sozialen Gruppierungen, stärker unterstrichen werden können.

Grabplatten mit Wappen waren im Spätmittelalter im Untersuchungsgebiet am häufigsten zu verzeichnen. Repräsentativere Grabdenkmäler des Adels stellten die figürlichen Grabplatten und Grabdenkmäler mit der Darstellung des Verstorbenen als Gerüsteter dar. Sie traten im Untersuchungsgebiet bis in das 17. Jahrhundert hinein auf. Vor dem Hintergrund der kopialen Überlieferung zeigte die Betrachtung adeliger Grabstätten des 15. und 16. Jahrhunderts, dass in Grabplatten, Epitaphien, Totenschilden und Trauerfahnen meist ein Ensemble von mehreren Erinnerungsträgern eingerichtet war. Die Untersuchung der frühneuzeitlichen Epitaphien konnte entgegen den in der Literatur oft angedeuteten Differenzierungen zwischen katholischen und protestantischen Bildprogrammen und Inschriften einen konfessionell gemeinsamen Fundus an populären Bildinhalten und Bibelzitaten herausarbeiten.

Aufschlussreich erscheint auch die Perspektive auf die verschiedenen Materialien der Denkmäler, die bislang nicht umfassend gewürdigt wurden. Die Palette der Gesteinsarten, ihr Vorkommen, Transport und Werkstattzusammenhänge sowie die unterschiedliche repräsentative Bedeutung und die sich wandelnden Gestaltungsvorlieben werden anhand der breiten Quellenbasis eingehend gewertet.

In der Untersuchung der Inschriftenarten kommt der Autor ebenso wie bei den im vierten Teil ausführlich behandelten Formularen der Grabschriften zu differenzierten, statistisch ausgewerteten Ergebnissen. So kann präzise aufgezeigt werden, wie und in welchen Elementen sich im Spätmittelalter die aus Name und Sterbevermerk bestehende Grundform der Formulare erweiterte und wie das seit dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts im Untersuchungsgebiet häufiger auftretende deutsche Formular dabei dem lateinischen entsprach. Zwischen Adel und Nichtadel traten keine Unterschiede bei der Verwendung von lateinischer und deutscher Inschriftensprache auf. Latein war jedoch bei Grabdenkmälern von Geistlichen dominierend. Soziale Gliederungen äußerten sich in den fein ausdifferenzierten Titulaturen. Der Autor kann hier unter vergleichender Heranziehung des urkundlichen Sprachgebrauchs die bislang unterschätzte Bedeutung von Titulaturen und Epitheta in ihrem sich wandelnden Gebrauch darlegen. Im 16. und 17. Jahrhundert gaben ausführliche Grabinschriften Auskunft über Ämterlaufbahnen, familienbezogene Leistungen und adelige Abstammung der Verstorbenen.

Die vorliegende Dissertation beeindruckt in ihrer Bewältigung des äußerst umfassenden Materials, besonders durch die fruchtbare kombinierte Betrachtung von Sachzeugnissen und Schriftquellen. Gleichzeitig wären angesichts der Materialfülle teilweise deutlich betonte Leitfragen innerhalb der einzelnen Themenkomplexe für die Orientierung wünschenswert gewesen. Wesentliche neue Perspektiven bringt die vergleichende Sicht auf die sozialen Gruppen des Adels und des Bürgertums sowie den bislang kaum behandelten epochenübergreifenden Wandel der Sepulkralkultur vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit. Das Werk bringt so über das niederösterreichische Untersuchungsgebiet hinaus weit reichende Erkenntnisse für die Erforschung der Sepulkralkultur.

Rezension über:

Andreas Zajic: "Zu ewiger gedächtnis aufgericht". Grabdenkmäler als Quelle für Memoria und Repräsentation von Adel und Bürgertum im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Das Beispiel Niederösterreichs (= Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung; 45), München: Oldenbourg 2004, 404 S., ISBN 978-3-486-64854-6, EUR 49,80

Rezension von:
Carola Fey
Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität, Gießen
Empfohlene Zitierweise:
Carola Fey: Rezension von: Andreas Zajic: "Zu ewiger gedächtnis aufgericht". Grabdenkmäler als Quelle für Memoria und Repräsentation von Adel und Bürgertum im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Das Beispiel Niederösterreichs, München: Oldenbourg 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 5 [15.05.2005], URL: https://www.sehepunkte.de/2005/05/6780.html


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