KOMMENTAR ZU

Sibylle Ehringhaus: Rezension von: Hildegard Hammerschmidt-Hummel (Hg.): Die Shakespeare-Illustration (1594-2000). Bildkünstlerische Darstellungen zu den Dramen William Shakespeares: Katalog, Geschichte, Funktion und Deutung, Wiesbaden: Harrassowitz 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 4 [15.04.2004], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/04/3927.html

Von Hildegard Hammerschmidt-Hummel

Fast jeder Satz der vorliegenden Besprechung offenbart, dass Sibylle Ehringhaus es darauf angelegt hat, die dreiteilige Bilddokumentation "Die Shakespeare-Illustration (1594-2000) " herabzusetzen. Die Herausgeberin und Autorin sollte dazu eigentlich schweigen und das Werk für sich sprechen lassen. Gleichwohl sieht sie sich zur Replik genötigt. Denn in ihrem Eifer, aufzuzeigen zu wollen, dass das Opus keine "repräsentative Bilddokumentation" sei und nicht "kunst- und literaturwissenschaftlichen Kriterien" genüge, verwickelt sich die Rezensentin in große Widersprüche. Das beginnt schon damit, dass sie am Anfang affirmativ konstatiert, jetzt liege "eine Publikation vor, die man ohne zu zögern in Anspruch, Ausstattung und Umfang und Gestalt ein Opus magnum nennen kann". Das als Opus magnum gepriesene Werk wird anschließend jedoch mit abwertender Absicht als bloße "Kompilation" eingestuft. Bekanntlich hat eine Kompilation per definitionem wissenschaftlich praktisch keinen Wert.

Doch welcher Art sind die Beanstandungen, die eine solche Herabstufung rechtfertigen? In den Augen der Rezensentin wurde eine Aufteilung gewählt, "die schlichter und uninspirierter kaum vorstellbar ist". Damit meint Ehringhaus die Gliederung der Bände und die Anordnung des Bildmaterials. Über beides haben die Projektleiter (Prof. Rudolf Böhm, Kiel, Prof. Horst W. Drescher, Mainz, und Prof. Paul Goetsch, Freiburg), der Kommissionsvorsitzende der Mainzer Akademie, Prof. Werner Habicht, mehrere DFG-Gutachter, darunter zwei Kunsthistoriker, und die Herausgeberin lange und intensiv beraten. Klar wurde "zugunsten einer Zuordnung der Bilder zum dramatischen Werk Shakespeares" entschieden, "und zwar nach 'Drama', 'Akt' und 'Szene'" ("Notate der Herausgeberin", I, XIX). Dies ermöglicht es dem Benutzer, ganze Shakespeare-Dramen parallel zum Text 'bildlich zu lesen'. Ehringhaus aber übt daran gleichwohl heftige Kritik. Ihre nicht nachvollziehbare Begründung lautet, eine solche Zuordnung lasse es nicht zu, "über die Bilder vergleichend zu reflektieren". Immerhin bestätigt sie, der erste Band enthalte - wie sie es nennt - "den Anteil der Reflexion". Am Ende aber gelangt sie zu dem Urteil, die Reflexion fehle gänzlich und dies sei ein großes Manko des Werks.

Am Künstlerlexikon bemängelt die Rezensentin, dort seien die "Shakespeare-Darstellungen des jeweiligen Künstlers nur faktisch und nicht einmal vollständig erwähnt". Dass die 'vollständige Erwähnung' der Shakespeare-Illustrationen eines Künstlers im Lexikon gar nicht möglich ist, fällt ihr nicht auf. Dabei hätte schon ein Blick auf das Künstlerregister genügt, um ihr zu zeigen, dass viele dieser Einträge so zahlreiche Bildverweise enthalten, dass ihre (Ehringhaus') Forderung absolut unrealistisch ist.

Unangenehm berührt, dass Ehringhaus einen Vorzug des Lexikons irrtümlicherweise als Mangel deutet und - von dieser falschen Voraussetzung ausgehend - seinen "wissenschaftlichen Wert" in Frage stellt. "Entlarvend", so betont sie, habe die Herausgeberin selbst erklärt: "Rund 15 Prozent dieser Viten sind in den Standard-Nachschlagewerken nicht verzeichnet" (I, XXIII). Sollte der Rezensentin tatsächlich entgangen sein, dass gerade diese Einträge von besonderem Nutzen sind und zeit- und kostenintensive Recherchen nötig waren (etwa in der British Library, im Britischen Museum u. a.), um einschlägige Quellen, darunter handschriftliche Künstler-Listen und -Verzeichnisse früherer Jahrhunderte, aufzuspüren und sie später in mühseliger Kleinarbeit auszuwerten? Auf der Suche nach biographischen Angaben über Maler, Musiker, Schriftsteller etc. ist man im allgemeinen für jeden noch so kleinen Hinweis dankbar. Und wenn das Künstlerlexikon des Werks "Die Shakespeare-Illustration" nun eine ganze Reihe von Einträgen enthält, die man in den Standardlexika nicht findet, kann man dies - bei objektiver Betrachtung - wohl kaum als Manko bewerten. Natürlich ist es auch kein Mangel, dass die Künstlerviten knapp gefasst sind, was aber von Ehringhaus gleichfalls beanstandet wird. Wenn sie zudem meint, die Viten gingen "nicht über die biographischen Eckdaten hinaus", so ist dies schlichtweg falsch. Ich zitiere aus den "Notaten der Herausgeberin": "Die Strukturierung der Einträge des Lexikons erfolgte, sofern bekannt, prinzipiell nach den Gesichtspunkten: (1) Ausbildung des Künstlers, Lehrer, künstlerische Prägung, (2) Einflüsse auf die künstlerische Entwicklung (Reisen, Kontakte, literarische Vorlieben), (3) Hauptwerke, (4) Auszeichnungen, (5) Ausstellungsorte, (6) stilistische Einordnung des künsterlischen Werks, (7) Wege des Künstlers zur literarischen Illustration, (8) Beziehung des Künstlers zum Theater, (9) Auseinandersetzung des Künstlers mit dem Werk Shakespeares" (I, XXIII).

Keiner der von Ehringhaus vorgebrachten Kritikpunkte hält einer Überprüfung stand. Die abschließenden Äußerungen der Rezensentin sind persönliche Meinungsbekundungen, die durch keinerlei Sachargumente untermauert werden und zudem völlig unzutreffend sind: "Man kann diese Sammlung", so Ehringhaus, "wissenschaftsgeschichtlich in den Positivismus des 19. Jahrhunderts verorten." Ferner meint sie, "die Arbeit [bleibe] ganz und gar unberührt von aktuellen Diskursen, wie der Rezeptionsgeschichte eines Gary Taylor beispielsweise". Dem ist entgegenzuhalten, dass in "Geschichte, Funktion und Deutung bildkünstlerischer Werke zu Shakespeares Dramen (Teil I) selbstverständlich, soweit dies möglich war, neueste Ansätze und Konzepte berücksichtigt werden. Wenn die Rezensentin dann auch noch auf Gary Taylors Buch "Reinventing Shakespeare. A Cultural History from the Restoration to the Present" (1990) verweist - gleichsam als Musterbeispiel, an dem die Herausgeberin/Autorin sich hätte orientieren sollen -, muss sie sich allerdings fragen lassen, ob sie mit diesem Werk überhaupt vertraut ist. Taylors interessante, aber recht salopp verfasste Kulturgeschichte - der Titel der deutschen Übersetzung lautet: "Shakespeare - Wie er euch gefällt. Geschichte einer Plünderung durch vier Jahrhunderte" - wäre für die Arbeiten am Projekt "Die Shakespeare-Illustration" mit Sicherheit kontraproduktiv gewesen. Denn den Autor interessieren, wie er selbst sagt, Fragen nach der "kulturellen Vorherrschaft" des Dichters wie beispielsweise: "Wann wurde Shakespeare zum größten englischen Dramatiker erkoren? Zum größten englischen Dichter? Zum größten Dichter aller Zeiten?" (11). Sein Hauptanliegen formuliert Taylor am Ende seiner Einleitung: "Die Geschichte des wachsenden Shakespeare-Ruhmes muß deshalb die Annalen der Shakespeare-Kritik, des Theaters und vieler anderer Bereiche einbeziehen. Das gesamte Fach ist so umfassend, daß es dafür keinen Namen gibt. Da wir einen Namen brauchen, taufen wir es 'Shakespearotik'" (12).

Auch der Ratschlag, den Ehringhaus zu guter Letzt nicht nur der Herausgeberin, sondern praktisch allen am Projekt Beteiligten erteilt, ist in mehrerer Hinsicht unangebracht: Das "damals von Horst Oppel zusammengestellte Material", so argumentiert die Rezensentin, hätte man besser als "work-in-progress" belassen und "der Öffentlichkeit im Internet" anvertrauen sollen. Dies, so urteilt sie apodiktisch, wäre "dem Ansehen der Mainzer Akademie" zugute gekommen. Dass die Mainzer Akademie der Wissenschaften aber gerade den traditionellen Publikationsweg gewählt hat und den Traditionsverlag Harrassowitz damit betraute, stört sie nicht. Die Erkenntnis, dass man seine wertvollen Schätze - und um solche handelt es sich hier - indessen nicht einfach verschleudert, sondern in angemessener Form und unter Berücksichtigung der Willensbekundungen des Archivgründers präsentiert, kommt ihr nicht. Zudem hätte Ehringhaus, zumal in ihrer Eigenschaft als Kunsthistorikerin, eigentlich wissen müssen, dass ebenso wie für die vorliegende Publikation auch für eine Internetpublikation der immens zeitaufwendige und komplizierte Prozess des Einholens der Bildrechte nötig gewesen wäre, dass aber in letzterem Fall zahlreiche Eigentümer ihre Rechte wohl gar nicht erteilt hätten.

Abschließend sollte nicht unerwähnt bleiben, dass die Einwände der Rezensentin - ihre Kritik an der Zuordnung und Einteilung des Bildmaterials und am Künstlerlexikon, ihre Empfehlung des Ansatzes von Gary Taylor, ihr Anraten einer Internetpublikation u. a. - in erstaunlicher Weise mit jenen Kritikpunkten übereinstimmen, die DFG-Gutachter aus Berlin und München schon vor Jahren vorbrachten, die damals jedoch einvernehmlich ausgeräumt wurden. Dem erfolgreichen Abschluss des Projekts in drei Bänden mit insgesamt 1772 Seiten (nicht 1568, wie Ehringhaus angibt) stand seither nichts mehr im Weg.