sehepunkte 3 (2003), Nr. 1

Eckhard Olschewski: Die Schlösser in Saarbrücken und Biebrich

Das vorliegende Buch stellt die Druckfassung einer im Jahre 2000 in Marburg eingereichten kunsthistorischen Dissertation dar, und ganz im Sinne der "Marburger Schule" lautet Olschewskis zentrale Frage, inwieweit sich die architektonische Form seiner untersuchten Bauten durch den jeweiligen historischen Kontext und durch dynastische Politik seitens der Auftraggeber erklären lässt. In einer architekturikonologischen Analyse, die die Architektur selbst als Quelle begreift, und zugleich eng historisch argumentierend, geht er über eine monografische Betrachtungsweise hinaus und stellt die einem übergeordneten politischen Programm folgenden Bezüge der Bauten her.

Bearbeitet werden die zwei Residenzschlösser Saarbrücken und Biebrich (bei Wiesbaden) des Grafenhauses Nassau-Saarbrücken, die beide in den 1730er-Jahren umfangreiche Baumaßnahmen erfuhren. Ausgeklammert bleiben die weiteren Residenzen Weilburg an der Lahn, zu Beginn des 18. Jahrhunderts baulich bereits weitgehend abgeschlossen, und das stark zerstörte und kaum dokumentierte Kirchheim (Kirchheimbolanden). Den Autor interessiert nun die Frage, weshalb für die beiden etwa gleichzeitig entstandenen, von der gleichen Familie in Auftrag gegebenen und der gleichen Funktion dienenden Schlossbauten unterschiedliche architektonische Formen gewählt wurden: Das alte Schloss Saarbrücken wurde durch den Neubau einer achsensymmetrischen Dreiflügelanlage ersetzt, während Biebrich unter Beibehaltung der alten Anlage sukzessive zu einer asymmetrischen Dreiflügelanlage erweitert wurde.

In einem einführenden Kapitel klärt Olschewski zunächst die komplizierte Genealogie des Hauses Nassau-Saarbrücken mit dessen fünf Linien, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf zwei (Nassau-Weilburg und Nassau-Usingen) reduziert und durch neuerliche Teilung von Usingen 1735 wieder auf drei (Nassau-Saarbrücken) erweitert wurden. Die im Anhang beigefügte tabellarische Stammtafel erleichtert die Personenzuordnung, verzichtet aber - wie leider üblich - auf die Lebensdaten der genannten Fürstinnen. Erklärtes Ziel der Hauspolitik seit Ende des 17. Jahrhunderts war ein Zusammenschluss der Linien, der jedoch erst Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem einheitlichen Territorialstaat Nassau führte. Ein gemeinsames politisches Handeln ist dennoch erkennbar, sobald es um Besitzstandswahrung gegenüber Frankreich oder um die Erlangung/ Bestätigung der Fürstenwürde ging.

In einem zweiten historischen Kapitel problematisiert der Autor den Begriff 'Residenz'. Neuerer Forschung und vor allem historischer Traktatliteratur folgend definiert er die Residenz als Aufenthaltsort eines Landesherrn unter der Voraussetzung einer längeren Verweildauer und eines wiederkehrenden Aufenthaltszyklus. Entsprechend fließende historische Bezeichnungen lassen sich für das untersuchte Territorium nachweisen.

Im Hauptteil arbeitet Olschewski in einer gründlichen und literaturkritischen Baubeschreibung und -analyse die Spezifika der Residenzen Saarbrücken (Planung 1735-38, Bau 1739-48, Stadtplanung 1742-68) und Biebrich (1730-44) heraus und korrigiert überzeugend zahlreiche Fehlinterpretationen und Ungenauigkeiten.

Der von Maximilian von Welsch entworfene, zwischen 1710 und 1721 ausgeführte Biebricher Südflügel, "ein Pavillon-Galerie-System von zwei zum Mittelpavillon achsensymmetrisch angelegten Eckpavillons, die durch zwei Galerien verbunden werden" (113), blieb auch in der Neukonzeption Friedrich Joachim Stengels erhalten. Die Erweiterung zu einer Dreiflügelanlage beließ dieser bestehenden, zum Rhein ausgerichteten Hauptfassade mit dem runden Mittelpavillon ihren architektonischen Vorrang. Olschewski führt das Motiv der Einflügelanlage mit drei Pavillons auf das Vorbild von Huis ter Nieuburg zurück, das als Ort des Friedensschlusses von Rijswijk große politische Bedeutung erlangt hatte, insbesondere für das Grafenhaus Nassau-Saarbrücken, das durch diesen Friedensschluss in seine reunierten Gebiete restituiert wurde.

Als repräsentatives und architektur-ästhetisches Zentrum der Anlage ist der runde Mittelpavillon anzusehen, für den in der Literatur Vorbilder gesucht wurden, die unter anderem von der Kasseler Orangerie über Wiener Gartenschlösser bis hin zum römischen Pantheon reichen. Indem Olschewski den Zentralbau nicht als isolierten Baukörper auffasst, sondern ihn in seiner Funktion im Verhältnis zum Gesamtbau sieht, erschließen sich ihm zunächst Gemeinsamkeiten der Mittelpavillons von Saarbrücken und Biebrich: "Denn in der Gesamtstruktur der Bauglieder der Biebricher Einflügelanlage entspricht der runde Mittelpavillon der vertikalen Raumachse des Schlosses in Saarbrücken, bezüglich der Morphologie der Distribution und der Funktion, als verbindende und trennende Achse der zueinander achsensymmetrisch angelegten Raumeinheiten des Fürstenpaares." (96) Auch formal lässt sich das gleiche Motiv erkennen: "... eine Superposition von zwei dreiachsigen Bogenstellungen ... mit Zusammenfassung der Arkatur des piano nobile und der oculi-Mezzanine durch eine Kolossalordnung, der das gebänderte Sockelgeschoss gleichsam als Postament dient. Damit entspricht letztlich das System der Biebricher Mittelpavillonfassade dem am Saarbrücker Mittelpavillon aufgezeigten und definierten Konzeptionsmotiv." (99)

In einer Art Negativbeweisführung sucht Olschewski nach Verbreitung und symbolischer Bedeutung dieses Motivs. Im Vergleich mit 25 Referenzbauten und -entwürfen schließt er einen regionalen Schwerpunkt sowie eine standesmäßig begrenzte Auftraggebergruppe aus. Die Zweigeschossigkeit dieses Fassadensystems ist von vielen Autoren als Ausdrucksträger eines 'Reichs'- oder 'Kaiserstils' konstatiert worden, was sich jedoch nicht belegen lässt. Entscheidend für Biebrich ist, dass es zu den ersten Schlossarchitekturen gehörte, an denen das Konzeptionsmotiv angewendet wurde. Als unmittelbares Vorbild benennt der Autor einen Louis Remy de la Fosse zugeschriebenen unausgeführten Entwurf (um 1705/06) für den Umbau von Schloss Charlottenburg, wobei er allerdings den Nachweis schuldig bleibt, wie Welsch oder das Haus Nassau Kenntnis davon erhalten haben könnten. Durch die Allegation der Charlottenburger Fassadengliederung habe Fürst Georg August angespielt "auf den Streit um das Fürstentum Mörs zwischen Brandenburg-Preußen und dem Grafenhaus Nassau-Saarbrücken, dem dieses Fürstentum die angestrebte Virilstimme eingebracht hätte" (137). Obwohl 1707 Brandenburg-Preußen mit dem Reichsfürstentum Mörs belehnt wurde, habe Nassau-Saarbrücken an seinem territorialen Anspruch festgehalten. "Letztlich aktualisierte Fürst Georg August das mit der Konzeption der Biebricher Einflügelanlage angelegte Bauprogramm, indem der akute territorialpolitische Konflikt auf formal-ästhetischer Ebene in dem dialektischen Verhältnis von Baukonzeption der Einflügelanlage und Fassadenkonzeption des Mittelpavillons, oder anders formuliert, in der Synthese aus Huis ter Nieuburg und Schloss Charlottenburg sinnfällig aufgelöst wurde. Damit führte Fürst Georg August auf der Bedeutungsebene den Garanten der territorialen Integrität mit dem Konkurrenten um ein Territorium in einer Synthese zusammen, und suggerierte somit zugleich, dass die umstrittenen Ansprüche auf Mörs bereits Jahre zuvor in Verbindung mit dem Rijswijker Frieden zugunsten des Hauses Nassau-Saarbrücken entschieden worden wären." (138) Das erneute Aufgreifen des Mittelrisalit-Motivs für Saarbrücken zwanzig Jahre später unterlag der gleichen Bedeutung: Wiederum war die territoriale Integrität der Linie Nassau-Usingen (durch Frankreich) gefährdet.

Vielleicht unbeabsichtigt, aber um so aussagekräftiger, leistet Olschewski mit seiner Studie auch einen Beitrag zur Rolle der Fürstin als Auftraggeberin und aktive Bauherrin. Entgegen bisheriger Meinung betont und belegt er durch Quellen, dass der Neubau Saarbrückens bereits ab 1735 geplant wurde unter der vormundschaftlichen Regentschaft von Fürstin Charlotte Amalie von Nassau-Usingen, die auch beim Umbau Biebrichs eine entscheidende Rolle spielte. Dessen Raumdistribution lässt sich nur durch die Doppelfunktion als Witwensitz und als Residenz der Regentin erklären.

Die Lektüre der im einzelnen gut nachvollziehbaren Thesen wird erschwert durch die 'didaktische' Gliederung der Arbeit, da im Bemühen, einen Spannungsbogen aufzubauen, zunächst nur Teilinformationen oder offene Fragestellungen geliefert werden, die erst im allerletzten Kapitel wieder aufgegriffen werden. Und hier gerät die Beweisführung recht knapp, stellenweise sogar spekulativ. Dennoch bietet Olschewski einen lesenswerten Beitrag zur Architekturikonologie und insbesondere zu den Zusammenhängen zwischen architektonischer Form und politisch motivierter Architektursprache.

Eine Anmerkung zum Schluss: Die Abbildungsqualität ist äußerst gering. Obwohl es sich überwiegend um Kupferstiche und Grundrisspläne, also um gut lesbare Strichzeichnungen, handelt, sind beispielsweise die Beschriftungen auf Plänen nicht mehr zu entziffern. Da offenbar ausschließlich Reprofotos als Druckvorlagen dienten, stößt die digitale Aufbereitung hier an die Grenzen der technischen Reproduzierbarkeit. Es sollte im Interesse des Autors wie des Verlages liegen, wenigstens Originalfotos zu verwenden.


Rezension über:

Eckhard Olschewski: Die Schlösser in Saarbrücken und Biebrich. Zwei Residenzen des Grafenhauses Nassau-Saarbrücken - ein Beitrag zur Schloßarchitektur mindermächtiger Reichsfürsten im 18. Jahrhundert, Weimar: VDG 2001, 251 S., 88 s/w-Abb., ISBN 978-3-89739-186-4, EUR 38,90

Rezension von:
Cordula Bischoff
Dresden
Empfohlene Zitierweise:
Cordula Bischoff: Rezension von: Eckhard Olschewski: Die Schlösser in Saarbrücken und Biebrich. Zwei Residenzen des Grafenhauses Nassau-Saarbrücken - ein Beitrag zur Schloßarchitektur mindermächtiger Reichsfürsten im 18. Jahrhundert, Weimar: VDG 2001, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 1 [15.01.2003], URL: https://www.sehepunkte.de/2003/01/3483.html


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