sehepunkte 2 (2002), Nr. 7/8

Deutscher Bundestag (Hg.): Wege - Irrwege - Umwege

Ganze Schülergenerationen wurden seit 1971 durch die Ausstellung "Fragen an die deutsche Geschichte" im Berliner Reichstag geschleust, unzählige von ihnen haben den Begleitkatalog (der bis 2000 bereits 20 Auflagen erlebt hatte) als profunde, gut illustrierte und interessant geschriebene Einstiegslektüre schätzen gelernt.

Seit 1996 war die Ausstellung mit dem unverkennbaren Bildungsauftrag im Deutschen Dom am Gendarmenmarkt zu sehen, seit April wird dort die Nachfolgeschau präsentiert. Und erneut zeichnet Lothar Gall für Inhalt und Konzept verantwortlich. "Wege-Irrwege-Umwege", -so lautet der neue Titel und setzt damit an die Stelle der bisherigen "Fragen" eine kaum verhüllte Teleologie (ohne Ziel kein Umweg). Kein Wunder, denn Träger der Schau ist der Deutsche Bundestag, und eigentlich waren auch die früheren "Fragen" eher affirmative Antworten aus der Sicht der Bundesrepublik - eine Auftragsarbeit eben.

Ob der zugehörige Katalog zu einem ebensolchen Bestseller werden wird wie sein Vorgänger, bleibt abzuwarten, am Kaufpreis von 10 Euro sollte es nicht scheitern.

Für nur 3 Euro mehr ist dem Katalog eine CD-ROM beigegeben, die im folgenden besprochen werden soll.

Welchen Anspruch die CD-ROM erfüllen soll, bleibt mangels eines Editorials oder einer Einführung für den Benutzer ungewiss. Auch Lothar Galls Einleitung in den Katalogband widmet sich der elektronischen Zugabe nicht, was angesichts der verschiedenen möglichen Funktionen dieses Mediums ein Manko darstellt.

Die Geschichte der parlamentarischen Demokratie in Deutschland wird in sieben chronologischen Etappen angegangen. Es sind dies Französische Revolution, Vormärz und Revolution von 1848, Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, sowie schließlich DDR/ BRD und Wiedervereinigung. Dieser historische Bogen orientiert sich im wesentlichen an den Vorgaben aus der Vorgängerausstellung.

Den Beginn des deutschen Frühparlamentarismus an die Darstellung der französischen Revolution zu knüpfen, entspricht dem Konzept der früheren Ausstellung und ist nicht die schlechteste Lösung für einen inhaltlichen Einstieg. Allerdings sorgt die für ein Bildschirmmedium notwendige Verknappung der Textmenge in diesem Fall bei unvorbereiteten Lesern für Verwirrung. Denn trotz der Chancen, in einem Hypertext bequem Glossareinträge unterzubringen, wurde auf diese Option verzichtet. Wichtige Erläuterungen bleiben damit aus.

Auch inhaltlich strauchelt der Text bisweilen über die eigene Kürze: Ein erster Absatz endet mit der Erklärung der Bürger- und Menschenrechte, ohne allerdings ein Datum - den 26. August 1789 - zu nennen. Darauf folgt der Satz: "Binnen weniger Tage erreichen die Nachrichten aus Frankreich auch das "Heilige Römische Reich Deutscher Nation", das trotz des Vordringens der französischen Revolutionsarmeen und -ideen zunächst noch in den politischen Strukturen des monarchischen Obrigkeitsstaates verharrt" (Kapitel 1). Hier verdichten sich etwa zwei Jahre auseinander liegende Geschehnisse zu einem chronologischen Ereigniszusammenhang, der historisch so nicht nachvollziehbar ist.

Wer über derlei Feinheiten hinwegsehen kann, findet auf der CD-ROM eine hochkompakte Politikgeschichte Deutschlands im 19. und 20. Jahrhundert, stets fokussiert auf die entscheidenden parlamentarischen Rahmenbedingungen und Ereignisse der jeweiligen Epoche.

Das alles ist so straff erzählt, dass sich die Aufmerksamkeit des Benutzers auf die weiteren Medienangebote der CD-ROM konzentriert. Die Bildauswahl ist exzellent, die Wiederkehr der immer gleichen visuellen Topoi aus bekannten Fernsehdokumentationen, Bildbänden, Websites oder CD-ROMs wurde vermieden. Farbig hervorgehobene Stichworte im Text rufen per Hyperlink die Bilddokumente auf. Der gute Eindruck wird jedoch dadurch gemindert, dass die Bildlegenden zu wenig informativ sind und kaum Bezüge zum Text herstellen. Bilder sind Teil des Kommunikationsprozesses und nicht nur seine ornamentale Rahmung. Für letzteres haben sich die Autoren der CD-ROM entschieden. Dann aber fungiert die Nachvollziehbarkeit der Zuordnung und damit die Absicherung des Verstehensaktes um so mehr als Auswahlkriterium für das Bildmaterial. Wie dies beispielsweise beim Stichwort "Kohlrübenwinter" funktionieren soll, das ohne weitere Erklärungen mit einem Block Pferdefleischmarken illustriert wird, bleibt das Geheimnis der Redaktion. Geheimnisvoll bleibt auch eine große Anzahl der visuellen Informationen: So werden beispielsweise auf einem Foto mit Hans Luther und Gustav Stresemann die Namen nicht zugeordnet. Im Kapitel zur Revolution von 1848 wird die Gruppe der "Göttinger Sieben" erwähnt. Der Mausklick auf den Begriff ruft eine Radierung auf, die Fachleuten bekannt sein dürfte, aber weder zeitlich noch inhaltlich verortet werden kann. Der Bildtext lautet lapidar:"Die Göttinger Sieben". Namen werden nicht zugewiesen, ja nicht einmal genannt. Im Kapitel Kaiserreich werden die Benutzer über die "Regierung über den Parteien" informiert. Ein Mausklick auf diesen Begriff fördert das Porträt des Staatsministers Arthur Graf von Posadowsky-Wehner auf den Bildschirm, ohne dass dieser im Haupttext erwähnt oder in der Bildlegende weiter vorgestellt würde. Auch im knappen Personenregister findet er sich nicht, ebenso wenig wie "Hohenlohe", der im Haupttext nur als salopper Nachname ohne Amtsbezeichnung, Jahreszahlen oder Vornamen auskommen muss und damit vergleichsweise anonym bleibt.

Diese nur schwer nachvollziehbare Didaktik erstreckt sich auch auf die Videosequenzen. Dabei handelt es sich überwiegend um eigens arrangierte Tonbildschauen, bisweilen auch um Dokumentarfilme mit O-Ton. Auch hier fliegen manchmal Porträts durch das Abspielfenster, ohne dass auf die dargestellten Personen Bezug genommen würde oder ein Name genannt wäre. Wenn Originalmaterial verwendet wird, fallen schon mal Bild und Text vollständig auseinander, so beispielsweise bei Auszügen zweier Hitlerreden, die mit Bildmaterial unterlegt werden, das quer zum Sprechrhythmus und asynchron zu den Inhalten der Redetexte läuft.

Eine Auswahl an Tondokumenten erweitert das Spektrum der Medienträger auf der CD-ROM. Vor allem Politikerreden stehen zur Verfügung, die Auswahl ist angemessen und vergleichsweise paritätisch. Eine Textversion der Reden liegt jedoch nicht vor. Als weiteres Modul dient eine Notizbuchfunktion, die es ermöglicht, eigene Notizen einzugeben und diese später auszudrucken. Ein Export der in der CD-ROM enthaltenen Infotexte ist damit allerdings nicht möglich. Eine Zeitleiste bietet eine große Auswahl an Jahreszahlen aus dem besprochenen Zeitraum, mit den Texttafeln oder Bildern sind selbige jedoch nicht verknüpft. Auch hier wurden hypertextuelle Chancen ignoriert.

Literaturtipps und Links runden die "zahlreichen Zusatzfunktionen" (Text des Booklet) ab. Sind die Literaturangaben für eine breite Öffentlichkeit noch akzeptabel, so sind die Linkangebote eher dürftig. Nun gibt es ja gute Gründe, auf Links ins Internet zu verzichten, beispielsweise die hohe Fluktuation der dortigen Angebote. Wenn man dennoch welche anbietet, sollten sie einigermaßen gewinnbringend sein. Welche Informationen jedoch im Kapitel über 1848 der Link zur Hochschule Niederrhein anbieten soll, ist nicht ersichtlich. Auf der Startseite der Hochschule sind keine historischen Links zu sehen, und die dortige Suchmaschine bietet zu den historischen Stichworten keine Informationen an. Auch die Homepage der bundeseigenen Otto-von-Bismarck-Stiftung ist nicht gerade ein Schatzkästlein an Informationen. Für die Weimarer Republik werden wir an das Archiv der Berlin-Brandenburger Bildungswerke e.V. verwiesen, deren Bestände nach eigenen Angaben erst ab 1945 beginnen.

In jedem Kapitel erscheint zunächst der Link zur Homepage der Kommission für die Geschichte des Parlamentes und der Parteien, ohne dass dort Zusatzinformationen zu den Inhalten zu finden wären (außer in den Publikationslisten der Kommission). Absurd wird dies im Kapitel zur Französischen Revolution und zum Frühparlamentarismus, denn dort ist dieser Link der einzige Weg ins Internet.

Insgesamt wirkt die CD-ROM in Grafik und Navigation durchdacht, inhaltlich und didaktisch indes fahrig. Ein seiner Kürze wegen kaum zu besprechender Textteil steht recht isoliert neben Bild-, Film- und Tondokumenten, die ihrerseits sehr unvermittelt aufgerufen werden. Glücklicherweise dürften die Zeiten bald vorbei sein, in denen sich eine CD-ROM gegenüber Printmedien rechtfertigen muss. CD-ROMs und DVDs sind ein selbstverständliches Trägermedium unserer Zeit geworden - es gibt sie nun einmal. Andererseits ist eine CD-ROM nicht schon deswegen gut, weil sie modern ist.

Wenn also Buch und CD-ROM gemeinsam verkauft werden, muss die Frage nach der Funktion des ungleichen Paares gestellt werden. Die Antwort darauf lässt sich aus der Betrachtung der CD-ROM allein nicht ableiten, und das ist das eigentliche Manko.


Rezension über:

Deutscher Bundestag (Hg.): Wege - Irrwege - Umwege. Die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Historische Ausstellung im Deutschen Dom in Berlin, CD-ROM zum Ausstellungskatalog, 2002, Preis (zusammen mit dem Katalog), EUR 13,00

Rezension von:
Fabio Crivellari
FWU Institut für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht, Grünwald
Empfohlene Zitierweise:
Fabio Crivellari: Rezension von: Deutscher Bundestag (Hg.): Wege - Irrwege - Umwege. Die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland. Historische Ausstellung im Deutschen Dom in Berlin, CD-ROM zum Ausstellungskatalog, 2002, in: sehepunkte 2 (2002), Nr. 7/8 [15.07.2002], URL: https://www.sehepunkte.de/2002/07/3575.html


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