Rezension über:

Thomas Gomart: Double détente. Les relations franco-soviétiques de 1958 à 1964, Paris: Publications de la Sorbonne 2003, 494 S., ISBN 978-2-85944-497-6, EUR 33,00
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Rezension von:
Beatrice Heuser
Militärgeschichtliches Forschungsamt, Potsdam
Empfohlene Zitierweise:
Beatrice Heuser: Rezension von: Thomas Gomart: Double détente. Les relations franco-soviétiques de 1958 à 1964, Paris: Publications de la Sorbonne 2003, in: sehepunkte 4 (2004), Nr. 4 [15.04.2004], URL: https://www.sehepunkte.de
/2004/04/5940.html


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Thomas Gomart: Double détente

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Das Thema dieses Buches - die Beziehungen zwischen Frankreich und der UdSSR in der zweiten Hälfte der fünfziger und der ersten Hälfte der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts - ist sowohl ein klassisches als auch ein problematisches Thema der Diplomatiegeschichte. Je vernetzter und vielseitiger die zwischenstaatlichen Beziehungen geworden sind, desto schwieriger ist ein bilateraler Zugang, und desto wichtiger ist es, ihn in seine Kontexte einzubetten: den Faktor Bundesrepublik Deutschland, den Faktor NATO, den Faktor UdSSR, den Faktor Algerienkrieg und so weiter. Dies ist dem Autor sehr gut gelungen, wobei er zugibt, dass dem Verhältnis zwischen Frankreich und Sowjetunion im Weltgeschehen des behandelten Zeitraums keine ausschlaggebende Bedeutung zukam.

Die französisch-sowjetischen Beziehungen jener Jahre waren von einem doppelten Ungleichgewicht geprägt. Zum einen gab es das Ungleichgewicht zwischen der Weltmacht als Kernwaffengigant und Weltraumeroberer und der Mittelmacht, deren einstiges Weltreich sich auflöste und die nur gerade eben zu einer Kernwaffenmacht wurde. Es war zum anderen aber auch ein taktisches Ungleichgewicht, weil Moskau in Form von Parti Communiste Français und Gewerkschaften menschliche Werkzeuge innerhalb von Frankreich besaß, während Frankreich bestenfalls über die traditionelle Anziehungskraft seiner Kultur verfügte.

Der thematische Zugang, den Gomart gewählt hat, beschränkt sich nicht allein auf die Beziehungen zwischen den beiden Regierungen. Der Autor hat nicht nur die Kontakte zwischen den Staatsmännern und ihren diplomatischen Apparaten und Militärvertretern analysiert, sondern auch andere Formen der Beziehungen zwischen den Nationen: Städte-Partnerschaften, Austausch von Studenten, Kulturkontakte, Beziehungen zwischen Intellektuellen und den Kommunistischen Parteien beider Länder, Wirtschaftsbeziehungen und Messen. Auf diese Weise ist eine der seltenen Studien der inter-nationalen Beziehungen zwischen Frankreich und der UdSSR in ihrer Gesamtheit entstanden. Dem Leser wird somit weit mehr geboten, als es die traditionelle Diplomatiegeschichte vermag.

Während Gomart auf die angeführten Aspekte auf französischer Seite viel neues Licht wirft, ist die Ausbeute auf russischer Seite für ihn wie für den Leser enttäuschend, weil sich in den zugänglichen russischen Archiven fast nur die tägliche Arbeit der diplomatischen Maschinerie niedergeschlagen hat und weil der Autor keine strategischen Planungs-Dokumente entdecken konnte. Das gut recherchierte Buch zeigt daher auch die Grenzen der Forschung zur Sowjetunion im Kalten Krieg auf. Trotzdem kann man einige strategische Muster erkennen: So war die sowjetische Frankreichpolitik der Deutschlandpolitik klar nachgeordnet, und de Gaulle hat es nicht vermocht, seinen Staat in den Augen der Kremlführer als erstrangige Macht darzustellen, auf die man in jeder wichtigen außenpolitischen Frage hätte Rücksicht nehmen müssen.

Für die Fünfte Französische Republik ist die untersuchte Periode der Russlandpolitik von großer Bedeutung. Wie Gomart zu recht betont, sind die Kernpunkte der Außen- und Sicherheitspolitik de Gaulles zu Richtlinien geworden, an denen sich alle nachfolgenden Präsidenten orientiert haben, auch der Sozialist Mitterrand. De Gaulle selbst hat einmal gesagt, dass die Franzosen unfähig sind, sich eine Zukunft vorzustellen, ohne sich auf eine Vergangenheit ihrer eigenen Fantasie zu beziehen - in der guten Tradition der Evangelisten, die Punkt für Punkt die Geschichte Jesu aus dem Alten Testament ableiten. De Gaulles Erbe aber hat - wie Gomart in seinen Zeitzeugenbefragungen in Russland festgestellt hat - auch die russische Seite stark beeinflusst, bis hin zu russischen Politologen, die die Politik Vladimir Putins als "russischen Gaullismus" beschreiben. Der Mythos "de Gaulle" lebt weiter, auch wenn die französisch-russischen Beziehungen heute dem Verhältnis zwischen Russland und der EU untergeordnet sind.

Beatrice Heuser