STELLUNGNAHME ZU

Elena Bös: Rezension von: Marco Swiniartzki: Heavy Metal und gesellschaftlicher Wandel. Sozialgeschichte einer Musikkultur in den langen 1980er Jahren, Bielefeld: transcript 2023, in: sehepunkte 24 (2024), Nr. 4 [15.04.2024], URL: https://www.sehepunkte.de/2024/04/38870.html

Von Marco Swiniartzki

In der aktuellen Ausgabe von 04/24 wurde unter anderem meine Schrift "Heavy Metal und gesellschaftlicher Wandel" durch Elena Bös rezensiert. Ich möchte in diesem Zusammenhang eine Richtigstellung vornehmen und bitte um die Klärung des folgenden Absatzes der Autorin:

"Dabei bewertet er die gewalttätigen Exzesse, etwa Brandstiftungen in Kirchen und durch Bandmitglieder verübte Morde, der ersten Welle des (als satanistisch rezipierten) Norwegian Black Metal in euphemistischer Weise als "Einzelfall einer außer Kontrolle geratenen sozialen Distinktionsspirale" (511), und auch heute noch relevante rechtsextreme Ausläufer der Metal-Kultur wie National Socialist Black Metal als Ausläufer eines "undurchdachten jugendlichen Disktinktionsreflex[es]" (239). Hier zeigen sich die Grenzen einer Interpretation, die strukturelle Missstände wie Sexismus und Rassismus vor allem kontextbezogen und individualisiert sieht."

Die Bewertung des "National Socialist Black Metal" als Ausläufer eines "undurchdachten jugendlichen Distinktionsreflexes" wird in meinem Buch an keiner Stelle vorgenommen und ich möchte mich ausdrücklich von dieser Sichtweise distanzieren, die die unerträglichen Texte und Handlungen der betreffenden Musiker relativieren würde.

Das von der Autorin verwendete Zitat (S. 239) bezieht sich ausschließlich auf die erste Welle des Black Metals in Norwegen, der sich keinesfalls komplett als "NSBM" artikulierte, und spricht überdies auch nur "einige" der Bands an - dies wird am Beispiel der Band Darkthrone gezeigt. Im Anschluss geht der Text dazu über, auch echtes und langfristiges rechtsextremes Engagement in Norwegen aufzuzeigen und vom oben besprochenen Distinktionsreflex anderer Musiker abzugrenzen. Der NSBM wird als spätere Folge des Handels einiger der norwegischen Bands eingeordnet und nicht nur auf S. 239 f., sondern beispielsweise auch im Fazit des Buchs als großes Übel und Damoklesschwert über der Metal-Kultur beschrieben (S. 579 f.).

Darüber hinaus ist es für mich nicht verständlich, dass die Autorin eine "kontextbezogen[e]" Bewertung diskriminierender Äußerungen und Handlungen als Monitum anführt - ohne eine kontextabhängige Perspektive könnten die vielen Schattierungen historisch nicht beschrieben und eingeordnet werden. Überhaupt wird Diskriminierung erst durch den Kontext zur Diskriminierung.

Insofern würde es mich sehr freuen, wenn dieser Absatz der Rezension inhaltlich richtiggestellt werden könnte.


REPLIK


Von Elena Bös

Marco Swiniartzki wendet ein, er beziehe seine Interpretation rechtsextremistischer Symbolik im Metal als "undurchdachten jugendlichen Disktinktionsreflex" (239) bzw. "Einzelfall einer außer Kontrolle geratenen sozialen Distinktionsspirale" (511) nicht auf den National Socialist Black Metal (NSBM), sondern auf "nur 'einige' der Bands" des Norwegian Black Metal. Daher präzisiere ich: Swiniartzki erklärt NS-Bezüge in der norwegischen Black-Metal-Szene in "vielen Fällen" mit einem "undurchdachten jugendlichen Distinktionsreflex" (239). So auch den "Schriftzug 'Norsk Arisk Black Metal'" auf einem Album der Band Darkthrone (ebd.). Auch wenn Darkthrone nicht dem NSBM im engeren Sinne angehört, und laut Swiniartzki ein Boykott deutscher Magazine die Band "postwendend zu einer Entschuldigung veranlasste" (ebd.), so liegt hier doch eine Verwendung von NS-Codes vor, deren unbelegte Interpretation als jugendtypische Distinktion mir auch dann diskussionswürdig erscheint, wenn sie sich "nur" auf viele Fälle im Norwegian Metal bezieht. Selbstverständlich liegt es mir fern, dem Autor eine relativierende Haltung dem NSBM gegenüber zu bescheinigen, den er, wie er zutreffend darlegt, mehrfach klar als Problem benennt.

Was die Interpretation von Missständen wie Sexismus und Rassismus betrifft, bleibe ich bei meinem Ansatz, dass eine sich rein auf intentionale Akteurs-Ebene fokussierende Untersuchung insbesondere von NS-affirmativen Äußerungen im Metal ohne die Einbeziehung struktureller Dynamiken zu kurz greift.

Ungeachtet dieser divergierenden Lesarten und Interpretationsansätze möchte ich Marco Swiniartzkis Buch weiterhin allen Interessierten uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen: Es lohnt sich.