Geschenktipps zu Weihnachten

Jörg Baberowski, Berlin



Bernard Williams: Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2003.

Williams zählt zu den bedeutendsten englischsprachigen Philosophen der Gegenwart. Sein Buch über Wahrheit und Wahrhaftigkeit ist ein Versuch, den Wahrheitsbegriff neu zu verstehen und ihn damit für die Wissenschaft zu retten. Die Materie ist kompliziert, aber Williams macht sie auf eine Weise verständlich, dass auch Nicht-Philosophen verstehen, was gemeint ist. Es gibt auch ein Kapitel über Wahrheit in den Geschichtswissenschaften. Ein großartiges Buch und ein Glanzstück philosophischen Schreibens über die Welt.


Ludolf Herbst: Komplexität und Chaos. Grundzüge einer Theorie der Geschichte, München: C. H. Beck 2004.

Gewöhnlich sind Bücher über Geschichtstheorien unlesbar, weil sie die Theorien, die sie erläutern, in der Sprache der Theoretiker vorstellen. Ludolf Herbsts Buch über Geschichtstheorien ist keine leichte Kost. Aber es arbeitet mit Beispielen, die es dem Leser erleichtern, zu verstehen, welchen Sinn eine Theorie hat. Im letzten Abschnitt geht Herbst auf die Bedeutung der Chaostheorie für die Erklärung des Nationalsozialismus ein. Ein gelehrtes Buch, das vor allem Studenten der Geschichtswissenschaften zu empfehlen ist.


Svetlana Alexijewitsch: Der Krieg hat kein weibliches Gesicht, Berlin: Berlin Verlag 2003.

In den letzten Jahren sind zahlreiche Bücher zur Kriegserfahrung und zum Kriegsalltag an der Front erschienen. Jetzt liegt auch eine Darstellung zum Frontalltag in der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg vor. Svetlana Alexijewitsch hat zahlreiche weibliche Soldaten befragt, die als Sanitäter oder Scharfschützen in der Roten Armee eingesetzt waren. Dabei ist ein erschütterndes Buch über den Alltag des Krieges herausgekommen, das mit den Heldenmythen bricht und die Sinnlosigkeit der Gewalt in den Vordergrund stellt. Dieses Buch ist bedrückend, aber eben darin entfaltet es eine Wirkung, die von den gelehrten Abhandlungen über den Krieg nicht ausgehen.


Simon Sebag-Montefiore: Stalin. The Court of the Red Tsar, London: Orion 2004.

Stalin als Mensch und als Patron - das ist das Thema dieses gut geschriebenen und anregenden Buches. Sebag-Montefiore portraitiert Stalin in der Umgebung, in der er lebte. Wir lernen seine Verwandten, seine Freunde, seine engsten Gefolgsleute und die Rituale kennen, die am Hof des Despoten eingeübt wurden. Nach der Lektüre dieses Buches wird verständlich, wie die Gewalt zur beherrschenden Ordnung in den Beziehungen der stalinistischen Funktionäre wurde. Als Alltagsgeschichte der herrschenden Elite in der Stalin-Zeit - so könnte man dieses beeindruckende Buch auch lesen.


Anne Applebaum: Der Gulag. Aus dem Englischen von Frank Wolf, Berlin: Siedler Verlag 2003.

Nach Alexander Solschenizyns Azdipel Gulag ist nun erstmals eine Gesamtdarstellung des sowjetischen Lagersystems vorgelegt worden. Sie stammt aus der Feder einer amerikanischen Journalistin, die ihren Historiker-Kollegen allerdings voraus hat, dass sie die Kunst des Schreibens beherrscht. Das Buch verbindet die Organisations- mit der Alltagsgeschichte der Lager. Es ist ein Standardwerk; auf dem neuesten Forschungsstand, gut geschrieben und politisch engagiert, denn es möchte auch an die Verbrechen der kommunistischen Diktatur erinnern.