Rezension über:

Dieter Rebentisch / Evelyn Hils-Brockhoff (Hgg.): Frankfurt in der Frühen Neuzeit (= Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst; Bd. 68), Frankfurt/Main: Waldemar Kramer 2002, 424 S., 40 Abb., ISBN 978-3-7829-0535-0, EUR 24,50
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Rezension von:
Wolfgang Treue
Duisburg / Düsseldorf
Redaktionelle Betreuung:
Stephan Laux
Empfohlene Zitierweise:
Wolfgang Treue: Rezension von: Dieter Rebentisch / Evelyn Hils-Brockhoff (Hgg.): Frankfurt in der Frühen Neuzeit, Frankfurt/Main: Waldemar Kramer 2002, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 5 [15.05.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/05/4615.html


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Dieter Rebentisch / Evelyn Hils-Brockhoff (Hgg.): Frankfurt in der Frühen Neuzeit

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Der hier zu besprechende Band, herausgegeben von Dieter Rebentisch und Evelyn Hils-Brockhoff, umfasst vierzehn "Aufsätze zum Thema: Städtische Lebenswelten, Herrschaft und Gesellschaftsordnung hinter den Mauern der Reichsstadt Frankfurt am Main von der Frühen Neuzeit bis zum Beginn der Moderne". Von den Autoren sind einige als Mitarbeiter am Institut für Stadtgeschichte, am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte und am Jüdischen Museum tätig, während die anderen aus dem Umfeld des Historischen Museums, der Goethe-Universität und des Städel'schen Kunstinstituts stammen. Der Sammelband dokumentiert damit in eindrücklicher Weise die Kooperation der verschiedenen historischen Forschungsinstitutionen einer Stadt, deren immense Bedeutung für die Geschichte des Deutschen Reiches gerade in der Frühen Neuzeit unumstritten sein dürfte.

Stadtgeschichte wird hier sehr schnell zu Reichsgeschichte, wie bereits der erste Beitrag von Alexandra Nusser zur Beteiligung Frankfurts am so genannten "Neusser Krieg", dem Reichskrieg gegen das Burgund Karls des Kühnen in den 1470er-Jahren, erkennen lässt. Deutlich wird aber zugleich auch die städtische - und damit doch wiederum lokale - Perspektive auf die Ereignisse, da es dem Frankfurter Rat in diesem internationalen Konflikt weniger darum ging, der Stadt historischen Ruhm zu erwerben, als vielmehr, die kommunalen Ausgaben möglichst gering zu halten. Entsprechend waren die von Frankfurt entsandten Söldner notorisch schlecht bezahlt, weshalb sie sich überwiegend aus zweifelhaften Milieus rekrutierten, in großer Zahl desertierten und sich auch sonst kaum durch heroisches Verhalten auszeichneten, was die zum städtischen Aufgebot abgeordneten Gesandten gelegentlich zur Verzweiflung trieb. Doch tendierten auch sie nicht zum Heroismus, sondern verzögerten den Aufbruch vom bereits eroberten Linz an die Neusser Front nach Kräften. Der größte Erfolg des Frankfurter Kontingents bestand jedenfalls im feierlichen Einzug in Köln, bei dem die eben frisch eingekleideten Truppen positive Beachtung durch den Kaiser fanden.

Da die Geschicke Frankfurts während der Frühen Neuzeit in durchaus absolutistischer Weise durch den Rat gelenkt wurden und dieser sich in seiner Mehrheit aus Vertretern einer kleinen und weitgehend geschlossenen Gruppe patrizischer Familien zusammensetzte, gilt ein Schwerpunkt des Bandes eben dieser Oberschicht, wobei gerade hier die unterschiedlichen Ansätze der aktuellen Frankfurter Stadtgeschichtsforschung deutlich werden. Dies gilt umso mehr, als einige der Autoren an ihr nicht nur durch die Beiträge des vorgestellten Bandes partizipieren, sondern bereits umfangreichere Arbeiten auf diesem Gebiet vorgelegt haben.

So basiert etwa die akribische Rekonstruktion der zahlreichen Prozesse des Hamman von Holzhausen (1467-1536) von Michael Matthäus auf seiner 2002 erschienenen biografischen Dissertation über diesen einflussreichen Frankfurter Patrizier, und dem Beitrag von Inke Worgitzki über Kleiderordnungen im frühneuzeitlichen Frankfurt - einem wichtigen Mittel der Sozialdisziplinierung - liegt eine Magisterarbeit zu diesem Thema zugrunde. Mit dem Konzept der Sozialdisziplinierung hat sich auch Anja Johann in ihrer Dissertation beschäftigt, während in ihrem gegenwärtigen Beitrag jedoch Probleme frühneuzeitlicher Biografik im Vordergrund stehen, die sie am Beispiel einer anderen wichtigen Persönlichkeit des Frankfurter Patriziats, Claus Stalburg (1469-1524), darlegt.

Auf umfangreiche Forschungen und Publikationen zur Frankfurter Stadtgeschichte gehen nicht zuletzt auch die Aufsätze von Fritz Backhaus und Barbara Dölemeyer zurück, die dem Verhältnis zwischen Patriziat und Juden beziehungsweise Patriziat und studierten Juristen gewidmet sind. Während Dölemeyer einen doppelten Prozess aufzeigt, der zum einen durch das dauerhafte Eindringen akademisch qualifizierter Rechtsgelehrter - etwa in Gestalt der Stadtsyndici - in den Bereich der städtischen Administration, zum anderen durch die zeitweilig zunehmende, aber im Verlauf des 18. Jahrhunderts wieder abflauende Wertschätzung einer juristischen Ausbildung innerhalb des Frankfurter Patriziats gekennzeichnet ist, geht es Backhaus vor allem um die Faktoren, die dasselbe Patriziat beziehungsweise den von ihm dominierten Rat veranlassten, der jüdischen Gemeinde entgegen dem allgemeinen Trend, der zur Vertreibung der Juden aus den meisten anderen Reichsstädten im Spätmittelalter oder zu Beginn der Neuzeit führte, dauerhaften Schutz zu gewähren. Ungeachtet der in Abständen immer wieder auflebenden Diskussion über eine Ausweisung oder zumindest eine zahlenmäßige Begrenzung, konnte sich die Frankfurter Gemeinde in einem geradezu explosionsartigen Wachstumsprozess in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zur führenden Gemeinde in Aschkenas entwickeln, wobei neben der kaiserlichen Protektion nicht zuletzt auch die wirtschaftlichen Erfordernisse des aufblühenden Messebetriebs eine wichtige Rolle spielten.

Mit der Erwähnung der Juden ist bereits ein anderer entscheidender Aspekt angesprochen: die Rolle von beziehungsweise der Umgang mit Minderheiten innerhalb der lutherischen Reichsstadt. Hierzu findet sich neben dem Beitrag von Backhaus ein weiterer von Roman Fischer, der sich mit dem Bankier Josef zum Goldenen Schwan, einer der schillernsten Gestalten des jüdischen Frankfurt im 16. Jahrhundert, beschäftigt, mit einem Mann, der intensive, wenn auch teilweise recht undurchsichtige Geschäftsbeziehungen zu den Fuggern unterhielt, im Dienst verschiedener deutscher Fürsten wie kein anderer die Frühform des jüdischen Hoffaktors verkörperte und sein Leben 1572 im Frankfurter Gefängnis beendete, aber noch post mortem per Ratsbeschluss gehenkt und schließlich verbrannt wurde. Der Aufsatz, in dessen Mittelpunkt die Verflechtungen Josefs mit dem Bankhaus Fugger und seinen süddeutschen Geschäftspartnern stehen, eröffnet einen ersten Blick auf eine überaus interessante und - abgesehen von einigen lapidaren Angaben bei Schnee oder Dietz - noch wenig beachtete Persönlichkeit der Finanzwelt des 16. Jahrhunderts. Es bleibt zu hoffen, dass der Autor, der sich bereits seit längerem mit Josef zum Goldenen Schwan befasst, weitere Veröffentlichungen folgen lassen wird.

Eine andere Minderheit innerhalb der Frankfurter Gesellschaft stellten die italienischen Kaufleute dar, denen zwei Beiträge des Bandes gewidmet sind. So behandelt Christiane Reves die Ansiedlung von Handelsfamilien aus der Gegend des Comer Sees, ihre Geschäftspolitik, die durch familiäre Vernetzung sowie eine flexible Organisation in Handelsgesellschaften mit kurzer Laufzeit geprägt war, ihr Warensortiment und - nicht zuletzt - ihren anhaltenden Kampf um Selbstbehauptung gegenüber der einheimischen Konkurrenz und einer oftmals sehr restriktiven Ratspolitik. Mit denselben Problemen war auch die Kaufmanns- und Tabakfabrikantenfamilie Bolongaro konfrontiert, die allerdings nicht vom Lago di Como sondern vom Lago Maggiore stammte. Ihrem Schicksal ist der leider ausschließlich auf oft gar zu eingehend referierter Sekundärliteratur basierende Aufsatz von Silke Wustmann gewidmet. Aufgrund der obrigkeitlichen Repressionen verlegten die Bolongaro ihren Firmensitz im späten 18. Jahrhundert zeitweilig in die Höchster Neustadt, ein nur mäßig erfolgreiches kurmainzisches Prestigeprojekt im Zeichen merkantilistischer Wirtschaftspolitik, dessen bedeutendstes architektonisches Denkmal das bis in die Gegenwart erhaltene stattliche Bolongaro-Palais im heutigen Frankfurter Stadtteil Höchst darstellt. Ob mit der Verlagerung des Handelskontors auch die der Tabakproduktion verbunden war, scheint Wustmann unsicher (362), während Konrad Schneider, der in seinem in direktem Anschluss folgenden Aufsatz mit extremer Detailgenauigkeit die wirtschaftliche Entwicklung von Höchst im 18. und 19. Jahrhundert analysiert, das kategorisch bestreitet (385). Dieses an sich wenig bedeutende Detail illustriert eine verbreitete Schwäche von Sammelbänden - die fehlende Vernetzung und Bezugnahme der einzelnen Beiträge untereinander, die auch im vorgestellten Band immer wieder erkennbar wird.

Bereits angesprochen wurde der Aspekt der Sozialdisziplinierung, der sich ebenso in den Kleiderordnungen wie in einer zunehmend differenzierten Polizeigesetzgebung manifestierte, die Hendrik Halbleib untersucht, wobei er - ausgehend von einem aus heutiger Sicht eher humoristisch anmutenden Ratsedikt des Jahres 1780 gegen "muthwilliges Wancken" (das heißt das bewusste in schlingernde Bewegung Versetzen der Boote) auf dem Main - zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verordnungen in ihrer immer extremeren Kasuistik eher ein Abbild der Lebenswirklichkeit als das einer normativen Gesellschaftskonzeption darstellen.

Eine andere Seite dieser Lebenswirklichkeit kommt in der leider etwas knapp ausgefallenen soziologischen Studie von Joachim Eibach über "Ehre und Gewalt auf der Straße" zur Sprache, während Inge Kaltwasser in einem umso ausführlicheren Beitrag aus dem reichen Fundus der von ihr bearbeiteten Reichskammergerichts- und städtischen Kriminalakten über Ehestreitigkeiten vor Gericht referiert, womit die Bereiche von Normativität und Realität wiederum in eine äußerst enge Beziehung treten.

Einem historiografischen Werk wie dem vorliegenden durchaus angemessen, ist darin auch ein Beitrag zur Geschichtsschreibung enthalten, der Aufsatz zur Frankfurter Stadtchronistik von Stephanie Dzeja, die - basierend wiederum auf einer eben abgeschlossenen Dissertation - eine Reihe städtischer Historiker vorstellt, dabei allerdings leider auf eine zusammenfassende Würdigung der behandelten Autoren verzichtet.

Ungeachtet solcher hier in aller Kürze angesprochener Mängel - zu denen im Hinblick auf eine vergleichende Minderheitenforschung auch das Fehlen eines Beitrags über die seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eingewanderten Flamen und Wallonen, die im Wirtschaftsleben der Stadt eine wichtige Rolle spielten, zählt - handelt es sich bei dem Band um einen überaus wichtigen Beitrag, der in seiner Bedeutung weit über den städtischen Rahmen hinausgeht und zugleich vielfältige Impulse für eine moderne Stadtgeschichtsforschung liefert.

Wolfgang Treue