sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8

Axel Heinrich: Thomas Willeboirts Bosschaert (1613/14-1654)

Constantijn Huygens gab 1641 den Namen des Künstlers mit "Willeboorts" phonetisch wieder. Samuel van Hoogstraten beschrieb 1678 dessen Stil als "graselijk", also graziös, und nannte Willeboirts in einem Atemzug mit Rubens, Van Dyck und Jacob Jordaens. Wie sich die "kräftige, plastisch artikulierte Körperlichkeit von Rubens [...] mit der hohen Emotionalität und Eleganz von Van Dyck" (133) verbunden habe, will Axel Heinrich mit seinem umfangreichen kritischen Werkverzeichnis zeigen. Es handelt sich hiermit um die erstmalige umfassende Erschließung von Willeboirts Œuvre. Anhand von etwa 80 Historien und Allegorien mitsamt Zeichnungen, Entwürfen und Ölskizzen, dazu Porträts und Kopien nach Van Dyck kann man den Großfigurenmaler am zeitgenössischen Urteil messen. Den ersten Band mit Text- und Katalogteil ergänzt der zweite mit Anmerkungen und dem Abbildungsteil, was die Benutzbarkeit des umfangreichen Werkkatalogs etwas erleichtert. Ein kurzer, mit Illustrationen ausgestatteter Überblick informiert über verlorene und falsch zugeschriebene Werke. Der Dokumentenanhang ergänzt die bislang publizierte Korrespondenz mit dem Haus von Oranien (Unger 1891, Worp 1911/17, Slothouwer 1945) gefolgt von einem Register aus Namen und Orten.

1637 wurde Thomas Willeboirts Freimeister in Antwerpen, er starb auch dort, im Alter von nur vierzig Jahren. 1628 war Willeboirts nach Antwerpen gekommen und lernte acht Jahre in der Werkstatt von Gerard Seghers, dessen spätem durch Rubens geprägten Stil Willeboirts verpflichtet blieb. Er entwickelte aus Rubens' Werk die positiven Kräfte weiter; die Themen Liebe, Eintracht und Friede wurden ikonographisch werkbestimmend (43). Gleich nach der Freimeisterschaft war Willeboirts zwischen 1636 und 1638 unter der Ägide von Rubens am Auftrag König Philipps IV. für das Jagdschloss Torre de la Parada beteiligt. Von Willeboirts Beitrag an diesen Dekorationen blieb allerdings nichts erhalten.

Zwischen 1641 und 1647 nahm ihn vor allem Statthalter Frederik Hendrik in den nördlichen Niederlanden in Anspruch. Der Flame stattete dessen Landschlösser vor Den Haag mit Szenen aus Ovids Metamorphosen aus. So schuf er für den oranischen Statthalter mythologische Szenen mit lebensgroßen Figuren, für den katholischen Süden dagegen großformatige Altarbilder im Dienst der Gegenreformation (vergleiche etwa Kat. A74-A76, die so genannten "Fuensaldañas" in Valladolid).

Die "Engelpietà" und die "Beweinung des Adonis" gehören zu eben diesen Themenbereichen. Und bislang prägten diese beiden beliebten Kompositionen die Vorstellung von Willeboirts' Œuvre ganz und gar. Gerade zu diesen bevorzugten Sujets hätte man nun gern eigene Kapitel vorgefunden. Doch die beiden Sujets, die derart bekannt und typisch für das Werk des Künstlers sind und die auch im Atelier und in der Nachfolge so überaus erfolgreich waren, sie verstecken sich im Text (Zur Engelpietà 51 und Kat. A2; zur Beweinung des Adonis 49, 135 und Kat. A5). Willeboirts hatte bereits zu Beginn seines Schaffens in den Jahren 1638/39 und 1641/42 diese beiden geschmacksprägenden und erfolgreichsten seiner Kompositionen eingeführt, sie wurden sogleich reproduziert (56). Dabei drängt sich die Frage auf, wieso sich weder im Werk von Willeboirts noch unter den von Heinrich aufgeführten Werkstattkopien- und Versionen jemals eine formatreduzierte Fassung dieser beiden Sujets findet. Gab es solche Kabinettfassungen nicht oder fand Axel Heinrich sie nicht? Letzteres lässt sich bei der 20-jährigen Beschäftigung des Autors mit dem Künstler schwer vorstellen. Einzig die kleinere Version von "Venus und Amor" (Braunschweig) seines Schülers Jan de Duyts (1629-1676) ist bekannt. Sie wiederholt leicht variiert Willeboirts' heute verschollene Fassung, die sich im Besitz von Erzherzog Leopold Wilhelm befand (siehe das Galeriebild von David Teniers, Wien, KHM).

Hervorzuheben sind die wenigen Porträts, mit fokussierenden, sehr eindrücklichen Blicken, insbesondere Büsten, darunter Nicolas Rockox, Balthasar I. Moretus, Balthasar Corderius, Jan-Gaspar Gevartius, Pieter de Jode, Erycius Puteanus (Kat. AP 1-21). Es wurden in die Katalognummerierung auch Kupferstiche nach verlorenen Bildnissen aufgenommen. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg erscheint in der Rolle des Aeneas (mit Venus), ein portrait historié unter mehreren.

Ein elegant emotionaler Ausdruck, ein Hang zur artifiziellen und theatralischen Attitüde kennzeichnet die mehrfigurigen Szenen, deren Sujets auf wenige beschränkt sind, darunter: Diana mit Nymphen, Venus verabschiedet oder betrauert Adonis, Venus und Amor, Engelpietà, Himmelfahrt oder Verherrlichung der Maria. Als eines der Merkmale der vielfigurigen Historien erwähnt Heinrich, dass die Körper nicht vom Bildrand überschnitten werden (53). Und die Arme liegen selten am Körper an, sie wirken meist gewichtslos und vermitteln so die so häufig erwähnte Grazie. Glatte, fein geschnittene Gesichter mildern manchen schwer hingelagerten Frauenakt. Der geschlossene Körperumriss unterstreicht drastisch die plastische Schärfe. Putten mit Lockenhaar umschmeicheln galant die fülligen männlichen Akteure in den portraits historiés. Es überrascht bei diesem versierten Meister zu sehen, dass es ein Nebeneinander disparater anatomischer Erscheinungsformen in qualitätvollsten Werken gibt.

Bei der Produktion von Monatsallegorien oder Küchenstillleben arbeitete Willeboirts mit den Stilllebenmalern Jan Brueghel, Jan Fyt, Daniel Seghers, Adriaen van Utrecht, Paul de Vos und Frans Ykens zusammen. In kleineren Assistenz-Stillleben oder Landschaftsaussichten benötigte er keine Hilfe.

Zur Lektüre muss man grundsätzlich beide Bände neben oder übereinander legen, da die Anmerkungen im zweiten Band kapitelweise durchnummeriert vorliegen, gefolgt von den Abbildungen. Die Einträge zu den Katalognummern sind so ausführlich, dass der Leser vermutlich eher diese Texte konsultiert, als im undurchdringlichen, vorderen Textteil nach der Besprechung bestimmter Werke zu suchen. Generell hätte eine kleinteiligere Struktur der Textgliederung bei zielgerichteter Suche geholfen, denn Verweise bei den Katalognummern fehlen. Über den Index finden sich Werke unter Autoren, die im Vergleich erwähnt werden, zum Beispiel werden mehr als hundert Werke von Peter Paul Rubens einzeln namentlich im Register aufgeführt. Auf diese Weise hätten auch die Werke Willeboirts erschlossen werden können. Ausführliche, häufig psychologisierende Bildbeschreibungen sind für ein illustriertes Œuvreverzeichnis unnötig, die in Sätzen ausformulierten Angaben von Provenienzen erschweren mehr als dass sie nützen. Man wünschte sich durchgängig einen knapperen, aussagekräftigeren Stil.

Wenn Heinrich resümiert, dass Willeboirts Van Dycks elegante Kunst in Koloristik und Farbauftrag nobilitierte, indem er "dem Inkarnat seiner Figuren und den Farben der Stoffe durch häufige Graulasuren raffiniertere Schimmereffekte" (134) verlieh, dann wünschte man sich Farbabbildungen, die leider in der Reihe Pictura Nova/Brepols generell fehlen. Willeboirts war Heinrich zufolge ein "vortrefflicher innovativer Kolorist, der aus dem Studium von Van Dycks subtilem venezianisch beeinflussten Farbenspiel zu eigenen überraschenden Ergebnissen gelangte" und eine "Vorliebe für effektvolle Farbwirkungen" (214) hegte. Allein im koloristischen Vergleich zu Van Dycks Brillanz und Delikatesse ließe sich das überprüfen. Van Dycks Grazie findet man bei Willeboirts in feinen Posen, kleinen Füßen und zierlich schmalen Händen. Doch die Kompositionen des Künstlers gehen nicht über die Lösungen seines Vorbildes Van Dyck hinaus. Die Frage, ob sich die massive, irdischere, festere Körperlichkeit seiner Akteure von Rubens' Figurenstil ableiten lässt (97, 123) und man entsprechend von einer "Synthese der Stilelemente von Rubens und Van Dyck" (134) sprechen kann, bleibt offen. Der Autor schränkt dieses Postulat immer wieder ein, ohne sich dann tatsächlich vom tradierten Urteil zu lösen. Die unzähligen Einzelergebnisse sind versteckt in barocker Sprache und Umfang des Buches. Doch die ikonographisch und stilistisch genaue Analyse der Werke, ihre erstmalige Einordnung in den Entstehungskontext und in die jeweilige Auftragssituation werden diesen Œuvrekatalog unentbehrlich machen.

Rezension über:

Axel Heinrich: Thomas Willeboirts Bosschaert (1613/14-1654). Ein flämischer Nachfolger van Dycks (= Pictura Nova. Studies in Sixteenth- and Seventeenth-Century Flemish Painting and Drawing; Bd. IX), Turnhout: Brepols 2003, 2 Bde., zus. VIII + 640 S., 180 s/w-Abb., ISBN 978-2-503-51143-6, EUR 165,00

Rezension von:
Ursula Härting
Hamm
Empfohlene Zitierweise:
Ursula Härting: Rezension von: Axel Heinrich: Thomas Willeboirts Bosschaert (1613/14-1654). Ein flämischer Nachfolger van Dycks, Turnhout: Brepols 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 [15.07.2004], URL: https://www.sehepunkte.de/2004/07/4628.html


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