sehepunkte 5 (2005), Nr. 2

James D. G. Dunn (ed.): The Cambridge Companion to St Paul

In der Reihe der Cambridge Companions to Religion hat der emeritierte Lightfoot Professor of Divinity der University of Durham, James D. G. Dunn, nun den Band über den Apostel Paulus vorgelegt. Er enthält insgesamt achtzehn Beiträge (je 10 bis 15 Seiten) international renommierter Paulusforscherinnen und -forscher, die in vier Abschnitten angeordnet sind: "Paul's Life and Work", "Paul's Letters", "Paul's Theology" und "St. Paul".

Das Handbuch - so ist die Gattung des Companion wohl am besten im Deutschen wiederzugeben - wird eröffnet mit Kurzbiografien der Beiträgerinnen und Beiträger (ix-xii), einem knappen, an Leser und Leserinnen ohne jegliche Vorkenntnisse gerichteten Glossar (xiii-xv), einem Abkürzungsverzeichnis (xvi-xix), einer Zeittabelle (xx) und einer Karte des Mittelmeerraumes (xxi). Obwohl die meisten Aufsätze in Endnoten auf die wichtigste Literatur verweisen, ist die Auswahlbibliografie am Ende des Buches hilfreich, auch wenn die jüngere nichtenglischsprachige Forschung nicht berücksichtigt wird (270-276). Der Band wird abgerundet durch ein Register der Stellen (277-295) und Sachen (296-301).

Der Herausgeber selbst hat der Sammlung eine Einführung vorangestellt (1-15), in der kurz die Frage nach echten und deuteropaulinischen Briefe thematisiert wird und die dann vor allem einen Abriss der Forschungsgeschichte von F.C. Baur über die Religionsgeschichtliche Schule bis zur so genannten "New Perspective on Paul" bietet.

Der biografisch ausgerichtete erste Abschnitt enthält zwei Beiträge, "Paul's Life" (19-33) von Klaus Haacker und "Paul as Missionary and Pastor" (34-48) von Stephen Barton. Haacker reklamiert zu Recht, dass moderne Urteile über Paulus häufig auf ihrem Kontext entrissenen neutestamentlichen Aussagen basieren (19). Für seine eigene Paulusdarstellung misst er der Apostelgeschichte einen in der aktuellen Forschung keineswegs unumstrittenen hohen Quellenwert zu, etwa hinsichtlich der pharisäischen Ausbildung des Paulus in Jerusalem durch Gamaliel. Haacker hält es außerdem für wahrscheinlich, dass der Apostel nach der in Apg 21-28 geschilderten römischen Gefangenschaft nochmals freigekommen und erst in den Wirren des Jahres 64 nach Christus in Rom umgekommen ist (31-32), was gleichfalls nicht den Konsens der Acta-Forschung widerspiegelt. Barton stellt das Selbstverständnis des Paulus als Völkerapostel dar. Das paulinische Verständnis der Offenbarung Christi vor Damaskus als Berufung sei sowohl christologisch als auch eschatologisch begründet: "Paul's experience of the risen Christ brought with it the recognition that his people's messianic hope was fulfilled, that the new age of the kingdom of God and the resurrection of the dead had begun, and that the time of God's blessing through Abraham to all nations [...] had come. His special vocation was to announce this to the Gentiles in order that the full harvest of God's people, Gentiles as well as Jews, might be brought in" (35). Er bietet schließlich einen Überblick über die Metaphern, mit denen Paulus seine Wirksamkeit als Missionar umschreibt, und skizziert dessen Missionspraxis.

Der sich anschließende längste Hauptteil des Buches bietet in acht Beiträgen einen Überblick über die paulinischen und deuteropaulinischen Briefe. Diese Aufsätze sind chronologisch nach wahrscheinlichem Abfassungsdatum und Adressaten der Briefe geordnet. Auf eine kurze Darstellung des historischen Kontextes beziehungsweise der Einleitungsfragen folgt jeweils eine abschnittweise Wiedergabe der paulinischen Argumentation mit knappen Erläuterungen. Die einzelnen Autoren und Autorinnen setzen dabei zum Teil sehr ungleiche Gewichte, was die Darstellung der Forschungslage angeht. In manchen Beiträgen vermisst man zentrale Themen, so zum Beispiel die Rechtfertigungsfrage im Galaterbrief. Außerdem kommen die Ergebnisse der jüngeren rhetorischen Forschung insgesamt zu kurz.

Margaret Mitchell, die in die Thessalonicherkorrespondenz einführt (51-63), bestimmt mit der Mehrheit der neueren Forschung den 2. Thessalonicherbrief als deuteropaulinisch. Er sei nicht notwendig an die Gemeinde in Thessalonich adressiert, sondern "meant to encompass any Christian readers [sic!] a generation or more after Paul" (59). Obwohl Bruce Longenecker in seinem Beitrag zum Galaterbrief (64-73) darauf hinweist, dass seine Darstellung zwangsläufig eklektisch sein muss, ist es doch insbesondere für ein Einführungswerk zu bedauern, dass er den Schwerpunkt einseitig auf ethische Fragen legt, wohingegen die grundsätzliche Frage der Gerechtigkeit aus Werken / aus Glauben sowie die neuere Forschung seit dem großen Kommentar von Hans Dieter Betz (Galatians, 1979; deutsch: Der Galaterbrief, 1988) ausgeblendet ist. Dieses Defizit wiegt umso schwerer, als dem Aufsatz keine Anmerkungen beigegeben sind. Im Gegensatz zum Galaterbrief wird die Korintherkorrespondenz von Jerome Murphy-O'Connor sehr ausgewogen dargestellt (74-90), der dafür neben seiner Paulusbiografie (Paul: A Critical Life, 1996) auf sein Buch "St. Paul's Corinth" (1992, 3. Auflage 2002) zurückgreifen kann. Robert Jewett bereitet derzeit eine Gesamtbibliografie zum Römerbrief vor, zu dem er im Companion den entsprechenden Abschnitt beigesteuert hat (91-104). Anders als Haacker geht Jewett davon aus, dass Paulus seine in Röm 15 entfalteten Reisepläne nicht mehr verwirklichen konnte, weil er bereits im Jahr 62 nach Christus zum Tod verurteilt wurde (91 f.). Jewett legt den Brief konsequent vor dem antiken Verständnis von "honour and shame in Graeco-Roman culture" aus. Dabei berücksichtigt er auch die Frage der Gerechtigkeit Gottes beziehungsweise der Rechtfertigung, lässt aber gleichfalls die Ergebnisse der "New Perspective" außer Acht, die sich bemüht, das Judentum nicht mehr als Leistungsreligion, sondern gleichfalls als Gnadenreligion darzustellen. Auch wenn die Ansichten der so genannten New Perspective nicht unumstritten sind, müssten sie zumindest diskutiert werden, zumal auch in diesem Beitrag erläuternde Anmerkungen mit weiterführenden Literaturhinweisen fehlen. Der Philipperbrief wird von Morna Hooker vorgestellt (105-115) und nach Rom lokalisiert (106). Hooker gibt den Einleitungsfragen - vor allem Anlass und Struktur des als Einheit angesehenen Briefes - mehr Raum als die anderen Beiträge und konzentriert sich dann vor allem auf die Diskussion des Philipperbrief-Hymnus in Phil 2,6-11. Anders als in deutschsprachigen Einführungs- oder Einleitungswerken üblich, wird der Philemonbrief nicht dem Philipperbrief zugeordnet, sondern von Loren Stuckenbruck zusammen mit dem dritten so genannten "Gefangenschaftsbrief" des Paulus, dem Kolosserbrief, besprochen (116-132). Dabei kommt Stuckenbruck nach ausgiebiger Diskussion zum Ergebnis, dass der Kol "was composed during Paul's lifetime by someone closely associated with him" (119), betont allerdings: "it would be misleading to use the letter as a starting point for reconstructing central features of Paul's theology" (119). Während Stuckenbruck für Kol die Alternative Ephesus oder Rom als Abfassungsort offen lässt (116), votiert er für die Abfassung des Phlm in Ephesus (127; ohne Bezug auf Hooker). Insbesondere vor dem Hintergrund der fehlenden Anmerkungen zu Gal und Röm erscheinen die 2 1/2 Seiten Anmerkungen in diesem Aufsatz unverhältnismäßig lang. Hier hätte der Herausgeber für ein stärkeres Gleichgewicht sorgen können. Der Epheserbrief wird von Andrew Lincoln (133-140) als pseudepigraphes, nach dem Tode des Paulus und in eine deutlich andere Situation gerichtetes Schreiben bestimmt. Arland J. Hultgren beschließt diesen Abschnitt mit einem Beitrag zu den Pastoralbriefen (141-154). Neben einer kurzen Darstellung von Aufbau und Inhalt von 1 und 2 Tim und Tit stellt er deren Aussagen zu "God and Creation", "Christology" und "Humanity and its salvation" sowie zur Gemeindeordnung und zum Paulusbild übergreifend zusammen.

Der dritte Teil des Buches befasst sich mit Einzelaspekten der paulinischen Theologie. Alan Segal entfaltet in dem Beitrag "Paul's Jewish presuppositions" (159-172) seine bereits andernorts (vergleiche Paul the Convert, 1990) vertretene These, das Neue Testament sei stärker als bisher als Quelle für das Judentum des 1. Jahrhunderts nach Christus heranzuziehen, insbesondere sei Paulus wegen seiner pharisäischen Ausbildung (vergleiche Phil 3,4b-11; Gal 1,13f; Act 23,6) eine hervorragende Quelle für frühe rabbinische Traditionen und Auslegungsmethoden. In dem Artikel über "Paul's Gospel" kennzeichnet Graham N. Stanton die paulinische Botschaft trotz unterschiedlicher Akzentuierungen als konsistent, insofern sie ihr Zentrum im Bekenntnis von Kreuz und Auferstehung mitsamt der soteriologischen Implikationen findet. Larry W. Hurtado bestimmt die Christologie des Paulus (185-198) als Zentrum von dessen Theologie bei gleichzeitigem Festhalten am Monotheismus. Die christologischen Traditionen seien Paulus zwar teilweise bereits aus seiner Zeit als Verfolger bekannt gewesen, dann jedoch maßgeblich durch seine Christusoffenbarung und Berufung zum Völkermissionar geprägt worden. Luke Timothy Johnson sieht das Zentrum der paulinischen Ekklesiologie (199-211) im Bemühen um "stability and integrity" (200). Paulus sei nicht an der Vollendung des Individuums interessiert, sondern daran, dass "his churches mature as communities of reciprocal gift-giving and fellowship" (294). Die Ausführungen zu den ekklesiologischen Metaphern hätten, zumal angesichts des begrenzten Platzes, der den einzelnen Autorinnen und Autoren zur Verfügung steht, mit einem Hinweis auf den Beitrag von Barton entlastet werden können. Dieser Hauptteil wird abgeschlossen durch Ausführungen von Brian Rosner zur paulinischen Ethik (212-223). Leider beschränkt sich Rosner auf die deskriptive Aufgabe, indem er die Themen und Formen der paulinischen Paränese darstellt, die hermeneutische Frage nach der Bedeutung und des Umgangs mit den ethischen Weisungen in der Gegenwart offen lässt (vergleiche 214 und 222).

Der letzte Teil des Companion befasst sich mit der Wirkungsgeschichte des Paulus. Calvin J. Roetzel diskutiert in dem Beitrag "Paul in the Second Century" (227-241) die Bedeutung des Apostels für die Kanonbildung. Robert Morgan beschreibt in "Paul's Enduring Legacy" (242-255) den Einfluss, den Paulus auf die theologischen Diskussionen vom Mittelalter bis hin zu Barth und Bultmann geübt hat. Ben Witherington III stellt in seinem Beitrag "Contemporary Perspectives on Paul" (256-269) jüdische Paulusdeutungen, feministische und befreiungstheologische Studien, rhetorische Zugänge und kanonzentrierte Untersuchungen zu Paulus vor.

Die vorliegende Aufsatzsammlung repräsentiert weitgehend den konservativen Konsens gegenwärtiger angelsächsischer Forschung. Dass die durchweg renommierten Autorinnen und Autoren dabei teilweise zu kontroversen Ergebnissen kommen, ist an sich nicht zu bemängeln, da dies nicht nur in der Natur eines solchen Werkes begründet ist, sondern dem Stand der Forschung entspricht. Diese Diskussionslage könnte an einigen Stellen für Anfängerinnen und Anfänger transparenter gemacht werden, auch hinsichtlich neuerer Fragestellungen, etwa durch Querverweise und entsprechende Hinweise in den Anmerkungen. Insgesamt ist die vorliegende Aufsatzsammlung als ein willkommenes Hilfsmittel für den Einstieg in die Beschäftigung mit Paulus zu begrüßen, da sie ein breites Themenspektrum in allgemein verständlicher Art darbietet.

Rezension über:

James D. G. Dunn (ed.): The Cambridge Companion to St Paul, Cambridge: Cambridge University Press 2003, XXI + 301 S., ISBN 978-0-521-78694-2, GBP 15,99

Rezension von:
Heike Omerzu
Evangelisch-theologische Fakultät, Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Empfohlene Zitierweise:
Heike Omerzu: Rezension von: James D. G. Dunn (ed.): The Cambridge Companion to St Paul, Cambridge: Cambridge University Press 2003, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de/2005/02/6200.html


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