Rezension über:

Debra J. Allen: The Oder-Neisse Line. The United States, Poland, and Germany in the Cold War (= Contributions to the Study of World history; 103), Westport, CT: Praeger Publishers 2003, 309 S., ISBN 978-0-313-32359-1, GBP 38,99
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Rezension von:
Dieter Pohl
Institut für Zeitgeschichte München - Berlin
Empfohlene Zitierweise:
Dieter Pohl: Rezension von: Debra J. Allen: The Oder-Neisse Line. The United States, Poland, and Germany in the Cold War, Westport, CT: Praeger Publishers 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 5 [15.05.2005], URL: https://www.sehepunkte.de
/2005/05/5277.html


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Debra J. Allen: The Oder-Neisse Line

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Ohne Zweifel hat die Frage der polnischen Westgrenze die Beziehungen im Dreieck USA - Polen - Bundesrepublik entscheidend bestimmt. Während die amerikanische Regierung die Westverschiebung Polens bereits im Zweiten Weltkrieg akzeptiert hatte, versuchte sie nach dem Potsdamer Abkommen immer wieder kleine Modifikationen der Grenzziehung zu erreichen, vor allem mit Blick auf Pommern und Niederschlesien. Doch wurde bald deutlich, dass die amerikanische Politik hier in eine Zwickmühle geriet: Einerseits wollte sie Zonendeutschland nicht allzu sehr durch Gebietsabtrennungen destabilisieren, andererseits schwächte ein Rütteln an der Oder-Neiße-Linie die prekäre Position der Polen - ob kommunistisch oder antikommunistisch - gegenüber der übermächtigen Sowjetunion.

Zwar änderten sich ab Ende der 1940er-Jahre die Koordinaten der Politik: Polen war kommunistisch geworden und die Bundesrepublik nahm für die westliche Sicherheitspolitik ständig an Bedeutung zu. Doch die Problemlage blieb unverändert. Die US-Regierung insistierte weiterhin auf dem vorläufigen Charakter der Grenzziehung, Mitte der 1950er-Jahre mehrten sich aber die Stimmen, die eine Dauerhaftigkeit der Oder-Neiße-Linie offen auszusprechen wagten. Insbesondere die amerikanische Botschaft in Warschau wies ständig darauf hin, dass ein Lavieren in dieser Frage nur der Sowjetunion nützen würde.

Mit dem "polnischen Oktober" 1956 schien es einen kurzen Moment lang so, als ob sich Polen aus sowjetischer Dominanz lösen könne. Die amerikanische Politik wollte nun ein Entgegenkommen zeigen, das noch weitgehender aussah, als es die Autorin skizziert. [1] Doch schon 1958 war diese Phase beendet. Dass dabei die zweite Berlinkrise die entscheidende Rolle spielte, davon ist in dem Buch kaum etwas zu spüren. In den Sechzigerjahren gewannen schließlich die Politiker die Oberhand, die für eine offizielle Anerkennung der Oder-Neiße-Linie plädierten.

Debra Allen untersucht dieses Problem vorzugsweise aus einer einzigen Perspektive, jener des State Department. So wird hier im Kern die interne Debatte zwischen 1943 und 1968 rekonstruiert. Die amerikanische Reaktion auf die neue Ostpolitik Brandts streift die Autorin hingegen nur kursorisch, mit der überraschenden Begründung, die einschlägigen Akten seien noch nicht zugänglich. [2] Erhellendes erfährt man lediglich über die Einflussnahme der polnisch-amerikanischen Organisationen, über deren Presse und polnischstämmige Kongressabgeordnete. Die Vertreter der sieben bis acht Millionen Exilpolen in den Vereinigten Staaten drängten immer wieder darauf, dass die Regierung der Grenzregelung den endgültigen Segen geben sollte.

Dieser Blickwinkel erweitert zwar die Kenntnisse über die internationalen Hintergründe der Oder-Neiße-Frage, die Analyse bleibt jedoch blass. Im Grunde referiert Allen über hunderte Seiten chronologisch die Korrespondenz des State Department herunter. Ein Briefwechsel nach dem anderen wird wiedergegeben, immer neue Verfasser von Briefen, Memoranden usw. werden eingeführt. Die Bedeutung der einzelnen Akteure bleibt meist unklar, ja sie tauchen nicht einmal im Register auf. Zwar gelangten auf diesem Weg auch die Artikel der polnischsprachigen Exilpresse auf die Schreibtische und damit ins Archiv, ansonsten beruht die Untersuchung weitgehend auf den amerikanischen diplomatischen Akten und etwas angestaubter englischsprachiger Literatur. Neuere Arbeiten werden fast gar nicht zur Kenntnis genommen [3], die wichtigen Beiträge, die polnische Historiker in den letzten Jahren angefertigt haben, fehlen völlig [4]. Gerade Letztere gehen dieses Thema tiefgründiger an und beziehen selbstverständlich die polnische und auch die deutsche Seite gleichberechtigt mit ein. Wer des Polnischen mächtig ist, sollte zu diesen Büchern greifen. Der vorliegende Band breitet reichlich Material für eine internationale Geschichte der Oder-Neiße-Linie aus, bietet selbst aber eher ein farbloses Aktenreferat aus einer eingeschränkten Perspektive.


Anmerkungen:

[1] Vgl. Jakub Tyszkiewicz: Otwarte okno w "zelaznej kurtynie". Polityka administracji prezydenta Eisenhowera wobec Polski (pazdziernik 1956 - styczen 1961), Wrocław 2003.

[2] Vgl. dagegen: American Détente and German Ostpolitik 1969-1972, hrsg. von David C. Geyer / Bernd Schaefer, Washington, D.C. 2004.

[3] Beispielsweise Sheldon Anderson: A Cold War in the Soviet Bloc: Polish-East German Relations, 1945-1962, Boulder 2001; Douglas Selvage: Polska - NRD. "Doktryna Ulbrichta" w swietle dokumentów, in: Rocznik Polsko-niemiecki 3 (1994), 77-105.

[4] Marcin Kula: Paryz, Londyn i Waszyngton patrza na Pazdziernik 1956 r. w Polsce. Warszawa 1992; Longin Pastusiak: Z tajników archiwów dyplomatycznych. Stosunki polsko-amerykanskie w latach 1948-1954, Torun 1999; Z Studia Historii Najnowszej. Profesorowi Wojciechowi Wrzesinskiemu w 65 rocznice urodzin - najmlodsi uczniowie, hrsg. von Krzysztof Ruchniewicz / Bozena Szaynok / Jakub Tyszkiewicz, Wroclaw 1999.

Dieter Pohl