Rezension über:

Brennan C. Pursell: The Winter King. Frederick V of the Palatinate and the Coming of the Thirty Years' War, Aldershot: Ashgate 2003, XVII + 320 S., 11 s/w-Abb., 2 Karten, ISBN 978-0-7546-3401-0, EUR 49,95
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Rezension von:
Magnus Rüde
Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin
Redaktionelle Betreuung:
Ute Lotz-Heumann
Empfohlene Zitierweise:
Magnus Rüde: Rezension von: Brennan C. Pursell: The Winter King. Frederick V of the Palatinate and the Coming of the Thirty Years' War, Aldershot: Ashgate 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 5 [15.05.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/05/5140.html


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Brennan C. Pursell: The Winter King

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Der Winterkönig hat Konjunktur. Nach der Amberger Ausstellung vom Frühjahr 2003 steht Friedrich V. von der Pfalz nun im Mittelpunkt einer biografischen Studie des in Philadelphia lehrenden Historikers Brennan C. Pursell. Die von Mark Kishlansky und Steven Ozment in Harvard betreute Arbeit kann nach den magistralen Werken von Hermann Friedrich Schubert zu Ludwig Camerarius und Volker Press zum politischen System der Kurpfalz [1] als ergänzende Abhandlung zur kurpfälzischen Politik im konfessionellen Zeitalter gelten. Bei "The Winter King" handelt es sich aber nicht um eine klassische Biografie. Denn entgegen des Untertitels konzentriert sich der Autor auf die entscheidenden Kriegsjahre seit Ausbruch des böhmischen Aufstandes 1618 bis zum Tod des Pfalzgrafen 1632, wobei die persönliche Motivation Friedrich V. in der Böhmenkrise und in den folgenden Jahren des niederländischen Exils in den Kontext Kurpfälzer Außenpolitik gestellt wird.

Pursells historiografischer Anspruch ist kein geringerer als die Revision des bisher dominierenden Bildes über den 'Winterkönig'. Denn nicht religiöser Fanatismus oder überstiegener persönlicher Ehrgeiz seien die Gründe für das böhmische Abenteuer von 1619 und die sich anschließende vergebliche Bündnispolitik des Pfalzgrafen gewesen. Vielmehr hätten Friedrichs reichsverfassungsrechtliche Ideen zur Annahme der Wenzelkrone sowie zum blutigen Konflikt mit Habsburg und Bayern geführt. Auf der nicht unproblematischen Grundlage von Friedrichs persönlicher Korrespondenz mit seiner Frau Elizabeth, seinen Räten, Diplomaten und Fürsten befreundeter und gegnerischer Mächte vertritt der Autor - Johannes Burkhardts Idee vom Staatenbildungskrieg folgend - die These, dass für den Pfälzer Kurfürsten der Krieg vor allem ein Reichsverfassungskrieg gewesen sei, in dem er den 'ständisch-libertären' Wesensgehalt gegen die Habsburger Versuche einer absoluten, erblichen Herrschaft an der Reichsspitze zu verteidigen suchte (1 und 288 f.).

Der zweite Teil der Revision betrifft das bis in unsere Zeit tradierte zeitgenössische Bild vom 'Winterkönig'. Entgegen der katholischen Propaganda sei der Pfalzgraf eben nicht jener von seinen Räten abhängige, entscheidungsschwache "mad prince" (Erik Midelfort) gewesen, dessen Handlungen zur Instabilität des Fürstenstaates und zugleich des gesamten internationalen Systems beitrugen. Friedrich V. repräsentiere vielmehr den gut ausgebildeten, hoffnungsvollen Fürsten des Frühbarock mit Sinn für politische Verantwortung (17 f.). Dies betraf laut Pursell auch sein Verhältnis zum Glauben, denn trotz unübersehbarer persönlicher Frömmigkeit habe Friedrich V. stets die Religion von der Politik zu trennen gewusst. Diese erstaunliche These macht der Autor nicht nur am relativ geringen Stellenwert der Religion in Friedrichs diplomatischer Korrespondenz fest. Auch seine Bereitschaft zum Bündnisschluss mit lutherischen Reichsständen und dem 'anglikanischen' England sowie seine Toleranzpolitik gegenüber anderen Religionsgemeinschaften während seiner kurzen Herrschaft in Böhmen dienen dem Autor hierfür als Belege (19).

Auf der Grundlage dieser weit reichenden Thesen rückt Pursell die böhmische Königswahl als Auftakt des Dreißigjährigen Krieges in ein neues Licht. Friedrich V. habe 1619 die Chance gesehen, vor allem die Habsburger Versuche einer Reichsverfassungsrevision zu begrenzen, erst dann folgten auch konfessionelle Motive wie Solidarität mit den böhmischen Glaubensbrüdern sowie dynastische Interessen wie die Rangerhöhung für das Haus Kurpfalz (85). Diese Wertigkeit der außenpolitischen Motive habe sich auch in der Exilzeit nicht gewandelt. So gerieten die Kurpfälzer Verhandlungen mit England zu einem Rechtsdisput zwischen Friedrich V. und James I. über die Legalität der Wahl von 1619 (149). Die Kurpfälzer Aufrufe an das protestantische Europa, für das "common cause" zu kämpfen, galten vor allem dem Schutz der 'reichsständischen Libertät' und waren weniger Ausdruck einer radikalprotestantischen Idee konfessioneller Bündnissolidarität (153).

Pursells gut lesbare Studie besticht durch die überzeugende Einbindung der Figur Friedrichs V. in den Gesamtkontext der europäischen Staatengeschichte zwischen 1618 und 1632. Auf der Grundlage eines beachtlichen Quellenstudiums in deutschen, österreichischen, tschechischen, niederländischen, englischen und spanischen Archiven leistet der Autor nicht nur eine intensive Auseinandersetzung mit den vielfältigen Stationen Kurpfälzer Außenpolitik im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts. Er vermeidet trotz des biografischen Ansatzes erfreulicherweise auch eine in diesem Genre häufig anzutreffende Parteilichkeit. Damit legt der Autor die Grundlagen für die notwendige Revision eines von der Flugschriftenpropaganda seit 1619 stark verzerrten Pfalzgrafenbildes.

Jedoch bleiben erhebliche Zweifel hinsichtlich Pursells Hauptthese. Gerade beim zentralen Thema der Handlungsmotive verhindern methodische Schwächen eine konsistente Revision des Pfalzgrafenbildes. So liefert der Autor keine schlüssige Auseinandersetzung darüber, inwiefern die ausschließliche Verwendung der Fürstenkorrespondenz Auskunft über komplexe Motive wie dynastische, konfessionelle und 'reichspolitische' Räson in der frühneuzeitlichen Diplomatie geben kann. Bei den immer wiederkehrenden Versicherungen des Pfalzgrafen gegenüber Korrespondenzpartnern, sein Handeln ziele lediglich auf die Erhaltung der Verfassung des Reichs, stellt sich die Frage, inwiefern es sich hier nicht um einen geläufigen Topos zur Legitimation politischen Handelns handelt, der zum Standardrepertoire der Fürstenkorrespondenz gehörte. Hier hätte eine Ausweitung der Untersuchung auf Quellen jenseits des klassischen Geschäftsschriftguts wie beispielsweise die zeitgenössische Publizistik beziehungsweise die Selbstinszenierung des Fürsten im Rahmen der höfischen Repräsentation in Heidelberg, Prag und Den Haag für mehr Klarheit sorgen können.

Auch ist Pursells Trennung von rechtlichen und religiösen Motiven wenig plausibel. Im Gegensatz zur Dynastie war ja gerade das Reichsrecht - dies zeigen die Studien von Martin Heckel [2] - seit 1555 konfessionell erheblich aufgeladen. Vor allem das Beispiel der calvinistischen Kurpfalz zeigt, dass reichsrechtliche Fragen wie jene nach dem Schutzbereich der 'Confessio Augustana' sich rasch zur theologischen Wahrheitsfrage entwickeln konnten. Dem Autor ist daher entgegenzuhalten, dass vor allem Friedrich V. 1619 eine konfessionelle Auffassung des Reichsrechts vertreten musste, die einen weit ausgelegten Begriff 'reichsständischer Libertät' mit protestantischer Radikalität verband. Dies erklärt nicht nur, weshalb die Heidelberger Außenpolitik 1619 ungeachtet der begrenzten Mittel den geradezu eschatologischen Entscheidungskampf mit Habsburg wagte. Es verdeutlicht auch, warum die reformierte Kurpfalz in gefährlichen Situationen wie dem Heidelberger Administratorenstreit 1610-1614 das Reichsrecht bewusst brach, um die Regentschaft des lutherischen Agnaten Philipp Ludwig von Pfalz-Neuburg testamentarisch zugunsten eines reformierten Wittelsbacher zu unterbinden. Gegenüber Neuburg verteidigte auch Friedrich V. wiederholt diese konfessionsgeleitete Neuinterpretation der Reichsverfassung.

In der Gesamtschau überzeugt Pursells Revisionsanspruch weniger dort, wo es um die Rolle des Reichsrechts geht, als vielmehr dort, wo die Wertigkeit dynastischer Motive im Mittelpunkt steht. Denn angesichts der steigenden Bedeutung innerfamiliärer Auseinandersetzungen im Hause Wittelsbach ist der These des Autor auf alle Fälle zuzustimmen, dass neben konfessionellen Motiven auch dynastische Vorstellungen der Rangerhöhung sowie Ehr- und Reputationsverteidigung neben der Konfession für die politische Vorstellungswelt Friedrichs V. maßgebend waren. Letztendlich trugen sie mit zum Charakter des Dreißigjährigen Krieges als Religions- und zugleich Erbfolgekrieg bei.

Anmerkungen:

[1] Friedrich Hermann Schubert: Ludwig Camerarius 1573-1651. Eine Biographie, München 1955; Volker Press: Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559-1619, Stuttgart 1970.

[2] Martin Heckel: Reichsrecht und "Zweite Reformation": Theologisch-juristische Probleme der reformierten Konfessionalisierung, in: Heinz Schilling (Hg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland. Das Problem der "Zweiten Reformation". Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1985, Gütersloh 1986, 11-44.

Magnus Rüde