sehepunkte 5 (2005), Nr. 2

Paolo Cesaretti: Theodora

Die Karriere der Schauspielerin und Hure, die zur Ehefrau Justinians und oströmischen Kaiserin aufgestiegen ist, hat seit der Erstpublikation der 'Anekdota' Prokops (1623) eine bis heute ungebrochene Faszination auf Historiker und Biografen ausgeübt. Die detailliert ausgemalten Anrüchigkeiten und Perversionen, die Prokop genüsslich und voll Häme, zugleich aber in tiefer Frustration angesichts der Situation im Oströmischen Reich vor seinen Lesern ausbreitet, wurden immer wieder als willkommenes Gerüst für Biografien einer Kaiserin verwendet, deren Lebensweg geradezu märchenhafte Züge aufweist. Schon seit längerer Zeit ist allerdings bekannt, dass das von Prokop gebotene Material ausgesprochen problematisch ist und sich einem biografischen Zugriff letztlich entzieht. Jüngere Arbeiten zu Theodora haben gerade diesem Sachverhalt Rechnung getragen und vielfach die methodischen Probleme einer Auswertung der 'Anekdota' sowie ihre Diskrepanzen insbesondere gegenüber den orientalischen Quellen betont. [1] Trotzdem blieb unter den römischen Kaiserfrauen vor allem Theodora ein beliebtes Objekt biografischer Versuche, die letztlich - mit der Ausnahme der Arbeit von Hans-Georg Beck, der die nötige Distanz zu den Quellen besitzt [2] - alle gescheitert sind, zuletzt die Monografie von James Allan S. Evans [3]. Auch die im Folgenden anzuzeigende Theodora-Biografie von Paolo Cesaretti reiht sich hier ein.

Paolo Cesaretti ist sich der Probleme der 'Anekdota' durchaus bewusst und weist wiederholt auf die Schwierigkeiten hin, die eine Auswertung dieses Textes mit sich bringt (etwa 12, 65, 80 f., 90 f., 100). Trotzdem erweist sich sein Buch über weite Strecken - vor allem für die Phase vor der Erhebung Theodoras zur Augusta - als fantasievoll ausgeschmückte Nacherzählung der von Prokop berichteten Episoden. Als leitende Maxime des Buches lässt sich eine Bemerkung in der Einleitung zitieren, wo der Autor festhält: "Der archaische Charakter jener Frau auf der Bühne ihrer Zeit lässt sich erschließen nur aus jenem Bereich, der in den Quellentexten zwischen den Zeilen steht oder dem das Schweigen der Quellen Worte verleiht" (16). Wer weiter in Paolo Cesarettis Buch liest, begreift, was damit gemeint ist: Seine Darstellung bewegt sich über weite Strecken in einem Genos, das die Grenzen der wissenschaftlichen Biografie und des historischen Romans verwischt. Was die Quellen nicht wissen, wird durch mutige Hypothesenbildung (das Wort "vielleicht" ist eines der häufigsten in diesem Buch) imaginiert, wobei nicht immer klar ist, was durch die Überlieferung abgesichert ist und wo die Mutmaßungen des Autors einsetzen. Immer wieder werden einzelne Szenen in romanhafter Form beschrieben (etwa 17 f., 59 f., 83 ff., 158 f., 176 f.), mitunter sogar Dialoge eingefügt, die zwar nicht belegt sind, aber so oder so ähnlich hätten stattfinden können. Das Fehlen von Quellen wird vor allem in der ersten Hälfte des Werkes (der zweite Teil ist wesentlich stringenter gehalten) durch lange Exkurse kompensiert, so etwa, wenn die Erwähnung des Hekebolos von Tyros zum Anlass für interessante, aber letztlich unnötige Reflexionen über die Stadt Tyros genommen werden (106).

In dieser Art der Darstellung vermischen sich erwartungsgemäß viele wichtige und zutreffende Einsichten mit merkwürdigen Deutungen, teilweise auch sachlich unzutreffenden Behauptungen. So liegt Paolo Cesaretti falsch, wenn er die zu Beginn des 6. Jahrhunderts vorherrschenden Endzeiterwartungen nicht auf die damalige Gegenwart, sondern auf die Jahre um 1500 gerichtet sieht (20 f.); Konstantinopel wurde damals nicht wegen des "Glanz[es] und [der] Herrlichkeit der Metropole" als "Neues Jerusalem" apostrophiert (22), sondern wegen seiner eschatologischen Bedeutung. Fragwürdig sind die Behauptungen, die Wiederaufnahme des Dialogs mit den Monophysiten durch Justinian sei ganz Theodora zuzuschreiben (192) und die Heirat Belisars mit Antonina sei vom Kaiserpaar eingefädelt worden, um den Feldherrn besser kontrollieren zu können (198 f.) - hier hat sich Paolo Cesaretti vollends in den von Prokop gelegten Netzen verfangen und dessen Vorbehalte kritiklos weitergedacht (Ähnliches gilt für seine Aufnahme der Vorwürfe Prokops, wonach Belisar sich seine Kriegführung von seiner Frau Antonina habe diktieren lassen; 305). Die Beziehung von Anthologia Graeca 16,44 auf den Nika-Aufstand (208 f.) erfolgt ohne Not und zwingt den Verfasser dazu, letzteren zu einem "Reitertumult" zu erklären. Unzutreffend ist die Aussage, die Vereinigung der Zirkusgruppen während dieses Aufstandes sei ein einmaliger Vorgang gewesen (214). Zu bezweifeln ist überdies die Behauptung, die damals angeblich von Theodora gehaltene und von Prokop überlieferte Rede (Prokop, Perserkriege, 1,24,33-37) sei im Kern historisch (222, 227). [4] Im Übrigen beraubt der Autor diese Rede ihrer literarischen Pointe, wenn er 'basileía' kraftlos mit 'Macht' übersetzt (223, 226). Die Niederlage der Vandalen bei Tricamarum mit Cannae zu vergleichen (252), ist insofern problematisch, als letztere Schlacht ja nicht zum Untergang der römischen Republik geführt hat, das Schicksal des Vandalenreiches hingegen mit Tricamarum besiegelt war. Über den Vergleich der Reise Theodoras von Nordafrika nach Konstantinopel mit den Reisen Herodots (119) mag man zumindest schmunzeln, ebenso über das intime Wissen Paolo Cesarettis im Hinblick auf den Zeitvertreib des frisch verliebten Paares Justinian / Theodora: "Es war vor allem zu dieser Zeit, dass die körperliche Liebe ihr Freude schenkte. In ihrer frühesten Jugend war sie nicht zu trennen von der Theaterkarriere, von den Notwendigkeiten des Überlebenskampfes und des Aufstiegs. Später sollte es die Zeit der Suche nach einem Thronerben sein. Aber nun war die Zeit, in der die Lust, das Liebesspiel sie in Atem hielt" (169). Wie diese Liebesakte im Einzelnen ausgesehen haben sollen, hat der Autor bereits zuvor (159) mit seiner gewohnten Liebe zum Detail beschrieben.

Demgegenüber wird man Paolo Cesaretti in seinen Anmerkungen zum Ursprung des Theodora-Mythos (79) sicherlich folgen können. Wichtig und zutreffend ist auch seine Beobachtung, dass der vermeintliche Triumph Belisars für den Feldherrn selbst letztlich nur ein Scheintriumph war (254), ferner der Hinweis darauf, dass die entscheidenden Transformationen im 6. Jahrhundert sich um 542 vollzogen haben (359).

Paolo Cesarettis Theodora ist eine Frau, die mit präzisem Kalkül ihren eigenen Aufstieg plant und regelrecht inszeniert. Immer wieder weist der Autor darauf hin, welchen Nutzen sie aus ihren psychagogischen Kenntnissen, die sie im Theater erworben hatte, zu ziehen gewusst habe. Schon ihr Anschluss an Hekebolos sei "klare Berechnung" gewesen (109), und als Herrscherin habe sich Theodora dann als "Naturgenie des Befehlens" (371) erwiesen, die ihre Macht zu bewahren und auszubauen gewusst habe (etwa 240: "Theodoras erstes Ziel war [...] die Stärkung der Macht"). Dass sie dabei auch Einfluss auf die Gesetzgebung Justinians und auf dessen Religionspolitik genommen hat, ist sehr wahrscheinlich. Das Ausmaß dieser Beeinflussungen scheint mir aber doch geringer gewesen zu sein, als Paolo Cesaretti annimmt.

Die ausdrucksstarke, romanhafte, vielfach pathetische Sprache des Autors bietet manchmal interessante Stilblüten ("Immer wieder gab es jemanden, der überwältigt von den Strapazen, sich auf der Straße zum Sterben hinlegte", 212; "Der schlaflose Justinian akzeptierte die Idee nicht, dass seine an das ewige Wachsein gewohnten Augen sich eines Tages für einen ewigen Schlaf schließen könnten", 370). Einige Irrtümer dürften auf die Übersetzung zurückgehen (die italienische Originalausgabe des Buches ließ sich leider nicht für einen Vergleich beschaffen): "Nestor" statt "Nestorios" (zum Beispiel 130), "Philossenos" statt "Philoxenos" (131), "Dyophysitisten" statt "Dyophysiten" (137), "lupanare" statt "lupanar" (148), "Scipius" statt "Scipio" (256), "Cizicus" statt "Kyzikos" (302), "Sisaurano" statt "Sisauranon" (305).

Dem knappen, bis auf wenige Ausnahmen auf Textbelege beschränkten Anmerkungsapparat (407-419) ist klar zu entnehmen, dass der Autor vor allem Prokop gefolgt ist. Ein in vielen Punkten nuancierteres Theodora-Bild hätte sich sicherlich ergeben, wenn Paolo Cesaretti in stärkerem Maße auch die übrigen Quellen herangezogen hätte.

Für den Fachwissenschaftler bringt Paolo Cesarettis Theodora-Buch nicht viel Neues. Aber darin scheint auch nicht der Anspruch dieser Monografie zu liegen. Sie wendet sich an ein breites, interessiertes Publikum und vermag diesem eine spannend geschriebene, detailreiche, leider sachlich nicht immer ganz zutreffende Darstellung zu bieten. Wenn man das Buch in dieser Weise akzeptiert und als 'Theodora-Roman' liest, bereitet es ein Vergnügen.


Anmerkungen:

[1] Ich verweise etwa auf Charles Pazdernik: "Our Most Pious Consort Given Us by God": Dissident Reactions to the Partnership of Justinian and Theodora, A.D. 525-548, in: Classical Antiquity 13 (1994), 256-281; Susan Ashbrook Harvey: Theodora the "Believing Queen": A Study in Syriac Historiographical Tradition, in: Hugoye 4.2 (2001); Hartmut Leppin: Theodora und Iustinian, in: Hildegard Temporini-Gräfin Vitzthum (Hg.): Die Kaiserinnen Roms. Von Livia bis Theodora, München 2002, 437-481; - Clive Foss: The Empress Theodora, in: Byzantion 72 (2002), 141-176.

[2] Hans-Georg Beck: Kaiserin Theodora und Prokop. Der Historiker und sein Opfer, München 1986.

[3] Anthony Bridge: Theodora. Aufstieg und Herrschaft einer byzantinischen Kaiserin, München 1999; James Allan S. Evans: The Empress Theodora. Partner of Justinian, Austin 2002.

[4] Siehe Mischa Meier: Zur Funktion der Theodora-Rede im Geschichtswerk Prokops (BP 1,24,33-37), in: Rheinisches Museum für Philologie 147 (2004), 88-104.

Rezension über:

Paolo Cesaretti: Theodora. Herrscherin von Byzanz. Aus dem Italienischen von Roland Pauler, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2004, 450 S., ISBN 978-3-538-07177-3, EUR 29,90

Rezension von:
Mischa Meier
Seminar für Alte Geschichte, Eberhard Karls Universität, Tübingen
Empfohlene Zitierweise:
Mischa Meier: Rezension von: Paolo Cesaretti: Theodora. Herrscherin von Byzanz. Aus dem Italienischen von Roland Pauler, Düsseldorf / Zürich: Artemis & Winkler 2004, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 2 [15.02.2005], URL: https://www.sehepunkte.de/2005/02/5828.html


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