Rezension über:

Michael Fröhlich (Hg.): Die Weimarer Republik. Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt: Primus Verlag 2002, 432 S., ISBN 978-3-89678-441-4, EUR 34,90
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Rezension von:
Jaromír Balcar
Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München
Redaktionelle Betreuung:
Winfried Süß
Empfohlene Zitierweise:
Jaromír Balcar: Rezension von: Michael Fröhlich (Hg.): Die Weimarer Republik. Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt: Primus Verlag 2002, in: sehepunkte 3 (2003), Nr. 1 [15.01.2003], URL: https://www.sehepunkte.de
/2003/01/2966.html


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Michael Fröhlich (Hg.): Die Weimarer Republik

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Kein Zweifel, der biografische Zugriff auf die Geschichte erlebte in den letzten 20 Jahren eine Konjunktur, wie man sie in den Siebzigerjahren kaum für möglich gehalten hätte. Heute bedarf es keiner gesonderten Rechtfertigung mehr, das "Portrait einer Epoche in Biographien" nachzuzeichnen. Nachdem Michael Fröhlich dies bereits für das "Kaiserreich" unternommen hat [1], liegt nunmehr der von ihm herausgegebene Nachfolgeband für die Weimarer Republik vor.

Der Band versammelt 35 biografische Skizzen, die jeweils zwischen zehn und 20 Seiten umfassen. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der Politik: Neben einem kleinen "Who is Who" der politischen Führungsriege Weimars (Hugo Preuß, Wilhelm Marx, Philipp Scheidemann, Gustav Noske, Friedrich Ebert, Otto Braun, Matthias Erzberger, Gustav Stresemann, Heinrich Brüning, Ernst Thälmann und Adolf Hitler - man vermisst allerdings Totengräber der Republik wie Paul von Hindenburg und Franz von Papen) und einigen Politikern aus der zweiten Reihe (Siegfried Kawerau und Fritz Küster) finden sich "politische Generäle" (Hans von Seeckt, Wilhelm Groener und Kurt von Schleicher), Industriekapitäne von erstrangiger politischer Bedeutung (Alfred Hugenberg und Walther Rathenau) sowie politische Schriftsteller wie Oswald Spengler, Carl Schmitt, Kurt Tucholsky und Ernst Jünger. Von den nur vier portraitierten Frauen gehören ebenfalls drei (Marie Juchacz, Helene Weber und Toni Sender) zur politischen Sphäre. Deutlich schwächer vertreten sind demgegenüber die Sektoren Wirtschaft (repräsentiert durch den Unternehmer Robert Bosch), Wissenschaft (Ferdinand Sauerbruch und Eugen Fischer-Baling) und Kultur (Käthe Kollwitz, Otto Dix, Alfred Döblin, Bertolt Brecht und Erich Kästner).

Vollständigkeit lässt sich bei einem solchen Unterfangen kaum erzielen. Allerdings fällt auf, dass die kulturelle gegenüber der politischen Sphäre nur schwach repräsentiert ist. Dass kein Repräsentant des "Bauhauses" aufgenommen wurde, überrascht angesichts der Tatsache, dass die Weimarer Kultur auf dem Feld der Architektur - auch international - am nachhaltigsten wirkte. Von Brecht abgesehen, wird auch die überaus reiche Theaterlandschaft ausgeblendet; Regisseuren und Schauspielern wie Leopold Jessner, Fritz Kortner oder auch Erwin Piscator war es nicht zuletzt zu verdanken, dass die Dekade, allen politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen zum Trotz, als "Goldene Zwanziger" in die Geschichte einging. Die "Massenkultur" mit ihren Schlager- und Sportstars, Entertainern und Artisten des Varietés, die nicht selten einen weitaus höheren Bekanntheitsgrad erreichten als die kommenden und gehenden Politiker Weimars, fehlt völlig. Das ist insofern bedauerlich, als dieser Bereich - Stichwort: "Amerikanisierung" - ebenfalls ein bezeichnendes Schlaglicht auf die zerklüftete Gesellschaft der ersten deutschen Demokratie wirft.

Davon abgesehen, gelingt es den meisten Autoren jedoch überzeugend, im Besonderen der von ihnen vorgestellten Persönlichkeiten das Allgemeine der Epoche herauszuarbeiten. Ulrich von Hehl etwa versteht es geschickt, die Biografie des Zentrumspolitikers und Reichskanzlers Wilhelm Marx mit den politischen Strukturen der Weimarer Republik zu verknüpfen und dabei zwei Kernprobleme der ersten deutschen Demokratie zu veranschaulichen (51-61). Erstens fehlte es ihr an charismatischen Politikern mit republikanischer Gesinnung. Über letztere verfügte der Vorsitzende des Zentrums zwar, doch ging ihm jede Ausstrahlung ab - als er 1923 zum Reichskanzler avancierte, war er in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt (56). Zudem: "Wie viele Weimarer Politiker besaß Marx kein eigentliches Verhältnis zur Macht" (59). Nicht zuletzt darin sollte sich Adolf Hitler elementar von seinen Vorgängern unterscheiden.

Zweitens erschwerte die gesellschaftliche Fragmentierung die Bildung arbeitsfähiger und stabiler Koalitionen im Reichstag, da die dort vertretenen Parteien als "Aktionsausschüsse" verschiedener sozialmoralischer Milieus (Rainer M. Lepsius) dazu neigten, aus politischen Streitpunkten Grundsatzfragen zu machen, was es enorm erschwerte, allseits tragfähige Kompromisse zu finden. Wilhelm Marx konnte davon ein Lied singen, mühte er sich doch seit Anfang der Zwanzigerjahre wie kein Zweiter hinter den Kulissen ab, um die Gesetzentwürfe der diversen Koalitionen durch den Reichstag zu bringen (55f.). Vor diesem Hintergrund muss man es als tragische Ironie bezeichnen, dass ausgerechnet die bayerische Schwesterpartei des Zentrums, die BVP, 1925 die Wahl von Wilhelm Marx zum Reichspräsidenten verhinderte: Sie entschied sich - allen konfessionellen Interessen zum Trotz - gegen den farblosen rheinischen Katholiken und rief zur Stimmabgabe für seinen Gegenkandidaten Hindenburg auf, obwohl es sich bei dem "Helden von Tannenberg" um einen Protestanten handelte. "Die Spätfolgen dieser Entscheidung wurden erst am 30. Januar 1933 sichtbar" (58).

Zwar erreichen nicht alle Beiträge dieses hohe Niveau - doch wie sollte es auch anders sein angesichts eines extrem heterogenen Autorenstabs, der Historiker, Kunsthistoriker, Politologen, Soziologen, Archivare, Literaturwissenschaftler, Juristen und Pädagogen umfasst, wobei neben ausgewiesenen Experten auch Nachwuchswissenschaftler zur Feder griffen. Ein großes Plus haben sie freilich alle: Jedes Kurzportrait schließt mit der Zusammenstellung der wichtigsten Literaturtitel und - falls vorhanden - mit dem Hinweis auf den Aufbewahrungsort des Nachlasses der vorgestellten Persönlichkeit. Die biografischen Skizzen bieten so eine sehr gute Ausgangsbasis für alle, die sich intensiver mit den Portraitierten beschäftigen wollen, was den Sammelband zu einem nützlichen wissenschaftlichen Hilfsmittel macht.

Inwiefern die hier versammelten biografischen Skizzen tatsächlich den Blick "auch auf kontrafaktische Konstrukte" erlauben (12), wie es im Vorwort heißt, mag dahingestellt bleiben. Fest steht: "Die Instabilität der ersten deutschen Demokratie spiegelt sich im Leben der hier vorgestellten Persönlichkeiten, mit denen auch heute noch die Auseinandersetzung lohnt" (10). Schon dies macht den vorliegenden Band zu einer bereichernden Lektüre.

Anmerkung:
[1] Michael Fröhlich: Das Kaiserreich. Portrait einer Epoche in Biographien. Darmstadt 2001.


Jaromír Balcar