Rezension über:

Holger Zaunstöck / Markus Meumann (Hgg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung (= Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung; 21), Tübingen: Niemeyer 2003, 310 S., ISBN 978-3-484-81021-1, EUR 78,00
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Rezension von:
Anne Conrad
Institut für Katholische Theologie, Universität Saarbrücken
Redaktionelle Betreuung:
Ute Lotz-Heumann
Empfohlene Zitierweise:
Anne Conrad: Rezension von: Holger Zaunstöck / Markus Meumann (Hgg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation. Neue Forschungen zur Vergesellschaftung im Jahrhundert der Aufklärung, Tübingen: Niemeyer 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 7/8 [15.07.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/07/4732.html


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Holger Zaunstöck / Markus Meumann (Hgg.): Sozietäten, Netzwerke, Kommunikation

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Die so genannten Aufklärungsgesellschaften, Sozietäten und - als ein Spezialfall - die Geheimen Gesellschaften gehörten in den 1970er- und 1980er-Jahren zu den Lieblingsthemen der Aufklärungsforschung. Nach gründlichen Typologisierungen, Systematisierungen und einer Vielzahl von Einzelstudien, die Struktur und Mitgliedschaft der Gesellschaften vorstellten, schien das Thema zunächst ausgereizt zu sein und fand zwischenzeitlich wenig Interesse. In den vergangenen Jahren hat sich nun eine neue Generation von Historikern und Historikerinnen mit neuen Fragen den Sozietäten zugewandt. So hat etwa die Genderforschung die verschiedenen Formen von aufgeklärter Vergesellschaftung unter dem Stichwort "Geselligkeit" neu in den Blick genommen. [1] Einen anderen, viel versprechenden Zugang, bietet der vorliegende Band, der die Netzwerke, die durch die Sozietäten konstituiert wurden und die sich daraus ergebenden ständeübergreifenden Kommunikationsmöglichkeiten in den Vordergrund rückt. Hervorgegangen aus einer Tagung zum gleichen Thema, die im November 2002 am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg stattfand, gibt der Band Einblick in aktuelle Forschungen und laufende Projekte. [2] Zum Teil handelt es sich also um "work in progress", und nicht zuletzt dies macht die Lektüre des Bandes so anregend.

Der im Titel formulierte Dreischritt hat programmatischen Charakter: Ausgehend von Untersuchungen zu einzelnen Sozietäten und ihren Mitgliedern wird nach der geografischen, aber ebenso nach der ständeübergreifenden Vernetzung der Gesellschaften gefragt. Die Analyse dieser Netzwerke führt dann unmittelbar zur Untersuchung der kommunikativen Strukturen und Inhalte, die für die Sozietäten charakteristisch waren. Sozietätengeschichte wird so zur Kommunikationsgeschichte.

Holger Zaunstöck lässt in einem einleitenden Beitrag die verschiedenen Ansätze historischer Kommunikationsforschung Revue passieren und entwirft vor diesem Hintergrund ein Konzept zum Verständnis von Sozietäten als überständischen Interaktionssystemen. Der vorliegende Band will, so Zaunstöck, "einen Beitrag zur Kommunikationsgeschichte der Frühen Neuzeit leisten, der die kommunikative Kultur und die Interaktionssysteme des 18. Jahrhunderts, das heißt die Sozietätsbewegung als innovativen Beitrag des Aufklärungsjahrhunderts zur Genese von übergreifenden Kommunikationsstrukturen in den Blick nimmt - und damit zugleich für ein Aufeinander-Zugehen von Aufklärungsforschung und frühneuzeitlicher Kommunikationsgeschichte plädiert" (6f.). Entsprechend der Dreigliederung im Titel verteilen sich insgesamt 14 thematische Beiträge auf die drei genannten Kategorien.

Unter dem Stichwort "Sozietäten" finden sich Untersuchungen einzelner Gesellschaften, deren Netzwerke aus unterschiedlichen Gründen interessant waren: Detlef Döring (über die "mitteldeutschen gelehrten Kollegien") geht vor allem auf Leipzig ausführlich ein und zeigt dabei auf, welch hohe Bedeutung den Kollegien für die wissenschaftliche Kommunikation zukam; dass also der Gelehrtendiskurs keineswegs nur oder vor allem eine Sache der Akademien war. Robert Seidel betrachtet die "Teutsche Gesellschaft" in Gießen, eine akademische Gesellschaft, in der Studierende und Professoren zusammenarbeiteten. Katrin Böhme untersucht die von dem Arzt und Naturforscher F.H.W. Martini gegründete und noch heute bestehende "Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin" und Annett Volmer die "Gesellschaft der Altherthümer" in Kassel. Die übergreifend angelegte Studie von Joachim Bauer widmet sich anhand von Egodokumenten studentischen "Orden" und Akademischen Logen, jene von Markus Meumann den Konstitutionsschriften der Gesellschaften und Logen als wichtiger, bislang allerdings erstaunlich wenig genutzter Quellengattung. Der Beitrag Kerstin Böhmes ist über die Sozietätengeschichte hinaus äußerst instruktiv für das Verständnis der frühneuzeitlichen Esoterik. [3] Böhme analysiert die strukturellen und ideellen Parallelen und Beziehungen zwischen der "Gesellschaft Naturforschender Freunde" und den Freimaurern und zeigt dabei sehr klar, wie eng naturwissenschaftliche Erkenntnisse und esoterisches Weltverständnis ineinander verflochten waren - auch dies Vernetzungen der besonderen Art.

Im zweiten Teil des Bandes werden unter dem Stichwort "Netzwerke" dann verschiedene Formen von Vernetzung der Gesellschaften in den Blick genommen: Der Illuminatenorden in der Kurzpfalz (Hermann Schüttler), dessen Netzwerk maßgeblich von Johann Friedrich Mieg geknüpft wurde, der Gold- und Rosenkreuzerorden in Mittel- und Norddeutschland (Renko Geffarth) und die Freimaurer im Alten Preußen (Karlheinz Gerlach). Gerlach stellt dabei das Beispiel Magdeburg in den Mittelpunkt und erläutert daran das innerstädtische Netzwerk zwischen Freimaurern und anderen Sozietäten. Neuland betritt Christine Haug, die das "Projekt zur Gründung einer Frauenlesegesellschaft in Gießen" 1789/90 im Vorfeld der Französischen Revolution vorstellt, eine Initiative der gelehrten Ehefrauen Gießener Universitätsprofessoren, die eine auffällige Affinität zur radikaldemokratischen "Deutschen Union" Karl Friedrich Bahrdts aufwies und auch wohl eine erst ansatzweise erforschte überregionale Ausstrahlung besaß. Einmal mehr wird hier deutlich, wie engagiert und flexibel Frauen als Multiplikatorinnen der Aufklärung agierten, aber auch wie wichtig es ist, die Gesellschaft der Aufklärer und Aufklärerinnen aus der Perspektive der Geschlechtergeschichte genauer wahrzunehmen.

"Kommunikation" ist schließlich der Leitbegriff, anhand dessen im dritten Teil des Sammelbandes noch einmal der Blick neu auf die verschiedenen Typen von Sozietäten gelenkt wird: Reinhard Markner beleuchtet im Zusammenhang mit Honoré de Mirabeau die politischen Aspekte beim "Niedergang der Berliner Rosenkreuzerei"; Holger Zaunstöck untersucht das Verhältnis von Studentenorden und Universitätsobrigkeit in Halle unter dem Aspekt von "Denunziation und Kommunikation"; Paul Ziche und Peter Bornschlegell betrachten am Beispiel der Aktivitäten der "Naturforschenden Gesellschaft" in Jena die "überregionale Wissenschaftskommunikation um 1800", und Christine Damis zeigt am Beispiel der "Preisfragen in den Statuten italienischer Akademien und Sozietäten", wobei vor allem Lucca, Verona und Mailand im Blick sind, dass diese Gesellschaften nicht nur formal "vernetzt" waren, sondern dass auch ein enger Gedankenaustausch und thematischer Bezug zwischen ihnen bestand.

Die einzelnen Beiträge bieten nicht nur ein facettenreiches Bild einzelner Sozietäten und ihrer Vernetzungen, sondern werden tatsächlich dem Anspruch gerecht, Sozietätengeschichte als Kommunikationsgeschichte neu oder wenigstens fortzuschreiben. Der interdisziplinäre Zugang, dem die Autoren - nicht nur Historiker, sondern eben auch Vertreter der Germanistik, der Romanistik, der Buchwissenschaft und vor allem der (Natur-)Wissenschaftsgeschichte - verpflichtet sind, erweist sich dabei nicht nur als sinnvoll und anregend, sondern geradezu als richtungsweisend. Und nicht zuletzt: Die ausgeprägte Kommunikations- und Informationskultur, die von den Sozietäten des 18. Jahrhunderts entwickelt und gelebt wurde, ist nicht nur im Hinblick auf die Historisierung unserer gegenwärtigen Informationsgesellschaft überaus interessant, sondern sie gibt in der Tat, wie es Zaunstöck in seiner Einleitung anregt, Anlass das Verhältnis von "Vormoderne" und "Moderne" neu zu überdenken. Insgesamt bietet der Band viele neue Einsichten und macht neugierig auf die diversen Untersuchungen zu diesem Thema, die noch in Arbeit und hoffentlich bald abgeschlossen sind.


Anmerkungen:

[1] Vergleiche Ulrike Weckel u.a. (Hg.): Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert, Hamburg 1998, darin besonders den Beitrag von Brigitte Tolkemitt: Knotenpunkte im Beziehungsnetz der Gebildeten: Die gemischte Geselligkeit in den offenen Häusern der Hamburger Familien Reimarus und Sieveking, 167-202.

[2] In die gleiche Richtung weist die ausführliche Untersuchung und Dokumentation von Michael Kempe / Thomas Maissen: Die Collegia der Insulaner, Vertraulichen und Wohlgesinnten in Zürich 1679-1709. Die ersten deutschsprachigen Aufklärungsgesellschaften zwischen Naturwissenschaften, Bibelkritik, Geschichte und Politik, Zürich 2002. Kempe und Maissen stellen ihre Einleitung zu dem gewichtigen Band ebenfalls unter das programmatischen Motto "Aufklärung als Kommunikation".

[3] Vergleiche Monika Neugebauer-Wölk: Esoterik in der Frühen Neuzeit. Zum Paradigma der Religionsgeschichte zwischen Mittelalter und Moderne, in: Zeitschrift für Historische Forschung 27 (2000), 321-364.

Anne Conrad